Der 12-Stunden-Tag ist ein Beistrich im Programm dieser Regierung

Was bedeutet das neue Arbeitsgesetz für Österreich?

25.07.2018
Sandra Stern
Bild: Shutterstock / Anucha Cheechang

Österreich hat zum wiederholten Mal eine Regierung aus ÖVP und FPÖ. Angesichts der Normalisierung rechtsautoritärer Regierungen gibt es darüber in Europa keine politische Empörung wie es noch Anfang der 2000er Jahre der Fall war. Und im Vergleich zu Schwarz-blau I verfolgt Schwarz-blau II diesmal einen weitaus durchdachteren Plan. So ist die Erhöhung der täglichen maximalen Arbeitszeit nur ein kleiner Baustein im geplanten Umbau des österreichischen politischen Systems.

Als am 30. Juni über 100.000 Menschen in Wien auf die Straße gingen, um gegen das umstrittene neue Arbeitszeitgesetz zu demonstrieren, war dies ein deutliches Zeichen des Widerstands gegen die Politik der aktuellen Regierung und vor allem auch ein Lebenszeichen der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Dies scheint auch bitter notwendig. Denn das im Eilzugstempo von ÖVP, FPÖ und NEOS beschlossene Gesetz erhöht die maximale tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden und – weitgehend unbemerkt – die maximale wöchentliche Arbeitszeit auf 60 Stunden. Darüber hinaus können Zuschläge wegfallen und Unternehmen können Beschäftigte mit Betriebsvereinbarung zukünftig an vier Sonntagen im Jahr zur Arbeit verpflichten. Bisher nahm die Regierung mit ihrer Kürzungspolitik vor allem die sozial Schwächsten ins Visier, wie etwa MindestsicherungsbezieherInnen, Arbeitslose, ältere Beschäftigte, Frauen, Menschen ohne österreichischen Pass. Mit diesem neuen Gesetz steigt nun der Druck auf alle Beschäftigten massiv.

Die Veränderung, die sie meinen

Die Regierung aus ÖVP und FPÖ folgt dabei einer klaren Vision, mit der sie die österreichische Gesellschaft verändern will. Es geht um eine "neue Gerechtigkeit", die das Land brauche. Nach 30 Jahren neoliberaler Politik und der jüngeren autoritären Krisenpolitik in Europa dockt die schwarzblaue Bundesregierung mit diesem zugleich offen rassistischen Kurs nicht nur an soziale Abstiegsängste breiter Bevölkerungsteile an, sondern sie appelliert auch an die individuelle Leistungsbereitschaft für den »Standort Österreich« und an die Eigenverantwortung eines/einer jeden Einzelnen.

So ist der Kampf um die Arbeitszeit naturgemäß eine zentrale Arena des Kräftemessens zwischen Kapital und Arbeit. Schließlich geht es dabei um die Frage, was bekommen wir für die Zeit, die wir arbeiten anstatt ins Schwimmbad zu gehen und vor allem wieviel von unserer Arbeit in Form von Profit ans Unternehmen fließt. Seit Jahren fordert die Wirtschaftsseite daher gebetsmühlenartig eine »Arbeitszeitflexibilisierung« und lanciert dafür regelmäßig kostspielige Kampagnen. Und obwohl das österreichische Arbeitszeitgesetz deshalb mittlerweile aussieht wie ein Schweizer Käse, hat sich diese permanente Forderung als Notwendigkeit in den Köpfen vieler Beschäftigter festgesetzt.

Der Umbau hat begonnen

Doch auf der To-Do-Liste der österreichischen Regierung steht weitaus mehr als nur der 12-Stunden-Tag bzw. das neue Arbeitszeitgesetz. Vielmehr geht es um die Zurückdrängung des politischen Einflusses der Sozialpartner, vor allem jener der Beschäftigtenseite. So haben sich die politischen Kräfteverhältnisse bereits im vergangenen zwei Jahrzehnten weiter zugunsten der Kapitalseite verschoben - vor allem zugunsten des Großkapitals. Und vor allem letzteres hat mit der aktuellen Regierung eine verlässliche Partnerin in der Umsetzung ihrer Wünsche. Die aktuelle Regierungspolitik lässt keinen Zweifel mehr zu: Heute geht es der Regierung um nichts weniger als um die Entmachtung von Gewerkschaften und Arbeiterkammern.

Spuren der Sozialpartnerschaft

Die aktuelle Empörung über den 12-Stunden-Tag ist groß. Österreich ist jedoch ein Land, das nach 1945 weder für seine hohe Streikstatistik noch für starke soziale Bewegungen bekannt ist. Denn 70 Jahre Sozialpartnerschaft hinterlassen Spuren. Selbstverständlich gab und gibt es gesellschaftliche Konflikte, zugleich war die politische Kultur über lange Zeit stark vom Wunsch nach sozialem Frieden und der Idee des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit geprägt. Doch mittlerweile hat die Kapitalseite die damit verbundene Kompromissorientierung in bestimmten Bereichen aufgekündigt. Nur die Gewerkschaftsseite hofft immer noch darauf ihre früheren institutionellen Einflusskänale wieder zurückzugewinnen.

