Die Europäische Linke und der Green New Deal

12.02.2021
Heinz Bierbaum
Brussels Climate March

Unser Leben wird gegenwärtig in jeder Hinsicht von der COVID 19 Pandemie beherrscht. Die Pandemie und wie ihr zu begegnen sei, bestimmt die öffentliche Diskussion. Dies ist angesichts der enormen ökonomischen und sozialen Folgen verständlich. Doch wir haben es nicht nur mit den Auswirkungen der Pandemie zu tun, sondern mit sehr weitreichenden strukturellen Veränderungen im gesellschaftlichen Produktionsprozess. Diese hängen vor allem mit den ökologischen Herausforderungen und dabei in erster Linie mit dem Klimawandel zusammen. Eine auf fossilen Energien beruhende Produktion hat keine Zukunft mehr. Gleichzeitig werden damit die ohnehin der kapitalistischen Produktionsweise eigenen Widersprüche verstärkt. Mit den Konzepten des „Green New Deal“ soll sowohl diesen Widersprüchen als auch vor allem den ökologischen Herausforderungen begegnet werden.

Bereits seit geraumer Zeit gibt es eine breite Diskussion um den „Green New Deal“. Stellvertretend sei nur auf das Buch von Naomi Klein (1) verwiesen, das erheblich zu seiner Bekanntheit beigetragen hat. Oft wird auch von der Notwendigkeit sozial-ökologischer Transformation der Industrie gesprochen, was in die gleiche Richtung geht. Auch im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf  spielte der Green New Deal eine wichtige Rolle. Propagiert wurde er insbesondere von den Democratic Socialists und linken Demokraten, wobei vor allem Alexandria Ocasio-Cortez große Bekanntheit erlangte. Mit dem Ausscheiden von Bernie Sanders und der Nominierung Joe Bidens ist das Konzept allerdings in den Hintergrund gerückt. Es wird aber weiterhin bei den Sozialisten und den linken Demokraten im Mittelpunkt ihres politischen Engagements stehen. Ich will mich im Folgenden jedoch auf die europäische Ebene konzentrieren und dabei besonders auf die Europäische Linke eingehen.

Nahezu alle sprechen auch in Europa  von der Notwendigkeit eines „Green New Deal“  oder der „sozial-ökologischen Transformation“ . Dahinter verbergen sich jedoch ganz unterschiedliche Konzepte. So hat die Europäische Kommission einen „European Green Deal“ lanciert. Ziel ist es, die Europäische Union bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen. Wesentliche Elemente sind Investitionen in umweltfreundliche Technologien, die Decarbonisierung der Energie, die energetische Sanierung von Gebäuden, sauberer und gesünderer privater und öffentlicher Transport. Die EU sollte sich insgesamt in Richtung einer grünen Wirtschaft bewegen. Mindestens 100 Milliarden Euro sind dafür für den Zeitraum von 2021 bis 2027 vorgesehen. Auch der kürzlich  in Zusammenhang mit der Pandemie-Bekämpfung beschlossene „Recovery Fund“ soll dieser Zielsetzung dienen. Zurecht wird kritisiert, dass diese Pläne unzureichend sind und die Klimaziele früher erreicht werden müssen. Vor allem aber steht zu befürchten, dass die Europäische Kommission in ihrem neoliberalen Dogma befangen bleibt. Zwar sind in einige Elemente der Austeritätspolitik wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt suspendiert worden. Sie sind jedoch nicht wirklich aufgegeben worden, und es ist offensichtlich, dass die europäische Kommission und die Regierungen wieder zur vorherigen Politik zurückkehren wollen.

Ein anderes europäische und durchaus ambitioniertes Konzept hat die Kampagne „Green New Deal“ vorgelegt, die von DiEM 25 im April 2019 initiiert wurde. Es handelt sich um eine internationale Kampagne für ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Europa. Es wird davon ausgegangen, dass mit den Ressourcen, die wir bereits heute zur Verfügung haben, die Vision einer Welt, die frei von Krieg, Armut und Ungleichheit ist, realisierbar ist, und in der öffentliche Güter wie Wohnen, Gesundheit, Bildung allen in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Es wurde eine „Roadmap für Europas sozial-ökologische Wende“ mit einem umfassenden Investitionsplan für eine gerechte, gleichberechtigte und demokratische Wirtschaft entwickelt.  Die Kampagne, die sich vor allem an die Bürgerinnen und Bürger selbst, aber auch an Parteien, Gewerkschaften richtet,  versteht sich als Teil des weltweiten Kampfes um Klimagerechtigkeit. (2)

