2021: Das Jahr Null der französischen Linken

01.03.2021
Pauline Graulle

Die Linke hat noch etwas mehr als ein Jahr Zeit, sich so zu organisieren, dass sie an die Macht gelangen kann. Aber mit der Gesundheitskrise, die die politische Dynamik lähmt und der Fülle an Kandidat*innen, sind die Hürden so hoch, dass selbst angesichts eines geschwächten Emmanuel Macron die Hoffnung schwindet.

Wird 2021 das Jahr der Wendungen sein? Im linken politischen Spektrum gibt es viele, die auf ein kleines Wunder hoffen, angesichts einer verzweifelten politischen Landschaft, die sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen abzeichnet. Jede(r) hat das Gefühl, dass das neue Jahr das Jahr der katastrophalen Umfragen sein wird, die die Moral aller zum Einsturz bringen werden“, prophezeite ein ehemaliger sozialistischer Abgeordneter kurz vor Weihnachten düster.

Er hatte sich nicht geirrt. Am 25. Januar ergab eine Umfrage von Harris Interactive (auf Französisch) zur Präsidentschaftswahl, dass Jean-Luc Mélenchon in der Wählergunst bei ca. 10 % liegt, die Sozialistin Anne Hidalgo bei 6 bis 7 % und der Grüne Yannick Jadot zwischen 7 und 10°% schwankt. Mit anderen Worten: Mit zwei oder sogar drei linken Kandidat*innen, scheint der Einzug der Linken in die zweite Runde bei den Präsidentschaftswahlen zum aktuellen Zeitpunkt aussichtslos.

„2022: Bei den Linken bald mehr Kandidat*innen als Wähler*innen“

Allerdings ist es paradox, dass, obwohl alle Linken zusammen eine Wahlabsicht von etwa 25% vereinen, die Anzahl der Präsidentschaftsanwärter*innen in den letzten Monaten weiter steigt. Nach Jean-Luc Mélenchon, der seine Kandidatur offiziell im November bekannt gegeben hat, macht Anne Hidalgo kein Geheimnis mehr daraus, dass sie sich „vorbereitet“ und Yannick hat vor kurzem seine eigene Plattform „2022: Ökologie!“ herausgebracht. Drei potenzielle Kandidat*innen, zu denen man noch den ehemaligen Sozialisten Arnaud Montebourg ins Spiel bringen muss, der auf der patriotischen Schiene zusammenführen will. Oder auch Fabien Roussel, den nationalen Sekretär der kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), der nicht ausschließt, sich von Jean-Luc Mélenchon (den die Partei in den Jahren 2012 und 2017 unterstützt hat) zu emanzipieren, um selbst für seine Partei bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten.

Eine Fülle von Bewerbungen, die – weit davon entfernt, als demokratische Vielfalt zu erscheinen – schnell als x-tes Symbol eines orientierungslosen Lagers wahrgenommen wurde. „2022: Bei den Linken bald mehr Kandidat*innen als Wähler*innen“, schrieb die linksliberale Tageszeitung Libération am 11. Januar ironisch. Und wie als Eingeständnis, dass die Hürde der Präsidentschaft immer höher wird, haben die Parteistäbe in der letzten Zeit viel über die Parlamentswahlen gesprochen.

2022: die große Linkswende? Je näher der Termin rückt, desto schwieriger erscheinen die Hindernisse, die sich auf dem Weg dorthin auftürmen. Man muss schon sagen, dass die Pandemie die strukturellen Schwächen eines Lagers, das Mühe hat, seit der fünfjährigen Amtszeit von Hollande eine politische Alternative aufzuzeigen, nur noch verschlimmert hat. Ein Virus, der vorerst sowohl die Aussicht auf die Entfaltung einer großen sozialen Bewegung, das Entstehen einer engagierten politischen Führung als auch die Entwicklung einer gemeinsamen Doktrin gegen Emmanuel Macron und die extreme Rechte verhindert.

