„Wir sind Held*innen wider Willen“

08.04.2020
Cole Stangler

Als Krankenschwester auf der Infektionsstation eines großen Pariser Krankenhauses ist Marie an vorderster Front im Kampf gegen Covid-19 im Einsatz. Während der vergangenen Wochen wurden Dutzende von Patient*innen, die sich mit dem Virus infiziert hatten, auf ihre Station eingeliefert. Medizinstudenten*innen und Pflegekräfte von anderen Stationen wurden als Verstärkung eingesetzt und neue, strikte Vorsichtsmaßnahmen für das Krankenhauspersonal eingeführt.

Mit der Zahl der Todesopfer hat auch der arbeitsbedingte Stress zugenommen. „Zum Glück sind wir ein eingespieltes Team, wir kommunizieren, und deshalb funktionieren wir gut“, sagt Marie. Sie will ihren Familiennamen nicht nennen, da es in Frankreich restriktive Regelungen für Beamt*innen gibt, wenn es um die Offenlegung arbeitsbezogener Themen oder öffentliche Kritik am Arbeitgeber geht. Aber, sagt sie, „es gibt schwierige Momente.“ Krankenschwestern wie Marie, die schon lange im Dienst ist, haben reichlich Erfahrungen mit allen erdenklichen Krankheiten. Aber selbst sie war überrascht, wie schnell das Virus zu lebensbedrohlichen Zuständen führen kann – eine Beobachtung zahlreicher Gesundheitsfachleute von Wuhan bis Brooklyn. „Wir haben Patient*innen, deren Zustand sich innerhalb kürzester Zeit verschlechtert und wir verstehen die Gründe nicht“, sagt sie. „Ich hatte einen Patienten, dem ich eine Infusion gelegt habe, und ich habe mich dabei mit ihm unterhalten. Eine halbe Stunde später musste ich ihn auf die Intensivstation verlegen und er konnte nicht mehr aus eigener Kraft atmen.

Sobald er auf der Intensivstation war, mussten sie ihn künstlich beatmen. Es gibt Situationen, die wirklich schwierig sind.“ Ein neues Gefühl von Solidarität und Teamgeist haben Marie und ihren Kolleg*innen geholfen, diese Herausforderungen zu bewältigen. In gleicher Weise, so erzählt sie, wisse sie die Unterstützung der Öffentlichkeit und den abendlichen Applaus zu schätzen. Seit am 17. März der landesweite Lockdown in Frankreich verhängt wurde, ist der koordinierte Applaus für das Gesundheitspersonal um 20 Uhr zu einer Art Ritual geworden und bietet die Gelegenheit, den Menschen im Medizinbetrieb gemeinsam zu danken. In dicht bewohnten Gebieten ist damit auch die Chance für die Nachbarschaft gegeben, aus der Sicherheit des eigenen Balkons oder Fensters heraus mit anderen Menschen zu interagieren.

Frankreich ist es offensichtlich in verschiedener Hinsicht gelungen, die Krise vergleichsweise erfolgreich zu managen. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten oder dem Vereinigten Königreich haben die Behörden landesweit nicht gezögert, Ausgangssperren zu verordnen. In Deutschland hat es zwar mehr Tests und weniger Todesfälle gegeben, trotzdem war die Situation in Frankreich noch weit von den katastrophalen Zuständen in Italien und Spanien entfernt. Gleichzeitig haben sich jedoch zahlreiche französische Gesundheitsfachkräfte besorgt über den Umgang des Landes mit der Pandemie geäußert. Sie kritisieren, dass ihr Einsatz durch fehlende Personal- und Materialressourcen behindert worden sei.

Diese Problematik ist von den Arbeitnehmer*innen und ihren Gewerkschaften in den letzten 20 Jahren immer wieder thematisiert worden. In einigen Fällen besteht auch die Sorge, dass das Personal sich bei der Arbeit selbst in Gefahr bringt. „Wir fangen an, uns Fragen zu stellen“ Als die ersten Corona-Erkrankten auf ihrer Station eingeliefert worden seien, so berichtet Marie, hätten die Pflegekräfte noch über qualitativ hochwertige Schutzausrüstungen verfügt. „Ganz zu Anfang hatten wir noch medizinische Schutzanzüge, deren Material sehr robust war, auch Handschuhe, Haarnetze, Masken und Schutzbrillen. Jetzt haben wir nur noch sehr dünne Plastik-Wegwerfkittel und einfache Brillen, Haarnetz und den Mundschutz. Und jetzt sagen sie uns, vielleicht brauchen wir die Brillen auch gar nicht.“

Nachdem die Pandemie schon seit Wochen andauerte, wurden die Pflegekräfte in ihrem Krankenhaus endlich mit neu produzierten Gesichtsschutzschildern ausgestattet. Trotzdem bezeichnete Marie den Ausrüstungsstand als „besorgniserregend“. Marie berichtet, dass die Pflegekräfte auf ihrer Station auch keine Einwegthermometer mehr für Covid-positive Patient*innen benutzten, wie dies noch bei Ausbruch der Krise der Fall war. Stattdessen sollen sie auch beim Wechsel ins nächste Krankenzimmer die Thermometer noch einmal benutzen. Auch Blutdruckmessgeräte werden mehrfach benutzt. Die Pflegekräfte desinfizierten die Geräte äußerst gründlich, sagt sie, aber natürlich haben alle Angst, auch nur den kleinsten Fehler zu begehen. Am meisten Sorge macht aber im Hinblick auf die Ausstattung nach wie vor wohl die Maskenproblematik.

