Wasserstoff – neues Erdöl im Verkehrssektor?

07.12.2020
Manuela Kropp, Projektmanagerin Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Die Diskussionen über Wasserstoff und wie er beim ökologischen Umbau unserer Wirtschaft helfen kann, sind in aller Munde. Im Juli 2020 veröffentlichte die europäische Kommission ihre Wasserstoffstrategie [1] als Teil des europäischen Green Deal. 26 europäische Mitgliedstaaten haben sich der „Wasserstoffinitiative“ angeschlossen, und 14 Mitgliedstaaten haben Wasserstoff in ihren nationalen Strategien für alternative Kraftstoffe berücksichtigt. Im Sommer 2020 legte Deutschland seine nationale Wasserstoffstrategie [2] vor, ebenso wie die USA [3].

Um die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens einhalten zu können, sind sofortige und umfassende Emissionsminderungen notwendig, und zwar in allen Bereichen, wo viele Treibhausgase anfallen: Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr. Und Wasserstoff kann hier ein wichtiges Mittel sein, wenn auch kein Allheilmittel. Die Nachfrage nach Wasserstoff in Deutschland könnte in einem klimaneutralen Energiesystem zwischen 25 und 55 Prozent des zukünftigen gesamten Energiebedarfs entsprechen, und damit dem 8 bis 18-fachen der heutigen Erzeugung von Wasserstoff. [4]

Aber Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff – es kommt sehr darauf an, wie der Wasserstoff produziert wird. Geschieht dies mit erneuerbarem Strom, so ist der dann entstehende Brennstoff „grüner Wasserstoff“ und damit ein hervorragender CO2-armer Energieträger, der zum Beispiel in der energieintensiven Stahl- und Zementproduktion dringend gebraucht wird. Ja, man kann fast sagen, ohne diesen Wasserstoff werden diese Industriezweige nicht dekarbonisiert werden können. Wird der Wasserstoff aber mit fossilen Brennstoffen (z.B. Erdgas) hergestellt, so wie dies heute in den allermeisten Fällen geschieht, so kann er keineswegs als klimaschonend gelten und ist dann ganz im Gegenteil ein Schlupfloch für die europäische Gasindustrie, um an fossilen Brennstoffen festhalten zu können. Die europäische Kommission wendet sich in ihrer Wasserstoffstrategie leider weder gegen mit Erdgas hergestellten Wasserstoff (blau) noch gegen mit Atomstrom hergestellten Wasserstoff (gelb).

Im Verkehrssektor, der europaweit für ca. ein Viertel der Treibhausgase verantwortlich ist, werden sog. „alternative Kraftstoffe“ als vermeintlich sinnvolle Alternativen gehandelt: strombasierte Kraftstoffe wie Wasserstoff und synthetische E-Fuels [5]. Ganz aktuell zerbricht sich eine Arbeitsgruppe der deutschen „Nationalen Plattform Mobilität der Zukunft“ im Auftrag der deutschen Bundesregierung darüber den Kopf. [6] Es geht dabei um die Frage, ob der Einsatz von alternativen Kraftstoffen auf die europäischen Flottengrenzwerte im Sinne einer Emissionsminderung angerechnet werden darf. Die Autobauer sind dafür und nennen den Einsatz der Brennstoffzelle „emissionsfrei“ [7], die Umweltverbände warnen jedoch zu recht, dass z.B. „grüner Wasserstoff“ nicht als Treibstoff in PKW verschwendet werden dürfe, sondern, wenn überhaupt, nur begrenzt im Schwerlastverkehr, der Schifffahrt oder der Luftfahrt zum Einsatz kommen solle, wo eine Elektrifizierung schwer zu erreichen ist.

Allerdings ist auch klar, dass der Güterverkehr auf der elektrifizierten Schiene, betrieben mit erneuerbarem Strom, viel klimaschonender ist als der mit „grünem Wasserstoff“ betriebene Schwerlastverkehr auf der Straße es jemals wäre. Denn bei der Umwandlung von erneuerbarem Strom und Wasser zu Wasserstoff entstehen Umwandlungsverluste, die bei einer direkten Nutzung im elektrifizierten Schienenverkehr nicht auftreten. [8] Der Güterverkehr auf der elektrifizierten Schiene ist also um vieles klimafreundlicher als mit „grünem Wasserstoff“ betriebene Schwerlasttransporte. Für den Schienenverkehr ist ein grenzüberschreitender, europäischer Ansatz notwendig, denn an vielen Stellen im Schienennetz fehlt die Elektrifizierung bzw. es bestehen Infrastrukturlücken an den Grenzübergängen zwischen den Mitgliedstaaten. In den vergangenen Jahren lag europaweit der Anteil der Schiene beim Güterverkehr nahezu unverändert bei schlappen 18 % [9] – das ist klimapolitisch nicht hinnehmbar.

Umso problematischer ist, dass einige Autobauer wie Daimler bereits auch auf den Wasserstoffantrieb setzen, BMW und Audi wollen nachziehen und planen ebenfalls, ein PKW-Modell mit Brennstoffzelle auf den Markt zu bringen. [10] Daimler will 2023 mit seinem ersten Wasserstofftruck in die Kundenerprobung gehen, ab 2025 dann in Serie. [11] Dies ist höchst problematisch, denn „grüner Wasserstoff“, hergestellt mit Strom aus erneuerbaren Quellen, ist viel zu wertvoll, um ihn im motorisierten Individualverkehr oder auch im wachsenden Schwerlastverkehr auf der Straße zu verschwenden. Denn der europäische Strom-Mix (ohne Wärme) im Jahr 2019 enthielt nur ca. 35% erneuerbaren Strom, die verbleibenden 65% entfallen auf Kohle, Erdgas und Atomstrom [12]  – „grüner Wasserstoff“ hergestellt mit erneuerbarem Strom muss dementsprechend sparsam eingesetzt werden. Er sollte nur in der Industrie, bspw. bei der Stahl- und Zementproduktion zur Anwendung kommen.

