Die Welt läuft heiß, Europas Rechte läuft sich warm

Wie die rassistische Rechte die Klimakrise für sich nutzt und was wir dagegen tun können

26.01.2021
Hilary Moore

Über das Buch

Beim Klimawandel geht es um mehr als gerechte Emissionsziele und kollabierende Ökosysteme. Der Klimawandel ist politisch. Er eröffnet uns die Möglichkeit, für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen. Die Reaktion auf den Klimawandel ist in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Bühne des politischen Engagements geworden. Ob es die weltweit organisierten Schulstreiks sind oder der Green New Deal – immer mehr Menschen weltweit suchen nach Möglichkeiten für gemeinschaftliche Aktionen, um echte Lösungen zu finden und damit den Weg für transnationale Verhandlungen zu öffnen. Vor diesem Hintergrund ist es einfach, fossile Energieunternehmen oder Politiker*innen, die ernsthafte Maßnahmen gegen den Klimawandel verweigern, als Boykotteure der Aussicht auf eine gerechtere Gesellschaft mit einem stabilisierten Klima zu brandmarken. Allerdings gibt es noch eine weitere, weniger bekannte, aber dafür umso ernster zu nehmende Bedrohung in der klimapolitischen Szene: die rassistische Rechte.

Es ist kein Geheimnis, dass die kritische ökologische Schwelle, nach deren Überschreitung das Klima nicht mehr stabilisiert werden kann, schnell näher rückt. In einigen Regionen wurden diese Kipppunkte bereits erreicht. Seit Jahrzehnten warnen die Wissenschaft und Gemeinschaften, die unmittelbar von dieser Krise betroffen sind (Frontline-Gemeinschaften), vor dieser Entwicklung. In Europa lassen sich die Auswirkungen der Erderwärmung nicht mehr übersehen – die Gletscher in den Alpen schmelzen, es gibt ausgedehnte Waldbrände und massive Ernteausfälle, die Lyme-Borreliose breitet sich immer weiter aus, die Gewässer des Kontinents werden verschmutzt und abrupte Hitzewellen führen zu Algenblüte und sterbenden Fischen aufgrund von Sauerstoffmangel.

Der globale Rechtsruck in der politischen Landschaft ist dabei ein weiterer, schnell an Bedeutung gewinnender Faktor, der die politischen Möglichkeiten der Durchsetzung einer gerechteren Politik, fairer Sozialnormen oder sogar die Inanspruchnahme grundlegender Menschenrechte verschiebt. Wir können diesen Trend bei Donald Trump in den Vereinigten Staaten, Boris Johnson im Vereinigten Königreich, Narendra Modi in Indien und Rodrigo Duterte auf den Philippinen beobachten. Die sich daraus für die Gerechtigkeit ergebenden Bedrohungen sind erheblich, und der klimaskeptische brasilianische Präsident Jair Bolsonaro lässt mit der Androhung der weiteren Abholzung des Regenwaldes im Amazonas keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage.

Diese Maßnahme wird nicht nur weitere folgenschwere ökologische Auswirkungen haben, sondern auch die Existenzen und das Leben der indigenen, dort lebenden Bevölkerung gefährden.
Nach Erkenntnissen einer 2019 von Eurobarometer im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführten Studie halten 93 Prozent der Europäer*innen den Klimawandel für ein ernsthaftes Problem und 92 Prozent sind der Meinung, dass sich ihre Regierung ambitionierte Ziele setzen sollte, um den Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen.4 Dies ist eines der Anzeichen dafür, dass der Klimawandel zu einem bedeutenden politischen Thema geworden ist. Da außerdem nach der Europawahl 2019 mehr ultrarechte und rechtspopulistische Politiker*innen Sitze im Europäischen Parlament gewonnen haben als je zuvor, können wir davon ausgehen, dass die politische Rechte auf dem Terrain des Klimawandels verstärkt politischen Einfluss ausüben wird.

Die Rechte besetzt das Politthema Klimawandel auf vielfache Weise, von der fortgesetzten Unterstützung der Macht fossiler Konzerne bis hin zur Ablehnung internationaler Verhandlungen über den Klimawandel. Die vorliegende Publikation befasst sich mit den möglichen rassistischen und fremdenfeindlichen Interpretationen der Umweltproblematik sowie mit den verzerrten Narrativen über Demokratie, Migration, Nationalismus und Repression, die sich die rassistische Rechte zu eigen macht. Anders gesagt können die gefährlichen Diskurse, die oft radikal rechten Tendenzen entspringen, mühelos ihren Weg in konservative und Mitte-rechts-Gruppen finden und sich auf diese Weise im politischen Mainstream etablieren. So kann eine rechtskonservative Partei durchaus ein Narrativ der radikalen Rechten übernehmen, um eine wachsende Anhängerschaft dieser Themen für die eigene Partei zu gewinnen, oder eine rechte Partei steht antidemokratischen, rassistischen Gruppen nahe oder versammelt diese sogar in der eigenen Partei.

Die vorliegende Studie befasst sich deswegen in erster Linie damit, wie der vom „rechten Flügel“ allgemein und von der radikalen Rechten insbesondere geführte Klimadiskurs das Spektrum rechtsgerichteter Gruppierungen durchzieht.
Die hochaktuellen Fragen lauten: Was können linke Akteure unternehmen, um zu verhindern, dass radikal rechte Ideologien die Klimapolitik und die Klimabewegung bestimmen? Wie nehmen radikal rechte Ideologien Einfluss auf das allgemeine Verständnis des Klimawandels im rechten politischen Spektrum? Der Prozess, Antworten auf diese Fragen zu formulieren, wird linke und progressive Bewegungen besser aufstellen, um politisch machbare Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Die Studie ist ein Ausgangspunkt für alle diejenigen, die mehr über den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Argumentation rechter Gruppierungen verstehen wollen. Der erste Abschnitt untersucht umfassend, in welcher Weise Klimapolitik nach rechts oder links ausschlagen kann, und beschreibt ebenfalls, in welcher Weise bestimmte Narrative über den Klimawandel Rassismus und faschistische Tendenzen befeuern können. Der zweite Abschnitt untersucht, wie unterschiedlich radikal rechte Gruppen (innerhalb und außerhalb des Parlaments) die Klimapolitik in sechs europäischen Ländern beeinflussen, nämlich Ungarn, Deutschland, Polen, Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich. Die Studie analysiert den spezifischen Kontext in jedem Land und wie sich der Widerstand heute darstellt. Der dritte Abschnitt enthält Erkenntnisse und Fragen für Menschen, die breit aufgestellte Bewegungen für Klimagerechtigkeit bilden wollen, während der vierte Abschnitt einige Möglichkeiten für die Nutzung dieser Studie beschreibt sowie ein Glossar, Vorschläge für die weiterführende Lektüre und Hinweise über die angewandte Methodik beinhaltet.

 

Über die Autorin

Hilary A. Moore ist freie Autorin und engagiert sich in der politischen Bildung gegen Rassismus. Sie ist Mitautorin des Buchs No Fascist USA! The John Brown Anti-Klan Committee and Lessons for Today’s Movements (City Lights/Open Media, 2020) und Organizing Cools the Planet: Tools and Reflections to Navigate the Climate Crisis (PM Press, 2011). Sie lebt in Berlin, Deutschland.