Dominanz der Parteien

Ein bedeutsame Rolle in diesem Zusammenhang spielt der große Einfluß politischer Parteien in Österreich. So konnten AkteurInnen sowohl auf Kapitalseite als auch auf der Seite der Beschäftigten, aber etwa auch beispielsweise anerkannte Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftliche AkteurInnen mittels ihrer institutionellen und personellen Verzahnung mit politischen Parteien Einfluss ausüben. Die »österreichische Formel« der Konfliktvermeidung lautete über viele Jahre: Beteiligung und begrenzter Einfluss für AkteurInnen außerhalb des politischen Parteienspektrums gegen Zustimmung oder zumindest nur leisen Protest zur Regierungspolitik. So wurden sozialpartnerschaftliche und parteipolitische Einflusskanäle zur Hauptstrategie etwa von Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen AkteurInnen. Heute klafft daher in Österreich ein riesiges Loch im Strategierepertoire innerhalb bedeutender Teile der außerparlamentarischen Opposition.

Drohende weitere Spaltung

Der 12-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche ist beschlossene Sache, das neue Arbeitszeitgesetz tritt bereits am 1. September in Kraft. Angesichts der großen sichtbaren Empörung über den 12-Stunden-Tag, mittlerweile kann diese auch die auflagenstarke Kronenzeitung und andere Massenmedien nicht mehr ignorieren, stehen die Chancen nicht schlecht die im Herbst beginnenden Kollektivvertragsverhandlungen dafür zu nutzen. Und aus gewerkschaftlicher Sicht ist es auch die einzige Chance, die nächsten absehbaren Angriffe, diesmal von der Kapitalseite direkt, abzuwehren.

Doch dafür braucht es auf nicht nur auf Branchenebene klare gewerkschaftliche Forderungen, sondern vor allem auf betrieblicher Ebene einen langen Atem. Und es geht nicht nur um den nachhaltigen Aufbau von Konfliktfähigkeit sowie Kampfbereitschaft von BetriebsrätInnen und Beschäftigten, sondern auch um praktische Solidarität. So enthält das neue Gesetz immenses Spaltungspotenzial zwischen den mächtigeren, weil gewerkschaftlich gut organisierten Branchen wie der Metallindustrie und Branchen wie dem Handel, dem Sozial- und Gesundheitsbereich, Teilen der Baubranche sowie prekären Bereiche, in denen überwiegend Frauen und Migrant*innen – häufig auch undokumentiert – arbeiten und in denen entgrenzte Arbeitszeiten längst Realität sind.

Krise als Chance

In der Auseinandersetzung rund um den 12-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche geht es um mehr als nur taktische Manöver. Vielmehr brauchen Gewerkschaften und auch zivilgesellschaftliche AkteurInnen langfristige Strategien, um aus der bereits lange andauernden Defensive heraus zu kommen. Denn das aktuelle Arbeitszeitgesetz ist nur ein Beistrich im Programm dieser Regierung. Die aktuelle Ausgangslage ist alles andere als rosig.

Zugleich bietet sich angesichts der vielfältigen Angriffe durch die aktuelle Regierung auch eine Chance gemeinsam mit unterschiedlichen politischen AkteurInnen neue Strategien zu entwickeln und dadurch konfliktfähiger werden. In gewisser Weise braucht es dafür jedoch eine Emanzipation von politischen Parteien, allen voran von der in der Gewerkschaft tonangebenden SPÖ. Politisch fortschrittliche Kräfte sollten sich selbst organisieren und alternative Machtquellen aufbauen, um unabhängiger zu werden von politischen Parteien, deren Agenda entweder mittlerweile ohnehin deren Entmachtung ist oder die Verwaltung der schrittweisen Verschlechterung.

Sandra Stern war in gewerkschaftlichen Organising-Kampagnen in den USA, Deutschland und Österreich tätig und arbeitet als politische Erwachsenenbildnerin und Prozessbegleiterin. Sie ist Mitgründerin der UNDOK Anlaufstelle und Redakteurin des linken mosaik-Blogs (www.mosaik-blog.at[1]). Aktuell gründet sie in Wien gemeinsam mit anderen das "Bureau für Selbstorganisierung" (www.selbstorganisierung.at[2]).

Ein ausführlicher Text zur Österreichischen Sozialpartnerschaft unter Schwarz-blau von Sandra Stern und Julia Hofmann erscheint demnächst im Kurswechsel: http://www.kurswechsel.at[3]

Links:

  1. http://www.mosaik-blog.at
  2. http://www.selbstorganisierung.at
  3. http://www.kurswechsel.at