Wer ernährt uns in diesen unruhigen Zeiten?

Hände, die wir nicht sehen, Namen, die wir nicht kennen

17.04.2020
Soledad Castillero Quesada, Sozialanthropologin
Fotomovimiento via Flickr

Der spanische Begriff für essen, comer, leitet sich aus dem Lateinischen comedere ab. Das Präfix com weist, entsprechend seiner Etymologie, darauf hin, dass wir nicht allein essen sollten. Jenes Verb „comer“ [essen] beinhaltet auch eine Handlung des Humanisierens, denn ohne Nahrung kann der Mensch nicht bestehen. Dieses Verb ist so automatisch wie instinktiv, da es auf ein biologisches Bedürfnis antwortet, das natürlich in einen umfangreichen Kontext aus sozialen und kulturellen Gegebenheiten eingebunden ist, der bestimmt, was, mit wem, wie, von wo und wie viel wir essen usw. Das Essen und damit auch das Verb und die Handlung des Essens selbst, muss ein universelles Recht sein. Welches Problem sollte es in einer Welt geben, die genug Nahrungsmittel produziert, um die gesamte Bevölkerung zu ernähren?

Es ist keine leichte Aufgabe, die Faktoren zu analysieren, die Hunger verursachen, oder besser gesagt, die Hunger produzieren, da Hunger auch das Produkt geopolitischer Logiken des Funktionierens und der Strukturierung von Gesellschaften ist. Die Ursachen sind vielfältig und komplex, obwohl sie auf der gleichen Grundlage basieren, nämlich der Errichtung eines Nahrungsmittelmarktes, der von der Politik einer immer höheren Produktion zu immer niedrigeren Kosten beherrscht wird. Unbegrenzte Produktion für unbegrenzten Verkauf. In diesem Zusammenhang wären Themen zu nennen, wie die Verlagerung der Produktion, prekäre Arbeitsbedingungen, Aneignung, Nutzung und Missbrauch der natürlichen Ressourcen, übermäßige Exporte, hohe Kosten von Grundnahrungsmitteln aufgrund der dauerhaften Export-Nachfrage nach denselben.

Dieser globalisierte Nahrungsmittelmarkt ermöglicht es uns reiche Gesellschaften, Zugang zu Nahrungsmitteln von überall auf der Welt zu haben, die „ethnische Küche“ zu bewundern oder zu glauben, dass wir eine „Weltküche“ praktizieren. Das Gefühl in unseren Mägen wird jedoch sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wo wir uns befinden oder an welcher Koordinate des Erdballs wir leben.

Aber was passiert, wenn unser standardisiertes Szenario ins Wanken gerät? Aktuell wohnen wir einer sozialen Revolte bei. COVID-19 hat uns unter vielen anderen Dingen eine Pandemie der notstandsbedürftigen Ungleichheit vor Augen geführt, die sich schon so eingebürgert hat, dass sie für uns zur Routine geworden ist. Dies ist der Fall bei den Bedingungen, unter denen Lebensmittel produziert werden, um den globalen Lebensmittelmarkt, über den wir sprechen, aufrecht zu erhalten.

Eines der größten Probleme, über das die Medien in den vergangenen Tagen berichteten, sind die fehlenden Arbeitskräfte bei den anstehenden Ernten, die in der Regel von Personen aus unterschiedlichen Breitengraden gestellt werden. Diese Verlagerung der Arbeitskraft ist Bestandteil der Formel, die die Ernährung von heute bestimmt, nämlich mit möglichst geringen Kosten produzieren, um höchstmögliche Gewinne zu erzielen. Damit einher geht allerdings der Verlust von Arbeits- und Sozialrechten.

Zur Veranschaulichung des Problems konzentrieren wir uns auf Andalusien, wo sich die Obst- und Gemüseproduktion durch Exporte als ein wesentlicher Wirtschaftssektor konsolidiert hat und wo wir seit mehreren Jahrzehnten eine große Präsenz von Wanderarbeiter*innen vorfinden.

Der Fall Huelva

Die Nahrungsmittelproduktion in Andalusien ist in vielen Sektoren nach wie vor saisonabhängig. Und ich betone „nach wie vor“, denn ein weiteres Ziel des Lebensmittelmarktes besteht darin, die Jahreszeiten aufzuheben, um kontinuierlich Lebensmittel zu produzieren und dabei die unterschiedlichsten Anwendungen und Ressourcen zu nutzen. Dennoch gibt es Produkte, die dem Verlauf ihres saisonalen Zyklus folgen. Wir werden uns auf drei Profile von Arbeiter*innen während der Saison der roten Früchte konzentrieren, da wir uns hier (von Ende Februar bis Juni) mitten in der Erntezeit befinden.

