"Just Transition": gute Klima-Jobs und kommunale Lösungen
Bericht zur Just-Transition-Konferenz am 4. Dezember 2017 in Brüssel
Seit dem Klimagipfel COP21 in Paris im Jahr 2015 arbeiten die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel, die Delegation DIE LINKE. im Europaparlament und transform!europe gemeinsam mit Gewerkschafter*innen, Umweltaktivist*innen und Politiker*innen, um die europäische Diskussion um den Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung und die sozial-ökologische Transformation voranzubringen. Nun ist es höchste Zeit, für dieses Anliegen politische Mehrheiten zu gewinnen. Am 4. Dezember 2017 fand die dritte Konferenz zum Thema "Just Transition" in Brüssel statt.
Die enttäuschenden Ergebnisse des Klimagipfels COP23 im Bonn zeigen, dass die EU-Mitgliedstaaten dringend mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben und ihre Ökonomien zu dekarbonisieren, ansonsten ist das angestrebte Zwei-Grad-Ziel nicht zu erreichen. Die tiefe soziale Krise in der EU mit anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, schrumpfender Binnennachfrage und sinkenden öffentlichen Investitionen sind ein zweiter Grund, warum wir dringend Investitionsprogramme für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von guter Arbeit brauchen.
Wir haben Politiker*innen aus verschiedenen Kohleregionen in Spanien, Polen und Deutschland sowie Gewerkschafter*innen und Klimaaktivist*innen eingeladen, um gemeinsam folgende Fragen zu diskutieren:
- Wie kann der politische Diskurs gestärkt werden, der nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, einen gerechten Übergang und die sozial-ökologische Transformation fordert? Wie können Kampagnen für die Schaffung von guter Arbeit in CO2-armen Sektoren dabei unterstützen?
- Wie kann ein fortschrittliches Investitionsprogramm, das auf die sozial-ökologische Transformation ausgerichtet ist, finanziert werden? Wie kann die Unterstützung von Gewerkschaften und Beschäftigten in den Kohleregionen gewonnen werden?
- Welche bewährten Verfahren für einen gerechten Übergang gibt es auf regionaler und lokaler Ebene?
- Wie werden die Ergebnisse von COP21 und COP23 bewertet?
Gewerkschafter*innen für Klima-Jobs – neue Arbeitsplätze schaffen
Die Ergebnisse der internationalen Klimakonferenz COP23 zeigen, dass die politischen Eliten offensichtlich kein Interesse haben, die sozial-ökologische Transformation anzuschieben - COP23 gilt als die Konferenz der "Trippelschritte", wo nur laxe Regeln für die Überprüfung der nationalen Klimaschutzpläne vereinbart wurden. Umso wichtiger sind hier die Gewerkschaften als Partner, die in einigen Mitgliedstaaten die Forderungen nach einem gerechten Übergang aufgegriffen haben. Julien Rivoire von der französischen Gewerkschaft FSU berichtet, dass es in Frankreich seit 2017 eine Kampagne für "Climate Jobs" gibt, die aber leider noch nicht die großen Gewerkschaften aus dem Energiebereich als Unterstützer gewinnen konnte. Dennoch verfügt diese Kampagne bereits über politische Schlagkraft, denn sowohl Umweltorganisationen, als auch Gewerkschaften und NROs aus dem sozialen Bereich sind Teil der Kampagne.
Sam Mason von der britischen Gewerkschaft PCS hob hervor, dass sich ihre Gewerkschaft bereits 2006 dafür ausgesprochen hat, den Klimawandel aktiv zu bekämpfen, wie auch jüngst in der Resolution vom Herbst 2017. PCS unterstützt die Kampagne "one million climate jobs" (eine Million Jobs im Bereich „Bekämpfung des Klimawandels“) und legt Wert darauf zu betonen, dass es nicht nur darum geht, bestehende Arbeitsplätze zu ersetzen, sondern auch darum geht, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Bspw. wird vorgeschlagen, einen "national climate service" zu schaffen (ähnlich der staatlichen Gesundheitsversorgung), der als öffentliche Institution die Aktivitäten zur Bekämpfung des Klimawandels koordiniert (zur Publikation Just Transition and Energy Democracy). "Climate Jobs" müssen aber Teil einer Industrialisierungs-Strategie zur Schaffung von CO2-armen Arbeitsplätzen sein - wie bspw. die De-Karbonisierung der Stahlindustrie, die zweifelsohne weiterhin für den Bau von Windturbinen und Schienen gebraucht werde.Auch Benjamin Denis vom Europäischen Gewerkschaftsbund ETUC hob hervor, dass der gerechte Übergang ohne eine Re-Industrialisierung nicht gelingen kann, denn der Übergang braucht schlicht eine industrielle Basis. Dabei müsse unbedingt darauf geachtet werden, dass die neu zu schaffenden Arbeitsplätze den Ansprüchen an "Gute Arbeit" genügen, mit einer entsprechenden Entlohnung, und einer gesicherten Mitbestimmung der Beschäftigten durch Betriebsräte und Gewerkschaften.
