Bericht zur Online-Konferenz „Transformation der Autoindustrie als internationales Projekt“
Die Wertschöpfungsketten der Autoindustrie erstrecken sich sowohl über mehrere Länder in Europa (von Spanien bis bspw. nach Serbien) als auch über den nordamerikanischen und südamerikanischen Kontinent. Die Autoindustrie ist ein internationales Schwergewicht, und aus diesem Grunde muss auch die Diskussion über eine mögliche Transformation der Autoindustrie hin zu ökologischen Mobilitätsgütern international angelegt sein. 2019 sind weltweit 65 Millionen Autos neu verkauft worden, Millionen Menschen arbeiten in der Autoindustrie und ihren dazugehörigen Zulieferern. Die Wertschöpfungsketten verteilen sich über viele Länder der Erde und stellen für die jeweiligen lokalen Ökonomien einen wichtigen Anteil des verarbeitenden Gewerbes dar. Und die Autoindustrie ist in der Krise – schon vor der Coronakrise sanken die Absatzzahlen, schlicht aufgrund der Überproduktion im Markt. Uns zeigt die fortschreitende Klimaerhitzung, dass Teile der Autoindustrie auf andere, klimafreundliche Mobilitätsgüter umschwenken müssen – hin zu Schienenfahrzeugen für Passagiere und Frachtgüter, und hin zu Fahrzeugen für den Nahverkehr, denn der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem seit Jahren die Treibhausgasemissionen steigen. Wir brauchen also einen globalen Green New Deal für den Verkehrssektor, mit einem Investitionsprogramm in den ÖPNV und den Schienenverkehr – für eine solidarische Mobilität für Alle.
Wir haben Gewerkschafter, Politiker und Klimaaktivisten aus den USA und der EU eingeladen, um über mögliche Ansatzpunkte für eine Transformation der Autoindustrie zu diskutieren. Dabei zeigte sich ganz klar, dass die USA als „Autoland“ mit weitläufigem ländlichen Raum und geschwächten Gewerkschaften noch vor viel größeren Herausforderungen als z.B. Deutschland steht, um eine Diskussion zur notwendigen Transformation der Autoindustrie anzustoßen und tatsächliche Alternativen im ÖPNV und Nahverkehr zu fördern. Beide Referent*innen aus den USA berichteten über lokale Initiativen, um die fußgängerfeindliche und fahrradfeindliche Infrastruktur und die Autozentrierung ihrer Gesellschaft zu thematisieren, und diskutierten „Einstiegsprojekte“ in einer de-industrialisierten Stadt wie Detroit, die mit den Folgen des massiven Strukturwandels der letzten Jahrzehnte zu kämpfen hat. Die Referent*innen aus der EU thematisierten die dringende Notwendigkeit eines stärker ausgebauten ÖPNV und Schienenverkehrs, konkrete industriepolitische Maßnahmen sowie Vorschläge von gewerkschaftlicher Seite, um die Transformation der Autoindustrie anzustoßen.
Programm der Konferenz:
- Einleitung: Andreas Thomsen, Büroleiter Büro Brüssel der Rosa-Luxemburg-Luxemburg-Stiftung
- Martin Schirdewan, Fraktionsvorsitzender der linken Fraktion GUE/NGL im Europaparlament
- Richard Feldman, James and Grace Lee Boggs Center to Nurture Community Leadership, USA
- Angie Schmitt, Author: Right of Way – Race, Class, The silent epidemic of pedestrian deaths in America, USA
- Carsten Hübner, ehemaliger Geschäftsführer Transatlantic Labor Institute, Tennessee, USA
- Frederic Speidel, Referent bei IG Metall Vorstand in Niedersachsen, Deutschland
Moderation: Manuela Kropp, Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel
Andreas Thomsen, Leiter der RLS Brüssel, verwies auf die dringende Notwendigkeit, solidarische Formen der Mobilität jenseits der Automobilität zu fördern, allein die bedrohliche Klimakrise zeige uns jeden Tag, wie wichtig dies sei. Die Lage der Beschäftigten in der Autoindustrie müsse unbedingt berücksichtigt werden, denn ein Teil des deutschen Wohlfahrtsmodells beruhe darauf. So müssten wir diskutieren, wie die internationale Handelspolitik und eine europäische Industriepolitik ausgestaltet sein müssen, um Fahrzeuge des ÖPNV und des Schienenverkehrs zu fördern.