Wie soll es in der Tat möglich sein, sich mit einer Gegenstimme Gehör zu verschaffen, wenn seit einem Jahr die Corona-Pandemie den mentalen Raum einer ganzen Gesellschaft einnimmt, die jeden Tag Hunderte von Toten zählt. Sicherlich ist es wahr, dass die Demonstrationen gegen das sogenannte „Globale Sicherheitsgesetz“, gegen Rassimus oder Polizeigewalt vor den Gesundheitsauflagen des „Wir bleiben zuhause“ nicht eingebrochen sind. Philippe Martinez, der Generalsekretär der CGT, verspricht für seinen Teil sogar ein Wiederaufleben der Demonstrationen im ersten Quartal. Vorerst zumindest verhindert die Pandemie, auch noch für die nächsten Monate, eine strukturelle Umsetzung der Wut (oder Hoffnung) als Ausgangsbasis zur Bildung einer ökologischen und sozialen Alternative.

Die Kommunalwahlen im Frühjahr waren recht erfolgreich, vor allem für die Grünen, die sieben der vierzig größten Städte Frankreichs gewinnen konnten und dürften eine entscheidende Etappe für die Präsidentschaftswahlen darstellen. Aber auch hier ging es wieder von einem Lockdown in den nächsten, und die Aufbruchsstimmung vermochte es nicht zu schaffen, dass sich eine Bewegung oder eine bestimmte Figur herauskristallisierte.

Ein neuer - und letzter Versuch wird bei den Departements- und Regionalwahlen vorgenommen, wo die Grünen hoffen, mindestens eine Region für sich zu gewinnen (warum nicht Neu-Aquitanien, wo bei den Kommunalwahlen ein grüner Bürgermeister in Bordeaux gewählt wurde?), die Sozialistische Partei (PS) darauf hofft, Okzitanien oder die Bretagne zu behalten und wo einige Unionslisten (aber ohne die Grünen) hoffen, im Grand Est oder im Norden zu punkten. Tatsache bleibt, dass die Stimmen im ersten Wahlgang, die sich am Stichtag unter den Grünen, den Sozialist*innen und den „Aufständisch*innen“ von La France Insoumise aufteilen, ins Gewicht fallen (vor allem im Departement Ile-de-France, wo die drei Listen eine Niederlage der republikanischen  Präsidentin des Regionalrats, Valérie Pécresse, unwahrscheinlich machen). Und die extreme Rechte, die derzeit im Hinterhalt lauert, könnte in zwei oder drei Regionen für Überraschungen sorgen.

Schließlich hat die Verschiebung der Regional- und Departementswahlen von März auf Juni die Verschiebung der Vorwahlen der Grünen auf September erzwungen, und führt damit auch zu möglichen Veränderungen in diesem Bereich des politischen Feldes.

Die Gesundheitskrise: ein positiver Test?

Eine träge, unhörbare Linke, die durch die Gesundheitsrisiken daran gehindert wird, mit der notwendigen Umstrukturierung der Ära nach Hollande zu beginnen... Zumindest in der Theorie könnte sich die Pandemie, trotz der aktuellen politischen Eiszeit, als himmlische Überraschung für die Opposition erweisen. Nach der Lüge über die Masken und den Irrtümern rund um die Tests, hat sich der dritte Akt über die Impfstoffe zu einem wahren Morast für die Regierung entwickelt. Die chaotischen Anfänge der Massenimpfung klingen daher schon jetzt wie eine herbe Niederlage für Emmanuel Macron und die Castex-Regierung scheint nun nicht mehr um die aktuelle Stop-and-Go-Strategie mit ihren kolossalen Kollateralschäden für die Wirtschaft herumzukommen.

