Die G20 in Osaka – aus dem Osten nichts Neues

02.07.2019
Florian Horn
GORIMON / Flickr / CC BY-NC 2.0

Ohne demokratische Legitimität, heillos zerstritten und sinkender politischer Einfluss – es steht nicht gut um die G20. Grund dafür ist vor allem der Konflikt zwischen den USA und China, der EU sowie dem Rest der Welt. Wie sind also die vorhersehbar-überraschenden Wendungen, welche die Tagung der Staats- und Regierungschefs der G20 im japanischen Osaka mit sich brachte, zu verstehen, hinsichtlich der Rolle der Welthandelsorganisation (WTO), den Handelskriegen der USA sowie der Strategie der Europäischen Union?

In der Vorberichterstattung zum G20-Gipfel wurde in den sogenannten Leitmedien vor allem eine weitere Runde im Handelskrieg der Vereinigten Staaten gegen den Rest der Welt erwartet. Trumps America First-Politik, die dem sogenannten Multilateralismus in der internationalen Handelspolitik den Garaus machen will, stand im Zentrum dieser Befürchtungen. Doch dazu kam es wieder einmal nicht. Trump bleibt so wie man ihn inzwischen kennt, der unberechenbare knallharte Geschäftsmann als Deal-Maker. Rief er einige Wochen zuvor noch den nationalen Notstand im Handelsstreit mit China aus und belegte den chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei mit Sanktionen, so war die Überraschung groß, als in Osaka eine Kehrtwende im Handelsstreit angekündigt wurde; von einem Waffenstillstand war die Rede, und nun sollen also die Verhandlungen in verbesserter Gemütslage wieder aufgenommen werden. Fantastische Grundstimmung wurde sogleich auf dem Börsenparkett verzeichnet, Börsianer jubelten und Kurse sprangen – da spielte die anhaltend negative Entwicklung in der globalen Produktion kaum eine Rolle.

Die WTO siecht derweil weiter dahin. In der Abschlusserklärung von Osaka wird zwar erneut eine Reform angemahnt, die Problematik des WTO-Schiedsgerichts angesprochen (das durch die Weigerung der USA, neue Richter*innen zu benennen, kurz vor der Funktionsunfähigkeit steht) und es wird das übliche gemeinsame Bekenntnis formuliert, an all dem nach bestem Gewissen zu arbeiten. Jedoch bleibt weiterhin unklar, welche Interessen die Konfliktparteien im internationalen Handelskrieg mit einer WTO-Reform verfolgen, weil eben jede und jeder seine ganz eigene Meinung hat, was unter „fairem“ oder „gerechtem“ Handel zu verstehen sei. Der sogenannte Multilateralismus in seiner heutigen Form ist also vorübergehend nicht mehr in der Krise – er bleibt eine Krisenursache. Denn die WTO war nie eine Organisation, in der solidarisch und auf Augenhöhe darüber verhandelt wurde, wie zum Wohle Vieler der internationale Handel zu organisieren sei, vielmehr handelt es sich um eine Liberalisierungsagentur, in der die Mächtigen ihre Freihandelsideologie weltweit durchzusetzen bestrebt sind.

