Keine Einigung in Sicht
Interview mit Martin Schirdewan zum EU-Haushalt und dem Veto Polens und Ungarns
Andreas Thomsen:
Lieber Martin, Ungarn und Polen haben ihr Veto gegen den EU-Haushalt eingelegt. Kannst Du uns kurz beschreiben, worum sich der Konflikt hier dreht und was dies nun für den EU-Haushalt, aber natürlich auch für die Corona-Hilfs-Pakete auf EU-Ebene bedeutet?
Martin Schirdewan:
Die ungarische Fidesz- und die polnische PiS-Regierung haben in den vergangenen Jahren einen autoritären Umbau in Gang gesetzt, der u.a. darauf abzielt, die Unabhängigkeit von Presse und Justiz, Grundrechte wie die körperliche Selbstbestimmung von Frauen, Grundrechte von Sinti und Roma oder von queeren Menschen abzuschaffen. Die EU hat sich nun aber in den Verhandlungen zum EU-Haushalt dafür ausgesprochen, mit Hilfe eines sogenannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus Mitgliedstaaten, die gegen Demokratie und Rechtsstaat verstoßen, finanziell schlechter zu stellen. Davor haben Ungarn und Polen aus oben dargestellten Gründen berechtigte Angst. Und deshalb haben sie ihr Veto gegen das EU-Budget eingelegt. Zur Zeit gibt es somit keinen gültigen Haushalt für die in wenigen Wochen beginnende Haushaltsperiode 2021-2027.
Andreas Thomsen:
Gibt es einen Weg, die dringend benötigten Corona-Hilfspakete trotz Veto aus Ungarn und Polen dennoch an den Start zu bringen?
Martin Schirdewan:
Es scheint in diesem Jahr keine Einigung in Sicht zu sein, wie es Kanzlerin Merkel schon nach der letzten Video-Schalte mit den anderen Regierungschef:innen angekündigt hatte.
Die Corona-Hilfsfonds könnten aber mit Hilfe der verstärkten zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, also einem internationalen Abkommen unter den anderen 25 EU-Mitgliedstaaten, endgültig und das ungarische und polnische Veto umgehend, verabschiedet und damit den notleidenden Regionen zugänglich gemacht werden.
Wird das EU-Budget nicht in diesem Jahr verabschiedet, tritt für das Haushaltsjahr 2021 ein Nothaushalt in Kraft, bei dem Beamtengehälter und die Zuwendungen für die Agrarwirtschaft unvermindert weiterfließen, andere Mittel aber nur eingeschränkt.
Andreas Thomsen:
Wie ist die Haltung der Linksfraktion im Europäischen Parlament zum EU-Haushalt und den Hilfspaketen?
Martin Schirdewan:
Die Linke begrüßt den Beschluss zu den Hilfspaketen, da sie vielen Mitgliedstaaten im Süden der EU davor bewahren können, dass die Wirtschaft und damit auch die Gesellschaft kollabieren. Aber bei der konkreten Umsetzung haben wir große Bauchschmerzen, denn zum einen werden die zur Verfügung gestellten Kredite dem Europäischen Semesterprozess untergeordnet, also tendenziell weiter unter die Spar- und Kürzungspolitik fallen und darüber hinaus ist zum anderen nicht ausgeschlossen, dass die Gelder als Investitionen in fossile Energien fließen und damit dem Klimaschutz zuwiderlaufen.
Wenn wir uns die ursprünglichen Forderungen des Parlamentes ansehen, ist der bisher geplante Haushalt im Kern eine schwere Niederlage des Parlamentes. Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf einen historisch niedrigen Haushalt verständigt, der damit weit hinter den Forderungen des Parlaments zurückbleibt. Es wird weiterhin Rabatte für Mitgliedstaaten geben und gleichzeitig zu wenig Investitionen in die Zukunft der Jugendlichen, was angesichts der wieder stark ansteigenden Jugendarbeitslosigkeit einen Hohn darstellt. Kürzungen bei den Investitionen in die Regionen, von denen in den vergangenen Jahren viele KMUs profitieren konnten, Kürzungen bei den Sozialfonds und gleichzeitig ein historisch hoher Militär-Haushalt, u.a. mit dem sogenannten Europäischen Verteidigungsfond setzen völlig falsche Prioritäten. Frieden erreicht man nicht mit Militär, weshalb die Linksfraktion auch gegen diesen EVF notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof klagen wird. Da diese ganzen Punkte in den Augen der Linken total in die verkehrte Richtung gehen, werden wir dem Haushalt auch nicht zustimmen können.
Andreas Thomsen:
Unabhängig nun vom Veto der beiden Länder: Die Bürgerrechts- und Menschenrechtslage in Polen wie auch in Ungarn wird zunehmend problematisch. Zuletzt gab es in Polen Massenproteste gegen die erneute Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung. Kann die EU auf Dauer akzeptieren, dass EU-Mitgliedsländer einen immer deutlicheren autoritären Kurs einnehmen? Was sind hier Vorschläge und Forderungen der Linksfraktion im Europaparlament an die Adresse der Kommission und das Parlament?
Martin Schirdewan:
Das Verhalten der ungarischen Fidesz und der polnischen PiS kommt ja nicht von ungefähr und die Rechtsbrüche finden nicht erst seit der Wahl des Europäischen Parlaments 2019 statt. Ungarn und Polen haben der Demokratie den Kampf angesagt. Orbans Fidesz-Partei ist noch Mitglied in der Europäischen Volkspartei mit der CDU und CSU. Sie waren willkommene Partner als es zB darum ging, Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin zu wählen. Die Schwäche der Konservativen, klare Kante gegen Autokraten zu zeigen, macht erst die Stärke von Orban und Co. Aus. So lange ihr Handeln folgenlos bleibt und im Gegenteil noch als Vorbild für andere Mitgliedstaaten dient, wird die Europäische Union Glaubwürdigkeit und demokratische Legitimation verlieren und politisch handlungsunfähig von Krisengipfel zu Krisengipfel wanken.
____________________
Martin Schirdewan ist Ko-Fraktionsvorsitzender der Linken (GUE/NGL) im Europäischen Parlament
Andreas Thomsen ist Büroleiter des Büros Brüssel der Rosa-Luxemburg-Stiftung