Europäischer Automobilsektor – wir brauchen eine Mobilitätswende!

26.06.2020
Manuela Kropp, Projektmanagerin RLS Brüssel

Die Corona-Krise trifft alle Sektoren der Wirtschaft, auch die Automobilindustrie. 12 Millionen Beschäftigte in der EU arbeiten im Automobilsektor – direkt in der Produktion und in der Zulieferindustrie. Dieser macht damit 7% des BIP der EU aus.[1] Die Bedeutung der Automobilindustrie in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten wird angesichts des Anteils der Autofertigungs-Jobs am verarbeitenden Gewerbe deutlich (s. Grafik unten).

Der notwendige Umbau des Sektors betrifft daher Millionen Beschäftigte und eine gut organisierte Autolobby. So hat mitten in der Coronakrise (25. März 2020) der europäische Verband der Automobilindustrie gefordert, die strengeren CO2-Grenzwerte für PKW erstmal auszusetzen. Dabei ist der Verkehrssektor ist der einzige Sektor in der EU, in dem die CO2-Emissionen in den letzten Jahren sogar gestiegen sind[2], und er trägt ein Viertel zu den gesamten CO2-Emissionen der EU bei. Dieser Sektor muss also dringend umgebaut werden, ansonsten können wir die Klimaerhitzung nicht einmal verlangsamen.

Doch nicht nur der Verband der europäischen Automobilindustrie steht einem Umbau des Sektors ablehnend gegenüber, sondern auch viele Beschäftigte. So beklagte die deutsche Gewerkschaft IG Metall, dass das Konjunkturpaket der Bundesregierung vom 3. Juni 2020 nur Kaufprämien für Elektroautos enthält und keine Unterstützung für Verbrenner[3]. Die IG Metall argumentiert verständlicherweise mit drohenden Jobverlusten. Im "Auto-Produktionsland" Slowakei sind durch Automatisierung und E-Mobilität 40% der Jobs in der Autoindustrie bedroht, so dass die Unternehmen immer größeren Druck auf die Beschäftigten ausüben (können) die Arbeitsbedingungen kontinuierlich verschlechtert werden.[4] Hier sind bisher (Stand: 1. Juni 2020) keine Hilfen für den Automobilsektor beschlossen worden, auch wenn Volkswagen und Jaguar dafür bei der slowakischen Regierung geworben haben. Ungarn hat bisher (Stand: 1. Juni 2020) ebenfalls keine direkten Hilfen beschlossen, gewährt aber Garantien für Kredite und Zuschüsse für Kreditrückzahlungen. Frankreich beschloss am 26. Mai 2020 ein Paket von acht Milliarden Euro für E-Autos und Verbrenner (u.a. Kaufprämien) und einen weiteren Kredit von fünf Milliarden für Renault.[5]

Auch ohne Corona: Die Automobilindustrie ist – weltweit – schon seit einigen Jahren in der Krise und verzeichnet sinkende Absatzzahlen.[6] Hier war schon vor der aktuellen Krise dringend ein Umsteuern geboten: für Klimaschutz und Beschäftigungssicherung durch klimafreundliche Produkte.