Finanzierung der Just Transition - wenig Geld von EU-Institutionen zu erwarten
Ein Hauptdiskussionspunkt ist die Frage der Finanzierung: sowohl Julien Rivoire als auch Benjamin Denis weisen darauf hin, dass die Steuerpolitik in den Mitgliedstaaten umgestaltet werden müsse, um die notwendigen finanziellen Ressourcen verfügbar zu machen - Steuervermeidung und Steuerhinterziehung müssten wirksam bekämpft werden (siehe Paradise Papers). Peter Singer vom Regionalrat Köln nannte noch eine zusätzliche Finanzquelle für den gerechten Übergang: einen "Fonds für Ewigkeitslasten", finanziert von RWE, könnte hier Abhilfe schaffen, denn obwohl die Folgekosten des Kohleabbaus eigentlich von RWE getragen werden müssten, wird von RWE kein Geld zurückgestellt, vielmehr werden Buchungstricks angewandt. Weiterhin hebt Singer hervor, dass es natürlich staatlicher Finanzierung bedarf, um das Wissen in der Region (siehe Universität Aachen, siehe Forschungszentrum Jülich) zu halten. Aleksandra Tomaczak von der europäischen Kommission goss Wasser in den Wein und stellte klar, dass weder im aktuellen noch im zukünftigen EU-Haushalt zusätzliche Gelder für einen gerechten Übergang zur Verfügung stehen werden. Frederik Moch vom DGB betonte, dass der nächste Mehrjährige Finanzrahmen der EU unbedingt mehr Mittel für die Förderung des gerechten Übergangs enthalten müsse, hier können Mittel von der geplanten Verteidigungsunion und dem Juncker-Fonds (EFSI) abgezogen werden. Er verwies auf den Marshallplan für Europa des DGB und ETUC, der 260 Mrd. Euro pro Jahr an öffentlichen Investitionen fordert, davon 150 Mrd. Euro pro Jahr für erneuerbare Energien und Stromspeicher.
Uneinigkeit besteht bei der Frage, inwiefern Gelder aus dem Europäischen Emissionshandelssystem für die Finanzierung des Gerechten Übergangs genommen werden dürfen: da dieses Emissionshandelssystem ein marktbasiertes Instrument ist, gleichzeitig aber ein "Feigenblatt" ist und momentan schlicht unwirksam aufgrund der zu geringen CO2-Preise, sollte kein Geld aus dem Emissionshandelssystem für den gerechten Übergang genommen werden, so argumentierte Molly Walsh von Friends of the Earth Europe. Benjamin Denis von ETUC hingegen wies darauf hin, dass ihre Forderung immer gewesen ist, zwei Prozent der CO2-Zertifikate für den gerechten Übergang beiseite zu legen und dadurch Einnahmen für den gerechten Übergang zu generieren. Er weist darauf hin, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel zwanzig Prozent höher sein könnten, wenn der CO2-Preis angemessen wäre.
Notwendiges Umdenken in den Gewerkschaften der Extraktiven Industrien
Im weiteren Verlauf wurde die Rolle der Gewerkschaften kontrovers diskutiert: einerseits verwies Frederik Moch vom DGB auf den progressiven Investitionsplan „Ein Marshallplan für Europa“ des DGB, der die sozial-ökologische Wende vorantreiben will, andererseits hob Piotr Janiszewski von der RLS Warschau hervor, dass in Polen der Ausstieg aus der Kohle nicht nur von Regierungsseite, sondern teilweise auch von Gewerkschaftsseite kritisch gesehen wird - hier sei es notwendig, die Gewerkschaften und die kommunale Ebene einzubinden, um mögliche Finanzierungsmöglichkeiten des gerechten Übergangs zu diskutieren.