Martin Schirdewan, Fraktionsvorsitzender der linken Fraktion im Europaparlament GUE/NGL / THE LEFT wies auf die anstehende doppelte Transformation (ökologisch und digital) hin: die digitale Transformation werde neue Produktionsmittel und eine neue Besitzendenklasse entstehen lassen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Zukunft der Arbeit, soziale Sicherungssysteme und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Gerade die aktuelle Coronakrise habe zu einer massiven Zunahme der Ungleichverteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Mehrwerts geführt. Die notwendige ökologische Transformation werde natürlich massive Auswirkungen auf die Millionen Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie haben – umso wichtiger sei eine „Just Transition“ (gerechter Übergang) für die Beschäftigten bei gleichzeitiger Arbeitszeitverkürzung, um die Arbeit gerechter zu verteilen. Die Produktpalette der Autoindustrie müsse diversifiziert werden – weniger Fahrzeuge für den motorisierten Individualverkehr, mehr Fahrzeuge für den ÖPNV und den Schienenverkehr. Die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene sei dringend geboten. Allerdings seien Plug-In-Hybride bisher nicht überzeugend, ebenso wie die Umweltbilanz von batteriegetriebenen Fahrzeugen, wenn das Recycling der Batterien bisher nicht geklärt sei. Auch müsse berücksichtigt werden, dass sich die Umweltbilanz von Elektroautos weiter verschlechtert, sobald sie mit fossil erzeugtem Strom betrieben werden. Die europäische Wasserstoffstrategie könne für den Schwerlastverkehr eine Option bieten, auch wenn berücksichtigt werden muss, dass grüner Wasserstoff bisher nicht in ausreichender Menge erzeugt werden kann. Die Förderung des ÖPNV sei dringend geboten – und er muss bezahlbar für Alle sein, oder sogar „zum Nulltarif“ angeboten werden.
Richard Feldman vom James and Grace Lee Boggs Center aus Detroit in den USA reflektierte über die verschiedenen technologischen Revolutionen, denen bspw. Detroit ausgesetzt war und ist, und die immer wieder zu Produktionsverlagerungen geführt hätten. Die industrielle Revolution unter Einsatz von Dampfkraft führte zur Mechanisierung, die Ausdehnung der Strom- und Telegraphennetze sowie der Eisenbahn erleichterte die Massenproduktion, Elektrotechnik, Informationstechnologie sowie die digitale Revolution führte zu weiterer Automatisierung der Produktion. Umso wichtiger sei es, die Produktionsweise von zentralisierter Massenproduktion auf dezentralisierte Produktion in der Gemeinde vor Ort umzustellen. Richard Feldman stellte das von ihm so bezeichnete „J-O-B“-System in Frage und betonte, wie wichtig es sei, die lokalen Strukturen vor Ort zu stärken, um einen wirkliche Green New Deal zu erreichen. Denn angesichts des Klimawandels stünden wir vor dem Beginn einer neuen Epoche.
Angie Schmitt aus Ohio, USA, die seit vielen Jahren auf dem Blog „Streetsblog“ publiziert https://usa.streetsblog.org/author/angie/, erklärte den wichtigen Zusammenhang zwischen Stadtplanung und nachhaltigem Verkehrssystem. Es gäbe eine Bewegung in den USA, die sich für öffentlichen Nah- und Fernverkehr einsetze, allerdings vor allem in den Küstenstädten des Landes. Andererseits gäbe es eine ganz andere Bewegung im Verkehrsbereich, und zwar den wachsenden Verkauf von SUVs – die Autoindustrie in den USA bewege sich quasi „rückwärts“. Seitdem sei auch die Zahl der Fußgängertode angestiegen, da durch SUVs schwerere Verletzungen entstünden. Natürlich erkläre sich der Anstieg der SUV-Produktion durch die enormen Profite, die für die Autoindustrie entstünden. Hinzu komme, dass sowohl Ohio als auch Michigan sog. „swing states“ in den Präsidentschaftswahlen seien, und gerade in diesen Staaten auch Autoindustrie ansässig sei. Weder Republikaner noch Demokraten fassten daher das heiße Eisen „Transformation und ÖPNV“ an. Allerdings gebe es dennoch positive Beispiele wie die Städte Seattle und Minneapolis, die große Summen in den Ausbau des ÖPNV investierten und tatsächlich die Zahl der Pendler, die den ÖPNV nutzen, merklich erhöhen konnten. Andere Städte waren weniger erfolgreich, wie bspw. Los Angeles – hier wurde der Schienenverkehr massiv ausgebaut, aber gleichzeitig nahm die Nutzung des Bussystems ab. Hier komme die Frage der Rassendiskriminierung ins Spiel, denn viele weiße Pendler verzichten gerne auf die Nutzung der Busse, die vor allen Dingen von Schwarzen frequentiert werden. Zu guter Letzt verwies Angie Schmitt auf den Zusammenhang von Verkehrsplanung und Wohnungsfrage bzw. Gentrifizierung.