Eine vermeintlich ökologische Lösung für den Automobilsektor wird sowohl von der europäischen Politik als auch von der deutschen Regierung gefördert: das Elektroauto. Die europäische Kommission schlug am 27. Mai 2020 in ihrem Wiederaufbauprogramm Investitionen in Batterien vor, nebst einer Förderung von 1 Mio. Ladestationen für Elektroautos EU-weit.[7] Auch in der europäischen Industriestrategie vom 10. März 2020 kündigt die europäische Kommission an, die europäische Batterieallianz auszubauen.[8] Doch so klimafreundlich, wie das E-Auto oft dargestellt wird, ist es nicht. Der ökologische "Rucksack", der bei der Produktion insbesondere von Batterie und Karosserie entsteht, ist enorm. Der Vergleich zwischen Elektroautos und Verbrennern fällt abhängig von Nutzungsdauer und verwendetem Strom-Mix unentschieden aus.[9] Für beide gilt: für die Ökobilanz ist es sinnvoll, kleine, leichte, verbrauchsarme Autos zu bauen, und die einmal produzierten Fahrzeuge so lange und mit so vielen Menschen wie möglich zu nutzen.[10] Und mit Elektroautos steht man genauso im Stau wie mit Verbrennern. Auf das Platzproblem in unseren Städten sind Elektroautos keine Antwort. Wir brauchen einen Ausbau der Alternativen zum Automobil – öffentlichen Personennahverkehr, Fernverkehr mit der Bahn, Radverkehr und Güterverkehr auf der Schiene. Mit solch einem Umbau könnten tausende Jobs an den verschiedenen Produktionsstandorten in der EU geschaffen werden: für Deutschland wären das zum Beispiel ca. 100.000 Arbeitsplätze im Schienenfahrzeugbau, in der Waggon- und Triebwagenproduktion sowie Ausbesserungswerke. Weitere 100.000 Jobs kommen in der Entwicklung und Ausweitung der Produktion von E-Bus-Systemen, Klein – und Rufbussen und spezialisierten Nutzfahrzeugen hinzu, und noch einmal 100.000 Arbeitsplätze in der Produktion von Cargo- und E-Bikes.[11]

Wir brauchen also einen grundlegenden Umbau des Automobilsektors hin zu nachhaltiger Mobilität – dafür müssen gesetzliche Vorgaben erlassen und auch vonseiten des Staates Geld in die Hand genommen werden, um den ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) und den Fernverkehr auf der Schiene zu fördern. Das deutsche Rettungspaket zur Bewältigung der Coronakrise enthält jedoch nur wenig zur Unterstützung der Bahn. Mit einem linken Green New Deal müssen wir einerseits eine schnelle soziale und ökologische Transformation der Auto-Modelle erreichen, und zum anderen eine mittelfristige Konversion der Autoindustrie hin zu klimafreundlicher Mobilität wie der Produktion von Fahrzeugen für den ÖPNV und den Schienenverkehr.[12] Um das durchzusetzen, müssen sich Klimabewegung und Gewerkschaften zusammentun, und zwar auch auf europäischer Ebene, damit nicht ein EU-Produktionsstandort gegen den anderen ausgespielt werden kann. Ansätze für Bündnisse dazu gibt es bereits - beispielsweise unterstützen die Students for Future den Kampf der Gewerkschaft ver.di in Deutschland für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV. Das ist ein Anfang.

Referenzen

  1. European Sector Skills Council, Automotive Industry
  2. European Environment Agency, Greenhouse Gas Emissions by aggregated sector (08/06/20).
  3. Tagesschau, Thomas Kreutzmann: Die Wut auf die SPD in der Autokrise, 07/06/20
  4. Marianne Arens, ‘Changes in the car industry threaten Slovakian workers’, 13/02/2020, in: World Socialist Website.
  5. Latham & Watkins: PUBLIC FINANCE SUPPORT (STATE AID) GRANTED TO THE AUTOMOTIVE SECTOR
  6. Stephan Krull, ‘Autokrieg – Krise und Zukunft einer Schlüsselindustrie’, Sozialismus, 5/2017.
  7. COM, Europe’s moment: Repair and Prepare for the Next Generation, 27/05/2020, COM(2020) 456.
  8. KOM, Eine neue Industriestrategie für Europa, Brussels, 10/03/2020, COM(2020) 102.
  9. Electric vehicles from life cycle and circular economy perspectives, European Environment Agency, Report No. 13/2018, 57. 
  10. PowerShift, Merle Groneweg and Laura Weis: Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit
  11. Zeitschrift LuXemburg, Mario Candeias: ‘Der Mietendeckel der Mobilität’, Zeitschrift Luxemburg, May 2020
  12. Die Linke., Bernd Riexinger: Mobilitätswende und sozial-ökologische Transformation der Autoindustrie, 05/05/2020

Dieser Text ist zuerst bei transform!europe erschienen (am 24. Juni 2020).