Die Linke im Europaparlament (GUE/NGL) hat ebenfalls einen konkreten Vorschlag mit dem Titel „Towards a Green & Social New Deal for Europe“ vorgelegt. Ausgangspunkt ist das Pariser Abkommen, wonach die Klimaerwärmung 1,5 Grad nicht überschreiten darf. Gefordert werden eine Wende in der Energiepolitik mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, eine umweltgerechte Agrarpolitik, eine massive Reduzierung der Emissionen und insgesamt eine auf Nachhaltigkeit angelegte Industrie- und Wirtschaftspolitik. Dabei geht es vor allem auch um den Schutz der Arbeiter und Angestellten und umbessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Darüber hinaus wird der „Green Deal“ auch als eine Chance für einen fairen und gerechten internationalen Handel gesehen. Es wird ein grundlegender Politikwechsel gefordert, wonach die Menschen und die Nachhaltigkeit Vorrang vor Profit haben sollen. (3)

Das wohl am weitesten entwickelte Konzept für einen „New Green Deal“ hat die Labour Party vorgelegt. In dem Labour Party Manifesto 2019 wird eine grüne industrielle Revolution gefordert, mittels derer 1 Million Arbeitsplätze im Vereinigten Köigeich geschaffen werden sollen. Die Industrie, der Energie- und Transportsektor, die Landwirtschaft und auch die Baubranche sollen so umgestaltet werden, dass die Produktion in Einklang mit der Natur geschieht. Bis 2030 sollen Emissionen erheblich reduziert werden. Die Wirtschaft soll so gestaltet werden, dass sie den Interessen der Vielen, nicht der Wenigen dient.  In dem Konzept werden nicht nur Investitionen für eine ökologische Transformation geforderte, sondern es wird auch die Eigentumsfrage  gestellt. Profit soll nicht die zentrale Steuerungsgröße sein, sondern die Bedürfnisse der Bevölkerung  und die  Erhaltung des Planeten. Vor allem geht es auch darum, dass Energie und Wasser öffentliche, für alle zugängliche Güter sind. Mittels öffentliches Angestrebt werden weiter gute Arbeit und gleiche Rechte für alle. (4)

Auch der Co-Vorsitzende der Partei DIE LINKE Bernd Riexinger hat mit  „System Change“ein ausführliches Plädoyer für einen linken Green New Deal vorgelegt. Im Zentrum stehen eine am Gemeinwohl ausgerichtete soziale Infrastruktur, Vorschläge für eine sinnvolle Arbeit mit ordentlicher Bezahlung und Arbeitszeitverkürzung und eine sozial-ökologische Mobilitätswende, die als Einstieg in eine umfassende gesellschaftliche Transformation und damit eines linken Green New Deal gesehen wird. Auch wird die Eigentumsfrage gestellt. Es werden andere Eigentumsformen wie öffentliches und Belegschaftseigentum propagiert. Insbesondere wird der linke Green New Deal mit  wirtschaftsdemokratischen Konzepte wie beispielsweise regionalen Sozial- und Wirtschaftsräte verbunden. (5)

Das von Riexinger vorgelegt Konzept eines die Grenzen einer kapitalistischen Entwicklung überschreitenden linken New Green Deals („System Change“) und das Manifesto der Labour Party haben in ihrer konzeptionellen Ausrichtung viele Gemeinsamkeiten. Insgesamt zielen sie auf einen radikalen Umbau der Wirtschaft, die ökologischen wie sozialen Erfordernissen gleichermaßen Rechnung trägt. Das neoliberale soziale und wirtschaftliche Entwicklungsmodell muss überwunden werden.

Diese Vorschläge und dabei besonders das  von der Labour Party entwickelte Konzept einer grünen industriellen Revolution stellen wesentliche Anknüpfungspunkte gerade auch für die Europäische Linke dar. Für die EL ist die sozial-ökologische  Transformation bzw. der „Green New Deal“ ein ganz wesentlicher Schwerpunkt in ihrer politischen Strategie. Bereits in dem politischen Dokument, das auf dem dem Kongress in Malaga im Dezember 2019 verabschiedet wurde, wird die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation betont. So wird als Ziel angegeben, dass bis 2030 70 % der CO2-Emissionen reduziert werden sollen, so dass entsprechend dem Pariser Abkommen bis 2050 Klimaneutralität erreicht wird. Die industrielle Produktion ist zu überdenken, so dass sie ressourceneffizient , frei von fossilen Brennstoffen ist, und den Bedürfnissen der Menschen dient. Im Interesse des Kampfes gegen die Klimakrise bedarf es der Neuorganisation der Produktion. Gefordert werden  öffentliche Investitionsprogramme, gerichtet auf Umwelt und Schaffung von Arbeitsplätzen. Wichtig ist dabei die demokratische Kontrolle, um eine bloß kapitalistische und kaum grüne Modernisierung zu verhindern. Ein linkes Konzept eines Green New Deal muss ein umfassendes auf das Gemeinwohl ausgerichtetes Konzept sein. Notwendig sind öffentliche Investitionen in Infrastruktur, sozialen Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge, bezahlbares Wohnen, Bildung und Kultur.  Um dies notwendigen Investitionen zu finanzieren ist eine gerechte Steuerpolitik mit höherer Besteuerung der Reichen und der Vermögen notwendig.