Trumps teilweise Abkehr von der WTO setzt fort, was nicht erst mit Obama begonnen hatte – wenn auch in radikalisierter Form und mit verändertem Tempo – und auch nach Trump wird sich daran nichts grundlegend ändern. Denn der WTO-Multilateralismus liefert aufgrund seiner Zustimmungsregeln nicht das, was die neoliberale US-amerikanische Klientel erwartet: eine von den US-Interessen geleitete umfassende Wirtschaftsliberalisierung weltweit. Trumps America First-Strategie sollte also mit dem Blick für Kontinuitäten in der US-Politik gesehen werden, dabei gilt es auch, die tieferliegenden und weit in die Vergangenheit zurückgehenden Gründe – wie etwa das strukturelle US-Handelsdefizit – zu berücksichtigen. Einer lahmen WTO setzt Trump – wo immer erfolgsversprechend – bilaterale Deals entgegen (Auge um Auge, Zahn um Zahn). Zudem werden Konflikte forciert, zum Beispiel mit der EU, der er mit Hinweis auf nationale Sicherheitsinteressen Zölle auf Autos androht. An anderer Stelle, insbesondere beim Thema „digitaler Handel“, setzt er dagegen scheinbar eher auf Multilateralismus und versucht mit einer Art Koalition der Willigen die Blockade in der WTO zu überwinden. Dabei geht es darum, die Besteuerung elektronisch gehandelter Güter und Leistungen sowie einen Zwang zur Datenlokalisierung zu verhindern. Den nationalen Regierungen soll also das Recht abgesprochen werden, über die Daten ihrer Bürger*innen zu verfügen. Dies vor dem Hintergrund, dass das Geschäftsmodell der vier Reiter der Apokalypse (Google, Facebook, Amazon und Apple) von dem uneingeschränkten Zugriff auf Nutzerdaten weltweit abhängt. Im Prinzip löst Trump mit seiner handelspolitischen Agenda das ein, was er im Wahlkampf versprochen hat: „die besten Deals aller Zeiten“ für die US-Konzerne auszuhandeln. Und angesichts des beginnenden Wiederwahlkampfes wird sich daran auch wenig ändern.

Die Europäische Union ist derweil bemüht, mit einer Betonung des Multilateralismus ihre eigene Stellung im Handelskrieg zu sichern und auszubauen. Trotzdem kam die Meldung über den Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den MERCOSUR-Staaten (ohne Venezuela, dessen Mitgliedschaft suspendiert ist) während des Osaka-Gipfels überraschend. Durch den Abschluss von Freihandelsabkommen versucht die EU bekanntlich zu retten, was noch zu retten ist, von der Strategie der „deep and comprehensive trade agreements“, welche tief in die nationalen Befugnisse der Verhandlungspartner eingreifen. Vor dem drohenden Scheitern von Osaka wurde so von der EU ein Signal an die USA gesandt, dass die EU auch alleine kann. Ein solches Signal war zuletzt vor dem Hintergrund andrer bestehender Konflikte nicht erkennbar; beispielsweise der Konflikte zwischen den USA und Iran (Atomabkommen), der Konflikt mit Russland, aber auch den „TTIP-light“-Verhandlungen mit den USA, bei denen Trump die Verpflichtung der EU herauspresste, US-Flüssiggas zu kaufen.

Der Abschluss der Verhandlungen über das EU-MERCOSUR-Abkommen wird entsprechend als großer Erfolg zur Verteidigung des Multilateralismus vor der Bedrohung durch Protektionismus à la Trump gefeiert. Verschwiegen wird dabei, dass dieses Abkommen die Fortführung einer verfehlten Wirtschafts- und Handelspolitik ist, die unter dem Label Freihandel große Konzerne zu den Gewinnern macht, auch zulasten von Drittstaaten. Ebenso schweigt die EU zur verheerenden Menschenrechtsbilanz in Brasilien und deren Konsequenzen für das MERCOSUR-Abkommen. Schließlich steht im Vertrag auch eine Menschenrechtsklausel. Warum also nicht gleich die Ratifizierung stoppen, anstelle später aufgrund von Menschenrechtsverletzungen den Vertrag auszusetzten?

Das MERCOSUR-Abkommen muss nun, nach einer formaljuristischen Prüfung, durch die Mitgliedstaaten beider Wirtschaftsräume ratifiziert werden. Hier besteht also noch die Chance, dieses Abkommen zu stoppen. Doch dafür bedarf es einer ähnlichen Mobilisierung wie gegen die Abkommen mit Kanada (CETA) und den Vereinigten Staaten (TTIP). Wie bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik), droht der Kampf gegen das MERCOSUR-Abkommen jedoch zu einer Angelegenheit von wenigen engagierten Organisationen zu werden, deren Leitlinie die Solidarität in internationalem Handel ist. Allerdings haben sich seit der großen TTIP-Mobilisierungswelle zahlreiche globalisierungskritische Netzwerke konsolidiert, der Boden für eine gemeinsame Strategie zur Verhinderung des EU-MERCOSUR-Deals ist also bereitet. Nun geht es darum, ernst zu machen und eine breite Öffentlichkeit zu mobilisieren.