Schafft Corona den europäischen Green Deal ab?

Covid-19 hat Themen wie den Klimaschutz von der politischen Agenda verdrängt

25.05.2020
Von Cornelia Ernst und Manuela Kropp

Der europäische Green Deal, das wichtigste Vorhaben der Europäischen Kommission in der aktuellen Legislaturperiode, war bis vor Kurzem in aller Munde. Der europäische Green Deal, vorgestellt am 11. Dezember 2019, umfasst Dutzende Gesetzes vorhaben und Strategien, mit denen die EU-Kommission die Klimaerhitzung bekämpfen möchte. Einige Strategien liegen bereits vor, wie die europäische Industriestrategie oder auch die Strategie zur Kreislaufwirtschaft. Konkret liegt auch schon ein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch, das sogenannte Europäische Klimagesetz (European Climate Law).

Nun hat aber die Coronakrise Themen wie Klimaschutz und Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität von der politischen Agenda verdrängt. Als würde die Klimaerhitzung in Zeiten von Corona „Pause machen”. Und als müssten wir nicht umso mehr darauf achten, dass die milliardenschweren Rettungsprogramme gerade klimafreundliche und CO2-arme Sektoren unterstützen. Also z.B. den Ausbau des Pflegesektors und des Gesundheitssektors allgemein, mit einer besseren Bezahlung der Angestellten, Ausbau der erneuerbaren Energien, Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs, Ausbau des Güterverkehrs auf der Schiene und Förderung der warmmietenneutralen Gebäudedämmung.

Die europäische Automobilindustrie wagt sich aus der Deckung und fordert ganz unverhohlen, dass angesichts von Corona nun strengere CO2-Grenzwerte für Neuwagen zurückgenommen bzw. ausgesetzt werden müssen. Eine Industrie, die durch den Dieselskandal nun wirklich bewiesen hat, dass es ohne strenge Regulierung und Überwachung durch den Gesetzgeber keinen Fortschritt gibt und die Schadstoffbelastungen die gesetzlichen Vorgaben um ein Vielfaches übersteigen. Zu unser aller Nachteil – und Mediziner äußern den Verdacht, dass in Regionen mit hoher Schadstoffbelastung der Luft die Todesrate bei Covid-19-Infektionen höher liegt als anderswo.

Im Verkehrssektor steigen seit Jahren die CO2-Emissionen, einmal aufgrund des wachsenden Verkehrsaufkommens insgesamt und andererseits aufgrund des Trends zu immer größeren und schwereren Pkw. Die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors machen ungefähr ein Viertel der Treibhausgasemisisonen der EU insgesamt aus. Hier ist also dringend ein Umsteuern erforderlich, und die Coronakrise darf nicht zum Vorwand genommen werden, die Verschärfung der CO2-Grenzwerte zu verschieben.

Hinzu kommt: Volkswagen in Deutschland fordert eine neue „Abwrackprämie”, in der Art, wie sie in der Finanzkrise 2008/2009 zur Förderung des Verkaufs von Autos eingeführt wurde. Dabei sollte doch statt des Absatzes von Pkw-Neuwagen vielmehr der öffentliche Nahverkehr, gerade auch im ländlichen Raum, gefördert werden – hier können genauso gut Arbeitsplätze geschaffen werden und gleichzeitig massiv CO2-Emissionen eingespart werden. Außerdem: Aufgrund der Corona-Pandemie verschiebt sich offensichtlich der Zeitplan des europäischen Green Deal allgemein – das geht aus einem Leak des veränderten Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission hervor, das am 29. April 2020 vorgestellt werden soll. Am 19. März 2020 wurde bekannt, dass aufgrund der Corona-Pandemie Mitgliedstaaten wie Polen und Tschechien unverhohlen fordern, den europäischen Green Deal auszusetzen. Die Forderung nach Aufweichung bzw. Abschaffung des europäischen Green Deal wurde im Europäischen Parlament von den Fraktionen ECR und ID auch während der Plenardebatte am 26. März 2020 vorgebracht.

Nun gibt es natürlich viel zu kritisieren an den bereits vorliegenden Vorschlägen des europäischen Green Deal (das europäische Klimagesetz ist viel zu schwach angelegt, die Industriestrategie schweigt größtenteils zu Erneuerbaren Energien). Aber den europäischen Green Deal nun auch noch zu verschieben, bedeutet, den Klimaschutz hintanzustellen. Dies darf nicht passieren – allein der drohende Dürresommer 2020 zeigt, wie dringend wir handeln müssen. Einige positive Maßnahmen, die nun zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf europäischer Ebene ergriffen wurden, müssen auch nach Ende der Pandemie erhalten bleiben: die europäischen Regeln für staatliche Beihilfe sind erfreulicherweise ausgesetzt worden, um den Mitgliedstaaten mehr Freiraum bei der Bekämpfung der Krise zuzugestehen. Nach Ende der Pandemie muss dies erhalten bleiben bzw. diese Regeln (die sich die EU-Kommission selbst gibt, ohne demokratische Beteiligung des Europaparlaments) müssen so verändert werden, dass der sozial-ökologische Umbau tatsächlich gelingen kann. Also massiver Ausbau der erneuerbaren Energien, sozialverträgliche Gebäudedämmung, Ausbau des Güterverkehrs auf der Schiene und des ÖPNV. Denn bis zu Beginn der Coronakrise wurden die europäischen Beihilferegeln zugunsten von Atomkraft und Kohlekraft ausgelegt und zuungunsten von Erneuerbaren. Und was zur Bekämpfung von Corona möglich war, muss auch zur Bekämpfung der Klimaerhitzung möglich sein!

Die Diskussion, ob nicht bestimmte globale Wertschöpfungsketten wieder verkürzt werden sollten (bei medizinischer Schutzkleidung und Medikamenten z.B.), müssen wir auch für andere Güter weiterführen. Denn die globalen Verkehrsströme, die aufgrund der global verteilten Liefer- und Wertschöpfungsketten entstehen, erzeugen gigantische, stetig wachsende CO2-Emissionen. Und wir werden niemals das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einhalten können, wenn wir es nicht schaffen, die globalen Transportströme zu reduzieren, die Produktion zurück in die Nähe der Verbrauchsorte zu verlagern und die regionalen Wirtschaftskreisläufe zu stärken. Und was für Medikamente und medizinische Schutzkleidung möglich ist, um Corona zu bekämpfen, muss doch auch für andere Güter möglich sein, um die Klimaerhitzung einzudämmen. Hier bietet also die Coronakrise tatsächlich einen Anknüpfungspunkt für linke Forderungen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 23. Mai 2020 im Neuen Deutschland.

Dr. Cornelia Ernst (LINKE) ist Europaabgeordnete in der Linksfraktion GUE/NGL.

Manuela Kropp arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel, u.a. zu sozial-ökologischer Transformation im Automobilsektor.