Die Art und Weise, wie die Früchte geerntet werden, hat es aufgrund der Arbeitsbedingungen derer, die für die Ernte anreisen sowie aufgrund der Ursprungsverträge, die mit den Frauen in Marokko abgeschlossen werden und deren wichtigste Klausel die obligatorische Rückkehr am Ende der Saison ist, mehrfach auf die Titelseiten der Nachrichten geschafft. Dieses System wird als geordnete Migration dargestellt, als Hilfe zwischen Nachbarländern, aber es impliziert eine Beschneidung der Freizügigkeitsrechte, die unmittelbar darin zum Ausdruck kommt, dass die Anwesenheit dieser Frauen nur zu einem bestimmten Zweck und für eine bestimmte Zeit geduldet wird; danach wird sie verweigert und verboten. Was sagt diese temporäre Humanisierung, verbunden mit einem kommerziellen Zweck, über uns als Gesellschaft aus?

In der aktuellen Krise stellt sich nun das Problem, dass die Arbeitsplätze dieser Frauen mitten in der Ernte nicht besetzt werden. Zu keinem Zeitpunkt ging es in der Debatte darum, wo diese Frauen sind, wie es ihnen geht oder wovon sie leben, wenn sie nicht kommen können.

Schauen wir uns die Situation genauer an. Während der Saison kommen auch täglich einheimische Arbeiter*innen aus den verschiedenen Dörfern der Provinz Huelva zu den Anbaugebieten, indem sie Fahrgemeinschaften bilden. In der aktuellen Situation, in der es verboten ist, zu mehreren in einem Auto zu reisen, bleiben viele dieser Personen, die Arbeit haben, zuhause, weil sie nicht wissen, wie sie dorthin kommen sollen.

Eine dritte Gruppe betrifft die Personen, die Arbeit haben und auch dorthin gelangen können, die sich aber danach nicht zuhause aufhalten können, weil sie in einer Hütte aus Holz und Plastik leben, in der es noch nicht einmal Wasser gibt.

Wenn die Notfallmaßnahmen darin bestehen, sich die Hände zu waschen, wo wir kein Wasser haben, zu Hause zu bleiben, wo wir keine Wohnung haben und die grundsätzlichen Tätigkeiten aufrecht zu erhalten, in diesem Fall die Lebensmittelerzeugung, wo wir aber nicht zu unserem Arbeitsplatz gelangen können, weil wir nicht über das entsprechende Transportmittel verfügen, was machen wir in dem Fall? Wer denkt an all diese Dinge? Wo sind diejenigen, die nicht da sein dürfen? Diese Pandemie der Gleichgültigkeit gibt es schon seit langer Zeit.

Kollektive wie Jornaleras de Huelva en Lucha, das Colectivo de Trabajadores Africanos oder die SAT dienen als Bindeglied, um all diese Fragen in Zeiten von COVID-19 aufzudecken. Gerade am Tag des Erlasses der Ausgangssperre hätte eine Demonstration stattfinden sollen, zu der das Colectivo de Trabajadores Africanos von Lepe aufgerufen hatte, um eine menschenwürdige Unterkunft zu fordern. Lange bevor uns die Ausgangssperre ans Haus fesselte, prangerten sie bereits an, dass sie keines haben. Dies hat jedoch nicht verhindert, dass sich heute die Kisten mit Erdbeeren in den Geschäften und Supermärkten der Nachbarschaft stapeln. Es hat nicht verhindert, dass der Sektor der roten Früchte im Jahr 2019 mit rund 719 Millionen Euro und einem Zuwachs von 8,3 % im Vergleich zum Vorjahr einen neuen Rekord aufgestellt hat.

Besorgnis über Arbeitskräftemangel

Es geht nicht darum, wie oder unter welchen Bedingungen all diese Menschen (nicht nur aus Marokko, sondern auch aus Bulgarien, Rumänien und anderen Ländern) in dieser Saison hierher kamen, und auch nicht um die Bedingungen, unter denen sie heute tagtäglich ihre Arbeit verrichten. Es geht weder darum, ob sie Wasser zum Händewaschen, Handschuhe, Masken oder angemessene Toiletten haben, noch darum, wie ein Sicherheitsabstand eingehalten werden kann oder welche Alternativen denjenigen angeboten werden können, die nicht reisen können. Man sorgt sich darum, was mit den vakanten Stellen passiert? Das heißt, ein paar Arbeitgeber fragen sich, was aus ihnen in diesem Jahr wird.

Viele von uns hatten gehofft, dass dies eine Gelegenheit sein würde, den Zustand des Sektors und die Lebensbedingungen von Hunderten von Menschen in unserem Andalusien in Frage zu stellen, doch es bestand Eile, die Produktionsmaschinerie nicht zu verlangsamen. Man hat nicht verstanden, dass dies nicht die Zeit für quantitativen Überfluss, sondern für Transformation ist. Um mit gutem Beispiel voranzugehen und den Ernährungssektor humaner zu gestalten, sollte die Priorität darin bestehen, jeden Tag an unseren Tischen dafür zu applaudieren, dass die Menschen, die für unsere Nahrungsmittelproduktion sorgen, regularisiert sind und menschenwürdige Lebensbedingungen vorfinden. Aber so könnten die Produktionszahlen nicht erreicht werden, denn wie uns Ana Pinto, eine Tagelöhnerin und Aktivistin des Kollektivs Jornaleras de Huelva en Lucha, in einem unserer vielen Gespräche erzählt, scheinen maximale Produktivität und Würde am Arbeitsplatz unvereinbar zu sein:

