Ein außergewöhnlicher Erfolg der Linken?

Frankreich im Wahlzyklus 2017

20.02.2018
Peter Wahl

Jean-Luc Mélenchon und seine Bewegung La France Insoumise (LFI) haben bei den Präsidentschaftswahlen ein bemerkenswert gutes Ergebnis erzielt. Sollte es sich konsolidieren lassen, würde LFI auch im internationalen Vergleich stärkste linke Kraft in einem Land des kapitalistischen Zentrums werden.

Der Wahlzyklus 2017 offenbart einen tiefen Umbruch im politischen System Frankreichs. Der Kollaps der Sozialdemokratie, die schwere Niederlage der Konservativen und der erneute Stimmenzuwachs für Marine Le Pen reflektieren die ökonomischen und politischen Krisen, die das Land seit längerem belasten. Hauptprofiteur der Instabilität war Manuel Macron, dem es gelang, den Eindruck zu erwecken, die Probleme des Landes lösen zu können. Mit seiner Bewegung La République en marche etablierte er eine Art Große Koalition.

LFI ist zur neuen hegemonialen Kraft der französischen Linken geworden. Nach einem zehnjährigen Suchprozess und Experimenten mit klassischen linken Sammlungsbewegungen vollzog Mélenchon 2016 den Bruch damit. Ähnlich wie PODEMOS und Syriza trat LFI als neues Projekt und eigenständiger Akteur an. LFI versteht sich auch als Antwort auf die jahrzehntelange Krise linker Politik.

Mit dem Bewegungskonzept versucht LFI die Konsequenz aus der immer geringeren Bereitschaft zu ziehen, sich in Parteien zu engagieren. Die Bewegung ist in Struktur und Verfahren Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen sehr ähnlich. Wie bei diesen treten dabei Demokratieprobleme auf, sobald die Grenzen der Kleingruppe überschritten werden. LFI hofft, diese Probleme im weiteren Prozess zu lösen.

Neben klassisch linken Positionen in der Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik zeichnet sich das programmatische Profil dadurch aus, dass es mit ökosozialistischer Grundierung Klima- und Umweltpolitik ins Zentrum stellt. Darüber hinaus wird scharfe Kritik an der EU geübt und eine machtpolitische Strategie für den grundlegenden Wandel der Union und den Bruch mit dem neoliberalen Konstitutionalismus formuliert.

Der Bruch mit traditioneller Bündnispolitik hat zu Konflikten mit bisherigen Partnern geführt, vor allem mit der Kommunistischen Partei. Abgesehen davon, dass die KP als machtpolitischer Faktor nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, haben die Gegensätze inzwischen strategische Dimensionen angenommen und sind irreparabel.

LFI wird, so wie Syriza, PODEMOS, Sanders und Corbyn von der staatstragenden Mitte als "linkspopulistisch" bezeichnet – mit ausgrenzender Absicht. LFI bezieht sich dagegen positiv auf Laclau und Mouffe, die als Theoretiker des "Linkspopulismus" gelten. Damit agiert LFI auch am Schnittpunkt der internationalen Debatte über Grundfragen linker Politik, wie das Verhältnis der Klassenfrage zu den Themen neuer sozialer Bewegungen, linke Identitätspolitik, das Verhältnis Kosmopolitismus – Kommunitarismus, oder die Frage nach dem Subjekt der Veränderung.

Vor dem Hintergrund zentraler Momente der Strategie von LFI, wie Volk, herrschender Block, Antagonismus/Agonismus, Emotionen und Symbolik geht das Papier auf das Narrativ vom Populismus ein.

Eine Übertragbarkeit der französischen Verhältnisse auf Deutschland gibt es nicht, da sowohl die gesellschaftliche Situation als auch die Akteursseite zu unterschiedlich sind. Unabhängig davon ist es sinnvoll, sich ohne vorgefertigtes Urteil mit Konzept und Praxis von LFI zu befassen, Dialog und Zusammenarbeit anzustreben, und sich vor allem aus dem Konflikt zwischen KP und LFI herauszuhalten.

Links

France Insoumise versus the Front National - the Differences Between Far-Right and Left-wing Populism.
Yann Le Lann, Antoine de Cabanes (first published by transform! Europe), 05.03.2018

La France Insoumise: Frankreichs neue Linke? Kommentar von Janis Ehling, Februar 2018

Warum schränkte die SYRIZA-Regierung das Streikrecht ein? Interview mit Pavlos Delkos. Erschienen auf www.kommunisten.de, 27. Januar 2018

Erklärung von Gregor Gysi bezüglich des Antrags auf Ausschluss von SYRIZA aus der Europäischen Linkspartei, 1. Februar 2018. Auf Englisch veröffentlicht von der Europäischen Linkspartei.