Für Pflegekräfte auf Intensivstationen gelten besondere Leitlinien, aber nach den jüngsten veröffentlichten Empfehlungen der Pariser Krankenhausbehörden sollen die meisten Krankenschwestern und Krankenpfleger in den staatlichen Krankenhäusern der französischen Hauptstadt jetzt zwei einfache Mundschutzmasken pro Schicht tragen und die Maske alle vier Stunden wechseln. Sowohl die Qualität als auch die Quantität der zur Verfügung gestellten Schutzausrüstungen gibt Anlass zur Sorge. Zum einen gilt, dass diese OP-Masken lediglich bewirken, dass ihre Träger*innen keine luftgetragenen Partikel auf andere Personen übertragen. Im Gegensatz zu den FFP2- oder FFP3- Masken, dem europäischen Äquivalent der N95-Masken in den USA, schützen sie die Maskenträger*innen selbst nicht vor gefährlichen Partikeln. Zwar gibt es keine allgemein anerkannte Norm für die Anzahl der Atemschutzmasken, die Pflegekräfte beim Umgang mit positiv auf Covid-19 getesteten Patient*innen tragen sollten, es gibt aber den allgemeinen Konsens, dass diese Masken nur von sehr begrenztem Nutzen sind.

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt ihrerseits, dass OP-Masken, ob von Gesundheitspersonal oder anderen Personen getragen, nicht mehr benutzt werden sollen, „sobald sie feucht sind.“ Wer aber stundenlang auf den Beinen ist und auch jede Person, die zwischendurch zur Wasserflasche greift, kennt diese Problematik. „Natürlich fangen wir an, uns Fragen zu stellen“, sagt Marie angesichts der ständigen Änderungen der Schutzausrüstungen. „Wir fragen uns, ob diese Empfehlungen etwas mit Studien zu tun haben, in denen die Nutzlosigkeit all dieser Ausrüstungen gezeigt wird, oder ob hier die Versorgungslage eine Rolle spielt.“ Der 52-jährige Bruno Lamaille ist noch skeptischer. Lamaille ist Verwaltungsangestellter, der inzwischen als hauptamtlicher Gewerkschaftsvertreter und Generalsekretär des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes CGT („Confédération générale du travail“) im Krankenhaus Hôtel-Dieu im Zentrum von Paris arbeitet und ebenfalls einen Sitz im Arbeitsschutzkomitee des Krankenhauses hat. Er erzählt, wie überrascht er war, als der Direktor des Krankenhauses ihn Ende März über die neuen Maskenvorschriften informierte. „Ich erinnerte ihn daran, dass ich es nicht stillschweigend hinnehmen würde, alle meine Kolleg*innen zu gefährden“, sagt Lamaille. „Wenn uns der Direktor des Krankenhauses erzählt, dass die Vorgabe laute, trotz der derzeitigen Lage nur zwei Masken am Tag zu benutzen, dann haben wir den eindeutigen Beleg dafür, dass es eine Maskenknappheit gibt.“ Es gibt noch mehr Betroffene, die auf höchster medizinischer Ebene und bei der Regierung Alarm geschlagen haben. Am 20. März hat Hervé Boissin, Direktor des Sicherheitsausschusses der französischen Ärztekammer, die Regierung direkt wegen der offensichtlichen Maskenknappheit kritisiert und davor gewarnt, dass die Ärzt*innen „ohne geeignete Schutzausrüstungen einer nach dem anderen ausfallen werden.“ Inzwischen hat die investigative französische Online-Zeitung „Mediapart“ berichtet, dass sich hochrangige Beamt*innen der französischen Gesundheitsbehörden auch privat besorgt über die schlechte Maskenversorgung der Bevölkerung zu Beginn des Corona-Ausbruchs geäußert hätten. Während die Behörden der Bevölkerung öffentlich noch abrieten, im Freien eine Maske zu tragen, zeigt die interne Kommunikation, dass Regierungsoffizielle alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um einen Überblick über die in Frankreich verfügbaren Maskenbestände zu bekommen, und sich beeilt haben, Masken im Ausland zu bestellen.