Der gesamte Energieverbrauch für die EU enthielt im Jahr 2017 nur ca. 15 Prozent erneuerbare Energien [13] – wir brauchen aber mindestens 50 Prozent bis 2030 [14], um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Hier müssen also die europäischen Gesetzgeber in der Energiepolitik und Verkehrspolitik umsteuern: die europäischen Ausbauziele für Erneuerbare müssen dringend angehoben werden (von aktuell 32% auf mind. 50% des Endenergieverbrauchs bis 2030), auch, um ausreichend „grünen Wasserstoff“ zu erzeugen; die europäischen Beihilferichtlinien müssen in der anstehenden Reform 2021 einen starken nationalen Ausbau der Erneuerbaren unterstützen und Kohle- und Atomkraft eine Absage erteilen; strombasierte alternative Kraftstoffe dürfen nicht in PKW, und möglichst auch nicht im Schwerlastverkehr zum Einsatz kommen; der ÖPNV in Stadt und Land muss überall ausgebaut werden, und der Anteil des Schienenverkehrs für Fracht und Passagiere in der EU muss dringend wachsen.

Wir brauchen also eine europäische Industriepolitik, die auf den massiven Ausbau der Erneuerbaren setzt, auf alternative Produktionskapazitäten für Fahrzeuge des Schienenverkehrs und des ÖPNV [15] und auf eine „grüne Wasserstoffstrategie“ für bestimmte industrielle Sektoren. Hierzu gibt es in vielen linken Parteien in der EU eine interessante Diskussion [16] – bspw. schlägt der Präsident der belgischen ptb, Peter Mertens, in seinem neuesten Buch die Schaffung von europäischen öffentlichen Konsortien vor, also so etwas wie Airbus, aber absolut öffentlich, mit paneuropäischen Produktions- und Verwaltungsgesellschaften auf dem gesamten Kontinent, für Energie, für Verkehr und für den digitalen Wandel. [17]

Für 2021 hat die europäische Kommission das „Jahr der Schiene“ ausgerufen. Wird Zeit, dass sie Wort hält und der Europäische „Green Deal“ tatsächlich die sozial-ökologische Transformation voranbringt. Denn „grüner Wasserstoff“ wird niemals das neue Erdöl sein können.

Referenzen

[1] Eine Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa, COM 2020 301 final https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/fs_20_1296

[2] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Die nationale Wasserstoffstrategie, Juni 2020 https://www.bmbf.de/files/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf

[3] US Department of Energy, Hydrogen Strategy, Enabling a low carbon economy, July 2020

[4] Wuppertal Institut (2020), CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-Grad Celsius-Grenze. Bericht. Wuppertal, Seite 15

[5] https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-09-24/german-carmakers-seek-e-fuel-help-as-eu-tightens-climate-goals (abgerufen am 7.12.2020)

[6] Alternative Kraftstoffe, Wirtschaft und Umweltverbände uneins, Handelsblatt, 1.12.2020

[7] https://www.vda.de/de/themen/innovation-und-technik/antriebstechnik/alternative-antriebe.html

[8] Siehe auch: Kleine Anfrage LINKE. Bundestagsfraktion, 4. August 2020, Ökologische Folgen und Kosten der Wasserstoffwirtschaft

[9] Eurostat, Energy, Transport and Environment Statistics, 2019 edition, S. 76

[10] Brennstoffzellen-Autos: diese Modelle mit Wasserstoffantrieb gibt es schon, https://efahrer.chip.de/e-wissen/brennstoffzellen-autos-diese-modelle-mit-wasserstoff-antrieb-gibt-es-schon_10814, abgerufen am 27.10.2020

[11] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/wasserstoff-trucks-daimler-will-diesel-lkw-bis-2030-ueberfluessig-machen/26190916.html?ticket=ST-8693441-D7nb5vL5VBTcBcTHLPck-ap6 (abgerufen am 7.12.2020)

[12] https://www.rechargenews.com/transition/renewables-provided-record-35-of-eu-power-in-2019-as-coal-collapsed-report/2-1-750790

[13] Eurostat, Energy, Transport and Environment Statistics, 2019 edition

[14] Siehe Pressemitteilung Climate Action Network vom 30.11.2020 http://www.caneurope.org/publications/press-releases/2052-eu-on-the-right-path-in-emission-reductions-but-it-must-pick-up-the-pace-towards-2030

[15] Wie Arbeitsplätze durch die neuen Produktionskapazitäten geschaffen werden können: Mario Candeias, Der Mietendeckel der Mobilität, Luxemburg, Mai 2020 https://www.zeitschrift-luxemburg.de/mietendeckel-der-mobilitaet/

[16] Siehe hier eine Veranstaltung der linken Fraktion im Europaparlament THE LEFT zu Wasserstoff https://www.guengl.eu/events/the-future-of-clean-energy/

[17] Peter Mertens, Uns haben sie vergessen, Die werktätige Klasse, die Pflege und die Krise, die kommt, Berlin 2020, S. 132