„Bei der Erdbeerernte gibt es Leute, die man nach Hause geschickt hat oder beschimpft hat, weil sie aufgestanden sind, um sich die Nase zu putzen; mit anderen Worten, die Frage der Produktivität ist brutale Realität in allen Bereichen. Das Einzige, was sie wollen, ist produzieren, produzieren, viele Kilos produzieren. Die Regeln: immer mehr Regeln. Früher gab es viel Kameradschaft, eine sehr gute Beziehung unter den Menschen, denn es gab keine Zielvorgaben bei den Kisten, man drohte nicht damit, jemanden rauszuwerfen, wenn man die Kilos nicht schaffte, vielleicht gab es Listen, aber es gab nicht die Konkurrenz, die es heute auf dem Feld gibt, weil man versucht, nicht hinterher zu hängen, um nicht rausgeworfen zu werden.“

 

Die Realität: ein offensiver königlicher Erlass

Der Ministerrat hat einen königlichen Erlass zur dringenden Eingliederung der Arbeitskräfte gebilligt, die, gemäß seiner Ausführung benötigt werden, um Nahrungsmittelknappheit und steigende Preise inmitten der Pandemie zu vermeiden. Ein königlicher Erlass, der nicht auf die spezifischen Bedingungen der Territorien eingeht, sondern eine Reihe von Richtlinien und allgemeinen Maßnahmen festlegt, unabhängig auch von der Art der Arbeit, die auf den Feldern verrichtet wird.

Der königliche Erlass sieht die Verlängerung der Arbeitserlaubnis für diejenigen Personen vor, deren Verträge zwischen der Erklärung des Ausnahmezustandes und dem 30. Juni abgelaufen wären. Dies beweist, dass die Arbeitskräfte notwendig sind und diese Verlängerung nicht einfach nur ein kostenloser Gefallen ist.

Dagegen werden diejenigen Asylbewerber, die sich seit weniger als sechs Monaten in Spanien aufhalten und keine Arbeitserlaubnis haben, nicht arbeiten dürfen, ebenso wenig wie diejenigen, deren Anträge in einem bürokratischen Verfahren feststecken, d.h. es wird keine Arbeitsmöglichkeit für Migranten „ohne Ausweispapiere“ geben.

So lässt der königliche Erlass die schwächsten Personen außen vor, denn es ist allgemein bekannt, dass in Andalusien viele Menschen ohne Papiere und damit ohne vertragliche Beschäftigung arbeiten. Dagegen hätte der königliche Erlass in einer Situation wie der gegenwärtigen eine Gelegenheit sein können, Menschen in dieser Situation einen regulären Aufenthaltsstatus zu verschaffen. Verschiedene soziale Organisationen, darunter auch Bauernverbände, haben in Petitionen mehrfach, aber vergeblich, dazu aufgerufen.

Darüber hinaus wurde die Nähe zwischen dem Wohnort und dem Arbeitsplatz als Bedingung gestellt, um das Infektionsrisiko bei Autofahrten zu verringern. Viele Arbeiter*innen leben jedoch bereits an schädlichen Orten, die sie nicht vor dieser Pandemie schützen. Der königliche Erlass sagt dazu nichts aus und gewährleistet auch keine menschenwürdigen Wohnverhältnisse für diejenigen, die diese für die Ausführung ihrer Arbeit benötigen.

Humanisierung der Produktion

Bei der Debatte um eine humanisierte Produktion sollte ausgehend vom Standpunkt der betroffenen Personen der Fokus zunächst darauf gelegt werden, wie es den Menschen geht, die sich um die Rettung der Ernten kümmern werden: Was brauchen sie? Lassen Sie uns die Prioritäten als Gesellschaft neu setzen!

Angesichts der Tatsache, dass der Sektor der roten Früchte im Jahr 2019 mit mehr als 700 Millionen Euro einen neuen Rekord aufgestellt hat, interessiert es uns nicht, ob ein Junge in der Barackensiedlung, in der er sich für die Arbeit auf dem Feld ausruht, in einem Feuer verbrennt; genauso unwichtig ist es für uns, dass man, wie Ana Pinto sagt, wegen der Hygienemaßnahmen in einem Gewächshaus von mehr als 40 °C keine Flasche Wasser in seinem Erntewagen mitführen darf.

Zweifellos ist der Konsum heutzutage mehr denn je eine politische Handlung, um das Kollektiv Carro de Combate zu zitieren. Und ohne Zweifel liegt es heute mehr denn je in unser aller Verantwortung, dass sich diese Debatte dringend und unverzüglich in eine andere Richtung bewegt. Andernfalls retten wir nichts, geschweige denn, dass wir diese Pandemie gemeinsam stoppen können.

Dieser schriftliche Applaus richtet sich an sie. Ihre Hände müssen unsere wertvollste Frucht sein.