Für die Linke ist die Verbindung von ökologischen und sozialen Erfordernissen von zentraler Bedeutung. Zweifellos ist eine „grüne Revolution“ der Industrie, wie dies im Labour Manifesto genannt wird, notwendig. Doch gleichermaßen müssen auch die von diesen Veränderungen betroffenen Beschäftigten geschützt werden.  „Just Transition“, wie es vom ITUC propagiert wird, ist ein Konzept, das ökologische Transformation mit sozialer Absicherung verbindet. Es geht um einen gerechten Übergang mit der Zielsetzung, dass eine grüne Wirtschaft in der Lage ist, für Arbeitsplätze zu anständigen Bedingungen zu sorgen. Ein linkes Konzept eines Green New Deal muss mit einer Ausweitung der Arbeitnehmerrechte einhergehen. Dabei kann an die Säule sozialer Rechte , wie sie von der EU-Kommission beschlossen wurde, angeknüpft werden. Allerdings darf es nicht bei unverbindlicher Absicht bleiben. Vielmehr müssen diese sozialen Rechte verbindlich sein.- etwa in einem verbindlichen „Sozialen Protokoll“, wie es das gewerkschaftliche Netzwerk TUNE (Trade Unionists Network Europe) fordert und auch vom ETUC aufgegriffen wird. 

Nicht nur die Rechte der Beschäftigten in diesem Transformationsprozess müssen gestärkt werden, sondern sie müssen auch direkt in diesen Prozess einbezogen werden. Die direkte Beteiligung der Beschäftigten ist für ein linkes Konzept eines New Green Deal unerlässlich. Aus linker Sicht ist daher die Verbindung des New Green Deal mit Wirtschaftsdemokratie von zentraler Urbedeutung. Dies unterscheidet es auch von anderen Konzepten.

Für die EL ist ein „Left Green New Deal“  ein wesentlicher Kern ihrer politischen Strategie. Er ist als ein umfassendes Transformationskonzept zu verstehen, das ökologische mit sozialen Erfordernissen verbindet  und eine direkte Einbeziehung der Beschäftigten selbst vorsieht. Es bricht das mit der neoliberalen europäischen Politik und geht auch über die Grenzen kapitalistischer Entwicklung hinaus. Es ist allerdings kein fertiges Konzept, sondern bedarf  sowohl einer intensiven internen als auch externen Diskussion.

Neben der konzeptionelle Weiterentwicklung geht es aber auch vor allem um die gesellschaftliche Verbreitung, so dass der linke „New Green Deal“ auch politisch wirksam wird.  Die gesellschaftlichen Umbrüche beinhalten nicht nur Risiken, wie sie im zunehmenden Nationalismus, Rassismus, autoritärer Politik und dem Aufstieg der extremen  Rechten zum Ausdruck kommen. Sie bieten auch Chancen für eine andere, für eine alternative Politik, wofür der „Green New Deal“ steht. Die Linke muss diese Chance ergreifen und sich zu dessen Protagonisten machen. Es ist notwendig, den „Green New Deal“ zu einem Schwerpunkt der Kooperation mit anderen linken und progressiven Kräften zu machen. Soziale Bewegungen wie beispielsweise „Fridays for Future“ und vor allem auch  die Gewerkschaften stehen dabei im Mittelpunkt.  Die europäischen Gewerkschaften und dabei besonders IndustriAll, der europäische Dachverband der Industriegewerkschaften, sind sich mehr und mehr bewusst, dass  eine ökologische Transformation der Industrie notwendig ist. Für sie ist die Verbindung von ökologischen und sozialen Erfordernissen absolut zentral. Damit ist eine gute Basis für die  Zusammenarbeit eben mit auch der Europäischen Linken gegeben.

Referenzen

  1. Naomi Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, Hamburg 2019
  2. DiEM25: Der Green New Deal für Europa
  3. he Left in the European Parliament: Towards a Green & Social  New Deal for Europe, December 2019
  4. Labour Party, Manifesto 2019
  5. Bernd Riexinger, System Change, Hamburg 2020