Die europäische Autolobby

07.08.2019
Tobias Haas & Hendrik Sander

Die Geschichte der Europäischen Union (EU) wird häufig als eine des Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität erzählt. Sie lässt sich allerdings auch als eine des rasanten Verkehrswachstums erzählen. Der fossilistische Kapitalismus hat den Verkehrssektor fest im Griff. Im Mittelpunkt dieses Mobilitätsmodells, das zu einer massiven Naturzerstörung führt, steht der Verbrennungsmotor (Candeias et al. 2011; Balsmeyer/Knierim 2018; Haas 2018).

Ein Blick auf die Treibhausgasbilanzen macht das deutlich: Im Jahr 2015 ging etwa ein Viertel der EU-weiten Emissionen auf den Verkehrssektor zurück. Zwar versprachen die Automobilhersteller schon 1998, ihre Treibhausgasemissionen zurückzuführen. Doch die Selbstverpflichtung hatte keinen Effekt auf die Emissionen. Deswegen beschloss die EU für das Jahr 2021 einen verbindlichen Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Ende 2018 hat sich die EU darauf geeinigt, dass die Emissionen der Neuwagen bis 2030 um durchschnittlich 37,5 Prozent sinken müssen. Ein Achtungserfolg für die Umweltschützer*innen. Trotzdem bleiben die Beschlüsse weit hinter dem Klimaabkommen von Paris (2015) zurück, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Das Verkehrswachstum heizt nicht nur die Erdatmosphäre auf. Die in Verbrennungsmotoren freigesetzten Feinstaub- und Stickoxidemissionen schädigen massiv die menschliche Gesundheit. Im Rahmen des Dieselskandals wurde aufgedeckt, dass die Konzerne die Software in Dieselfahrzeugen so manipuliert haben, dass die Feinstaub- und Stickstoffemissionen der Autos in den Labortests um ein Vielfaches niedriger lagen als im realen Straßenverkehr. Während die Gerichte in den USA insbesondere VW zu Milliardenzahlungen verdonnerten, fassen Politiker*innen in der EU die Automobilindustrie bisher mit Samthandschuhen an.

Autos stoßen weiter enorme Mengen giftiger Schadstoffe aus, die Politik unternimmt keine effektiven Schritte dagegen. Ein zentraler Grund dafür ist die wirtschaftliche Macht und politische Lobby der Autokonzerne. VW & Co. zählen zu den mächtigsten Konzernen in der EU.

Seit Jahrzehnten sind sie eng mit den Institutionen der EU verflochten und beeinflussen deren Politik stark. Bis heute können die Autohersteller einen wirksamen Klima- und Umweltschutz im europäischen Verkehrssektor verhindern.

Sie drohen jedoch eine Zeitenwende zu verpassen. Seit Jahren gewinnen alternative Antriebsformen wie Elektroautos, neue Mobilitätsdienstleistungen wie Car-Sharing und die Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel an Bedeutung. Inzwischen wird sogar mit autonom fahrenden Autos experimentiert (PWC 2017; Daum 2018). Vorreiter in der Entwicklung dieser Trends sind Konzerne wie Tesla, Apple, Google oder der chinesische Konzern BYD. Die alteingesessenen Autokonzerne investieren inzwischen ebenfalls Milliarden in neue Technologien. Gleichzeitig versuchen sie, ihr altes auf dem Verbrennungsmotor beruhendes Geschäftsmodell so lange wie möglich zu verteidigen – bisher relativ erfolgreich.

Ob die großen Autokonzerne mit ihrer Lobbymacht die alte Autowelt bewahren können oder ob mittelfristig große Mengen autonomer Elektroautos über unsere Straßen rollen – den Ansprüchen einer sozial-ökologischen Verkehrswende genügt beides nicht. Diese würde auf die Ablösung des Autos durch öffentliche Verkehrsmittel, auf Verkehrsvermeidung und schließlich auf die Umgestaltung von Siedlungsräumen und Zeitregimes setzen (Balsmeyer/Knierim 2018; MISEREOR/Brot für die Welt/Powershift 2018; Haas 2018). Wie können linke Akteure einerseits dazu beitragen, ambitionierte Grenzwerte durchzusetzen und die Abwicklung des Verbrennungsmotors zu beschleunigen? Wie können sie andererseits verhindern, dass die Verkehrswende bei smarten und elektrischen Autos stehen bleibt? Die erste Voraussetzung dafür ist, die enorme Lobbymacht des Autokapitals in der EU zu analysieren und auf dieser Basis Strategien zu entwickeln, um sie aufzubrechen.