Um ihren Vorteil auszuspielen, muss es den beteiligten Akteur*innen allerdings gelingen, eine substanzielle Alternative zu bieten. Dabei geht es nicht nur darum, zu überzeugen, dass Corona eine monströse Kreatur eines Kapitalismus ist, der Ökosysteme zerstört, sondern auch darum, ein anderes Gesellschaftsmodell voranzubringen, das glaubwürdig ist, schnell umsetzbar und in der Lage sein wird, der tiefen Krise der öffentlichen Dienste, die durch jahrzehntelange haushaltspolitische Entscheidungen herbeigeführt wurde, Einhalt zu gebieten. Angefangen mit den Krankenhäusern, die in der Gesundheitskrise zum einen ihre Effizienz, aber auch ihre Mittellosigkeit offenbart haben.

Auf gesellschaftlicher Ebene könnte der „Rechtsruck“, der von Emmanuel Macron seit mehr als einem Jahr vorgenommen wird, wieder einige Perspektiven für ein linkes umweltpolitisches Angebot eröffnen. Selbst wenn der Staatschef während der Wahlkampagne versuchen könnte, sich wieder nach links zu orientieren, werden seine Abkehr von der Umweltpolitik (Begraben der Maßnahmen der Klimakonvention, Rückzug vom Glyphosat-Verbot usw.), der rechtsextreme Diskurs zur Republik und zur Sicherheit („Anti-Separatismus-Gesetz“ bzw. „Globales Sicherheitsgesetz“) oder die Unterdrückung jeglichen sozialen Protests (zunächst die Gelbwesten, dann die Renten und nun die Gegner des Globalen Sicherheitsgesetztes) in Erinnerung bleiben. Gleiches gilt für die Debatte vom 11. Februar zwischen Gérald Darmanin und Marine Le Pen, in der der Innenminister durch seine Haltung das Meisterstück vollbrachte, noch islamfeindlicher zu erscheinen als die Kandidatin der Rassemblement National.

Aber können es die Linken schaffen, diese Unzulänglichkeiten und diesen Zeitraum des Umbruchs als Sprungbrett für die kommenden Monate zu nutzen? Außerdem müssten sie sich in Rekordzeit auf eine gemeinsame Roadmap und eine einzige Person einigen, die in der Lage ist, die Linke zu vertreten. Genau dies fordern mehrere Kräfte der Zivilgesellschaft, ob nun organisiert oder nicht, anhand von verschiedenen Petitionen (wie „dem Appel der 1000“ (auf Französisch), der im Oktober gestartet ist), wohl wissend, dass Einigkeit allein zwar nicht ausreicht, aber dennoch notwendig ist.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind allerdings die (spärlichen) Versuche zur Bildung einer Einheit allesamt einer nach dem anderen gescheitert: Eine Zeitlang wurde die Idee verfolgt, im Anschluss an die Kommunalwahlen gemeinsame Sommeruniversitäten für Linke und Umweltschützer*innen im letzten August abzuhalten, die im Sande verlaufen ist. Und der Hoffnungsschimmer, geweckt durch die Kampagne „Printemps Marseillais“ (Marseiller Frühling), einem Zusammenschluss aus Umweltschützer*innen, Sozialist*innen, Kommunist*innen und Mitgliedern von La France Insoumise, der bei den Kommunalwahlen in Marseille erfolgreich war, wurde durch den Rücktritt der untypischen grünen Bürgermeisterin Michèle Rubirola zugunsten der Nummer 2, dem sozialistischen Apparatschik Benoît Payan, zunichte gemacht. Ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die sich für eine Erneuerung der politischen Prozesse stark gemacht hatten.

Im Übrigen sind die ideologischen Spaltungen, die durch die Gesundheitskrise ausradiert wurden – während des ersten Lockdowns forderten die Sozialistische Partei, La France Insoumise und die Grünen gemeinsam eine Rückkehr zur Solidaritätssteuer auf Vermögen, die ökologische Planung, die Streichung der Rentenreform und Neuverlagerungen – in den letzten Monaten wieder massiv zu Tage getreten. Es herrscht eine grundsätzliche Kluft über das Verhältnis zum Kapitalismus zwischen einem Lager, das den Liberalismus als Block ablehnt (La France Insoumise, die PCF und ein Teil der Grünen), und einer sozialistisch-ökologischen Linken, die stärker an einer Regulierung der Marktwirtschaft orientiert ist.