Carsten Hübner, der ehemalige Leiter des Transatlantic Labor Institute in Tennessee, USA, betonte, dass im ländlichen Raum eine ganz andere Reformdiskussion stattfinden müsse als in den urbanen Räumen. Schon allein die hochflexibilisierte Arbeitswelt mit ihren ausufernden Arbeitszeiten verwehre im Grunde die Nutzung des ÖPNV und zwinge die Beschäftigten, aufs Auto zurückzugreifen. Höchstflexible Mobilität werde von allen Beschäftigten schlicht erwartet. Hinzu käme, dass die Vorstädte (suburbs) so gestaltet seien, dass weder öffentlicher Raum noch öffentliche Infrastruktur existieren könnten – denn das Ziel der neoliberalen Lobby sei es, alles „privat“ zu gestalten. Carsten Hübner verweist auf die „BlueGreen – Alliance“, mit der sich die nordamerikanischen Gewerkschaften in die Transformationsdebatte eingeklinkt hätten (BlueGreen Alliance, Manufacturing Agenda, A National Blueprint for Clean Technology Manufacturing Leadership and Industrial Transformation (https://www.prnewswire.com/news-releases/usw-backs-bluegreen-alliance-national-manufacturing-agenda-301083931.html). Abschließend verwies Carsten Hübner auf die doppelte Funktion der Gewerkschaften – einmal als politische Interessenvertreter und als Mitgliederorganisation. Insofern gelte die Elektromobilität als ein Baustein zur Sicherung zukünftiger Beschäftigung.
Frederic Speidel von der IG Metall Niedersachsen stellte die Vorschläge der IG Metall zur Bewältigung der verschiedenen Krisen vor: sowohl die Coronakrise als auch die ökologische Krise seien existenzielle Fragen, auch für die Beschäftigten in der Autoindustrie. Die IG Metall, in der 2 Millionen Mitglieder organisiert seien, davon 500.000 in der Autoindustrie beschäftigt, stelle Gute Arbeit und Tarifverträge sicher. Schon 2016 habe die IG Metall ein Strategiepapier zu Abgasnormen vorgelegt, 2018 veranstaltete die IG Metall einen bundesweiten Transformationskongress. Zur mittelfristigen Überwindung der Corona- und Strukturkrise schlage die IG Metall verschiedene Instrumente vor: einen Transformationsfonds für Zulieferer, um die Versorgung mit staatlichem und privatem Kapital sicherzustellen; eine sog. „Best-Owner-Group“ zur Begleitung von Zulieferern im Bereich der Produktion von Verbrennungsmotoren; regionale Transformationscluster, um eine präventive regionale Strukturpolitik zu sichern und industriellen Kahlschlag zu vermeiden. Auf dem kommenden Autogipfel Mitte November 2020 werden diese Vorschläge konkretisiert.
In der kurzen abschließenden Diskussion kam einerseits Enttäuschung zum Ausdruck, da die Debatte zur Transformation der Autoindustrie bereits seit vielen Jahren geführt werde. Andererseits wurde deutlich gemacht, wie wichtig dennoch der transatlantische Dialog in dieser Frage sei, auch gerade zur Stärkung der regionalen Wirtschaftskreisläufe und zur Konkretisierung eines Green New Deal. Der teilweise zum Ausdruck gebrachten Enttäuschung setzten andere Diskussionsteilnehmer die Gewissheit entgegen, dass Transformation gelingen kann, es dafür aber eines breiten Rückhalts bei den Beschäftigten bedürfe.
Kontakt:
Manuela Kropp
Projektmanagerin RLS Brüssel
Manuela.Kropp@rosalux.org