Der Geruch der Unregierbarkeit

Der Spanische Staat nach den Novemberwahlen

11.11.2019
Andreas Thomsen

Nach dieser zweiten Parlamentswahl im Spanischen Staat in 2019, sie sollte Klarheit bringen, ist die politische Situation im Lande offener denn je. Es ist unwahrscheinlich, dass auf Grundlage des Wahlergebnisses eine stabile Regierung gebildet werden kann. Zugleich setzt sich die Fragmentierung des Parteiensystems fort. Und: Im rechten Lager aus klerikal-konservativer PP, rechtsliberalen Ciudadanos und rechtsextremer, fremdenfeindlicher und chauvinistischer Vox kam es zu einer deutlichen Verschiebung. Ciudadanos verloren über 9 Prozentpunkte und 47 ihrer zuvor 57 Parlamentssitze. Vox dagegen kam auf 15,8 Prozent, wurde drittstärkste Partei und errang 52 statt bisher 24 Sitze. Die Wahl war tatsächlich ein Triumph für die extreme Rechte unter Santiago Abascal.

In der Schlussphase des Wahlkampfs war es Vox, die den Ton angab. Wirtschaftliche, soziale Fragen spielten kaum eine Rolle. Stattdessen gerieten nationalistische Aufwallungen um den Katalonien-Konflikt immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Die sozialdemokratische Regierung Sanchez demonstrierte einen harten und unversöhnlichen Kurs gegenüber den Separatisten in Katalonien und die drei Parteien der nationalistischen Rechten, PP, Ciudadanos und vor allem Vox zogen nach. Noch am Donnerstag vor der Wahl unterstützen PP und Ciudadanos im Regionalparlament von Madrid einen Vorschlag von Vox, separatistische Parteien, die die „Einheit der Nation“ in Frage stellten zu illegalisieren. Für Vox ging die Rechnung auf, ihr Erfolg ist ebenso ein Zeichen für die Zuspitzung im Lande, wie es auch die stabilen Ergebnisse der katalanischen Separatisten sind.

Aber für den rechten Block sieht es dennoch nicht hoffnungsvoll aus. Zwar gewinnen PP und Vox hinzu, mit dem Absturz der Ciudadanos ist eine rechte Mehrheit weiterhin unerreichbar. Nach der Aprilwahl fehlten den drei Parteien des rechten Blocks 28 Sitze zur Mehrheit, nunmehr sind es noch 25 Sitze. Doch für diese Parteien wäre der Versuch Mehrheiten über die Kooperation mit regionalistischen und separatistischen Parteien zu bilden vollkommen aussichtslos.

Und die Linke? Sie hat sich gespalten. Íñigo Errejón, einer der Gründer von Podemos formierte gemeinsam mit der ehemaligen Bürgermeisterin von Madrid, Manuela Carmena ein neues Wahlbündnis „Mas Pais“, das jedoch nur in 18 der 59 Wahlkreise antrat, landesweit auf 2,3 Prozent der Stimmen kam und drei Mandate im Abgeordnetenhaus errang. Doch es gelang Mas Pais, in Madrid 5,6 Prozent der Stimmen zu erreichen, in Valencia fast 7 Prozent. Dem Bündnis gehören auch einige regionale Linksbündnisse und die grüne Partei Equo an, die noch im April gemeinsam mit Unidas Podemos kandidiert hatten. Insofern stellt diese Spaltung bündnispolitisch und perspektivisch eine empfindliche Schwächung der Linken im Spanischen Staat dar, obwohl das Gesamtergebnis von Mas Pais bei dieser Wahl den Erwartungen nicht entsprechen konnte. Die Verluste von ca. 1,5 Prozentpunkten für Unidas Podemos sind angesichts dieser Lage eher maßvoll ausgefallen.

Im Abgeordnetenhaus, wie es nach den Wahlen im April 2019 zusammengesetzt war, verfügten PSOE und Unidas Podemos zwar ebenfalls über keine Mehrheit, aber es fehlten nur wenige Stimmen zur absoluten Mehrheit. Elf fehlende Stimmen wären – Kompromissbereitschaft ganz besonders gegenüber regionalistischen Kräften aus Baskenland und Katalonien vorausgesetzt – auch zu erhalten gewesen. Im neuen Abgeordnetenhaus nun fehlen PSOE und Unidas Podemos 21 Stimmen zur absoluten Mehrheit. Tatsächlich hätte das (erweiterte) progressive Lager dann eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, wenn PSOE und Unidas Podemos – mit möglicherweise Mas Pais – mit den regionalistischen und separatistischen Kräften vor allem aus Katalonien verständigten. Nach der harten Linie, die PSOE zuletzt gegenüber Barcelona an den Tag legte, dürfte das nicht leicht sein. Und eine stabile Regierung wird eine solche Tolerierung nicht ergeben. Doch ausgeschlossen wurde schon vor der Wahl das mögliche Bündnis aus PSOE und PP, eine große Koalition. Da bleibt, nach Lage der Dinge nur, nun eine wacklige Minderheitsregierung gestützt von regionalistischen Kräften, oder: Neuwahlen. Erneut.

Nur eine Klarheit gibt es also nach dieser Wahl: Die Unfähigkeit des linken Lagers, eine Regierung zu bilden, die Zuspitzung um Katalonien, die auch durch PSOE vorangetrieben wird, der Geruch der Unregierbarkeit des Landes, nützten in diesem Jahr nur einer Kraft, der extremen Rechten. Und es zeigt sich, dass zwischen April und November 2019 eine große Chance vertan wurde.