Und diese Kluft wurde durch die Enthauptung von Samuel Paty, einem Lehrer aus Conflans-Sainte-Honorine, durch einen islamischen Terroristen, noch weiter vergrößert. Anne Hidalgo und Olivier Faure, der erste Sekretär der Sozialisten Partei, gossen Öl ins Feuer der Polemik, als sie in dieser spannungsgeladenen Zeit, ohne jegliche Beweise vorzulegen, die Grünen und La France Insoumise beschuldigten, in ihrem Verhältnis zur Republik zweideutig“ zu sein. „Die Linke, die sich in wirtschaftlichen Fragen uneinig ist, gönnt sich den Luxus einer tiefen Spaltung in Fragen des Laizismus und des Islam“, fasst der Politologe Rémi Lefebvre zusammen. „Rassisierung“, „Islamophobie“, „Dekolonialisierung“ lauten die Schlagwörter des neuen Missverhältnisses. Die Beziehung zur „Republik“ ist zu einem mächtigen Indikator für Differenzierung und Fragmentierung geworden, der die Ausgangssituation für einen Zusammenschluss noch komplizierter macht“.

So viele Fragen, auf die das Jahr 2021 eine Antwort liefern muss

Eine doktrinale Spaltung, die auch die bestehenden persönlichen und parteipolitischen Strategien widerspiegelt, bei denen alle versuchen, ihre Bauern 2022 nach vorne zu bringen, darauf hoffend, dass die Umfragen eine Entscheidung herbeiführen und die einen oder anderen dazu veranlassen werden, sich hinter der bzw. dem Favoritin(en) einzureihen. Anne Hidalgo, die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, versucht demnach, eine ökologische und republikanische Sozialdemokratie zu verkörpern, die sowohl die großstädtischen Mittelschichten als auch die von Macron seit 2017 enttäuschten Personen überzeugen kann. Jean-Luc Mélenchon sieht sich selbst als den Hüter einer „linken“ Linken und setzt in einer Zeit, in der sich eine gewaltige Wirtschaftskrise abzeichnet, auf die Stimmen der Arbeiterklasse und hier vor allem auf die „Gelbwesten“.

Was Yannick Jadot betrifft, der überzeugt davon ist, dass der Umweltschutz die sozialdemokratische Weltanschauung ersetzt, so muss dieser sich zunächst dem Votum in den grünen Vorwahlen stellen. Eine offene Vorwahl, die er so breit wie möglich anlegen will (der medienwirksame Umweltschützer hofft, dass sich eine halbe Million Wähler*innen beteiligen, um eine wahre Dynamik in Gang zu setzen). Und von der er sich vorstellt, dass sie zu einer einenden Abstimmung zwischen mehreren linken Kandidat*innen führt, zu denen neben ihm vor allem auch Anne Hidalgo gehört, die er, wie er glaubt, auf faire Weise schlagen kann. „Es kann nur eine(n) Kandidatin(en) zwischen Mélenchon und Macron geben“, wiederholt der Europaabgeordnete der EELV nun und räumt damit die Unmöglichkeit einer Union der gesamten Linken ein.

Wird der kommende Herbst nach den Regional- und Departmentswahlen (Artikel auf Französisch), bei denen sich die Sozialistische Partei, La France Insoumise und EELV fast überall im ersten Wahlgang gegenüberstehen, eine Zeit der Wahlabsprachen und der dynamischen Union einläuten? Haben die Umfragen ausreichende Legitimität, um zwischen den verschiedenen Kandidat*innen auszusieben? Werden durch ein einheitliches Programm genug Leute zusammengebracht, um es mit dem Duopol Macron/Le Pen aufzunehmen? So viele Fragen, auf die das Jahr 2021 eine Antwort liefern muss.

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