Begrenzte Lösungsansätze auf der Ebene der städtischen Kommunen
Bei den bewährten Verfahren für einen gerechten Übergang gibt der Bürgermeister der kalifornischen Stadt Berkeley, Jesse Arreguin, einige konkrete Beispiele: schon 2009 verabschiedete die Stadt einen der ersten Klimapläne in den USA und setzte damit konkrete Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren, die Senkung von Treibhausgasemissionen, Maßnahmen im Verkehrssektor und Energieeffizienzmaßnahmen an Gebäuden. Die Nutzung von Photovoltaik auf den Dächern wird gefördert, ebenso wie der Ausbau der Infrastruktur für den Radverkehr. Gerade in Zeiten von Trump, der sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurückgezogen hat, sei es wichtig, dass Kommunen und Regionen zusammenstehen und ihre Anstrengungen im Klimaschutz verstärken (siehe Netzwerk Climate Mayors in den USA). Yasmina Sanchez aus Barcelona verweist auf die spanische Bewegung "Mayors for Change", die sich für eine Energieerzeugung in kommunaler Hand einsetzt, den Kampf gegen Energiearmut aufnimmt, Luftverschmutzung bekämpft und die Bürger*innen bei der Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene mit einbezieht. Ihre Stiftung Fundació l’Alternativa hat für Kommunen einen Ratgeber publiziert, der erklärt, welche Gesetze den Handlungsspielraum für die Kommune erweitern. Molly Walsh machte darauf aufmerksam, dass die bloße Existenz von Energiegenossenschaften noch keine Garantie ist, dass die Energieerzeugung in Bürgerhand ist - in einigen Fällen haben sich große Unternehmen in die Genossenschaften eingekauft und sie damit de facto zerstört. Sie betont außerdem, dass wir momentan nur auf der lokalen Ebene handeln und gute Beispiele schaffen können, da die nationale und europäische Ebene politisch zu stark unter dem Einfluss der Lobby für fossile Energien steht. Walsh nennt als ein positives Beispiel das Projekt "Brixton Energy Solar 1" in der Stadt Brixton, die erste innerstädtische Energiegenossenschaft im Vereinigten Königreich, die Photovoltaik im sozialen Wohnungsbau installiert hat und im Kampf gegen Energiearmut nutzt. Takis Grigoriou von Greenpeace Griechenland berichtet vom Projekt "social solar", in dem Mieter*innen von Sozialwohnungen unterstützt werden, um den Schritt in die Eigenstromerzeugung zu wagen. Dazu werden PV-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden durch sog. "virtual net metering" zusammengeschlossen und ermöglichen den Eigenverbrauch dieser Elektrizität durch die Mieter*innen, obwohl sich die PV-Anlage nicht auf dem Dach ihres Wohnhauses befindet.
Europäischen Institutionen müssen mehr für Umsetzung des Paris Agreements tun
Xabier Benito Ziluaga von PODEMOS warnt, dass die nationalen Beiträge aus dem Pariser Klimaabkommen überhaupt nicht ausreichen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen - vielmehr drohe eine Erwärmung des Klimas um mind. drei Grad. Positiv zu bewerten sei die Initiative „Powering Past Coal Alliance“, die auf dem COP23-Gipfel von mehr als 20 Staaten ins Leben gerufen wurde. Allerdings würde es nicht reichen, den Kohleausstieg voranzutreiben - sondern es muss unter Beteiligung der Beschäftigten eine Industrialisierungsstrategie entwickelt werden, um vor allen Dingen auch Arbeitsplätze zu schaffen, und nicht nur in der Weiter- und Fortbildung von Beschäftigten zu verharren (siehe Publikation Industriepolitik). Virag Kaufer von Greenpeace gibt zu bedenken, dass die "Powering Past Coal Alliance" auf dem COP23-Gipfel vor allem von Staaten getragen wurde, die nicht auf Kohleverstromung, aber problematischerweise auf Gas und Öl als Energiequellen setzen. Steffen Kühne von der RLS bezieht sich auf Naomi Klein und hob hervor, dass die Klimakrise eine Chance für alle sein kann, unsere Produktions- und Konsumtionsmuster zu ändern, allerdings werde diese Chance momentan von der Weltgemeinschaft vertan. Um hier einen wichtigen Schritt voranzukommen, brauche es einerseits die Gewerkschaften als Partner und eine solide Finanzierung des gerechten Übergangs, die aber nicht die Staaten des globalen Südens außer Acht lassen darf - hier müssen die entwickelten Staaten endlich einen wirksamen "loss and damage-Mechanismus" zugunsten des globalen Südens mit finanziellen Ressourcen untersetzen (Publication Loss and Damage und Video).
Rust Belt und Lausitz – strukturschwache Regionen beleben
In der abschließenden Diskussion verwiesen sowohl Cornelia Ernst als auch andere Teilnehmer*innen auf die Gefahr eines Rechtsrucks, wenn sich das Gefühl des "Abgehängtseins" bei den Menschen, die in strukturschwachen Regionen leben, verstärke. Dies gelte nicht nur für die Lausitz in Deutschland, sondern lasse sich auch in den sog. Trump-States des ehemaligen "rust belt" in den USA beobachten, aber auch z.B. bei Beschäftigten im deutschen Automobilsektor, die derzeit noch über gut bezahlte Jobs verfügen, sich aber verunsichert fühlen.Manuela Kropp, wiss. Mitarbeiterin im Büro der Europaabgeordneten Cornelia Ernst (Linke Fraktion GUE/NGL), manuela.kropp@ep.europa.eu, Tel. +32 2 2847660
Kontakt: Marlis Gensler, marlis.gensler@rosalux.org
Videos
"Just Transition", Dezember 2017 - Panel 01 (Länge 1:41:03)
"Just Transition", Dezember 2017 - Panel 02 (Länge 1:23:44)
"Just Transition", Dezember 2017 - Panel 03 (Länge 1:16:12)
"Just Transition", Dezember 2017 - Panel 04 (Länge 1:23:37)