Überrannt von den Ereignissen Lamaille und die anderen CGT-Gewerkschaftsvertreter*innen im Hôtel-Dieu gehen ebenfalls davon aus, dass es ein wesentlich größeres Problem gibt. Sie behaupten, dass die schlechte Vorbereitung auf die Behandlung der an Covid-19 erkrankten Patient*innen Folge falscher Entscheidungen sei. Das zeigt sich am Beispiel des Krankenhauses, das sie am besten kennen. Das Hôtel-Dieu auf der Île de la Cité, nur einen Steinwurf von Notre-Dame im Herzen der französischen Hauptstadt entfernt, ist eines der ältesten ohne Unterbrechung betriebenen Krankenhäuser und dessen Geschichte bis ins 7. Jahrhundert reicht. Aufgrund seiner prekären Finanzlage musste das Krankenhaus in den vergangenen Jahren zahlreiche seiner Abteilungen schließen, dazu gehörten chirurgische Stationen und Intensivstationen. Der weitere Betrieb der Notaufnahme konnte nur unter großen Schwierigkeiten aufrechterhalten werden. Gerade erst im vergangenen Jahr hat die Pariser Gesundheitsbehörde den Verkauf rund eines Drittels der Fläche des Krankenhauses an einen privaten Käufer abgeschlossen. Novaxia hat zugesagt, dort Biotechlabore und medizinische Labore einzurichten, Studierendenwohnungen zu bauen und eine Gastronomiefläche zu vermieten. Im Moment ist die Situation so, dass das Krankenhaus Hôtel-Dieu keine Coronavirus-Patient*innen behandelt, obwohl die Gewerkschaft davon ausgeht, dass die Einrichtung diese Aufgabe durchaus bewältigen könnte, wenn die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt würden. Stattdessen wurde im Hôtel-Dieu ein Covid-19-Testcenter eingerichtet. Besucher*innen mit Symptomen sollen ihre Proben dort untersuchen lassen, werden dann aber im Falle eines positiven Ergebnisses in ein anderes Krankenhaus überwiesen.

Nach Informationen der CGT entsteht durch diese Vorgehensweise eine ganz besondere Gefährdungslage, denn die Krankheit kann so durch potenziell infizierte Personen weiterverbreitet werden. „Die Personen, die vielleicht positiv auf Corona getestet worden sind, die haben wir erst hierher ins Krankenhaus zitiert, und dann schicken wir sie wieder nach Hause, nur um ihnen danach mitzuteilen, dass sie wieder los müssen, um sich in einem anderen Krankenhaus behandeln zu lassen“, sagt Jean-François Grand, 46, der für die Schließ- und Türsysteme im Krankenhaus zuständig ist und ebenfalls einen Sitz im Arbeitsschutzkomitee des Hôtel-Dieu hat. „Das Problem liegt also auf der Hand.“ Grand sieht die Schuld bei der oberen Verwaltungsebene der Pariser Krankenhäuser. Wie fast überall sind die Behörden gezwungen, ohne gründliche Vorbereitung schwierige und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Es gibt aber auch Probleme, die auf fehlende Ressourcen zurückzuführen sind. „Wir sind völlig abgehängt und werden von den Ereignissen überrollt, und das in einem noch nie gekannten Ausmaß“, fährt Grand fort. „Heute werden wir mit einer extremen Pandemie konfrontiert, und keiner weiß, wie man es anstellen soll, dass uns nicht alles um die Ohren fliegt.“ Ein Sprecher für die Pariser Krankenhäuser hat den regionalen Gesundheitsbehörden eine Liste mit Fragen vorgelegt. Die regionale Pariser Gesundheitsbehörde hat auf eine Bitte um Kommentierung nicht geantwortet. Reformen und immer wieder Reformen Das System der öffentlichen Krankenhäuser in Frankreich ist nach wie vor eines der besten der Welt. Allerdings kommen das medizinische Personal und auch die Öffentlichkeit nicht umhin festzustellen, dass das System in den letzten Jahren erheblich unter Druck geraten ist und deshalb im Ergebnis vielleicht nicht mehr unbedingt das Aushängeschild ist, das es früher einmal war.

Seit Jacques Chirac das Amt des Präsidenten der Republik übernommen hat, gab es seitens der Regierung eine Reihe von Reformen, um den Gürtel enger zu schnallen. So bewirkte die Reform von 2002 eine Überprüfung der Finanzierungskriterien Auch eine andere Politik hätte das Virus nicht verhindert, sagt die Krankenschwester Marie. „Aber eine andere Politik hätte dafür gesorgt, dass wir besser darauf hätten reagieren können.“ Die 2009 unter Sarkozy durchgeführte Reform sollte zu ausgewogenen Ausgaben im gesamten System führen, und mit seiner Reform 2016 hat François Hollande die Aufsicht über Investitionen und Personalpolitik auf neue Komitees übertragen, die für mehrere Krankenhäuser gleichzeitig zuständig sind. Die Handlungshoheit dieser neuen Gremien wurde durch eine Reform 2019 unter Emmanuel Macron weiter gestärkt. Diese Maßnahmen haben gemeinsam mit der spärlicheren staatlichen Finanzierung das Gesicht des Systems verändert. Die neuen Finanzierungsgrenzen haben Krankenhäuser dazu gezwungen, mit weniger Mitteln auszukommen, und für die Krankenhausmanager*innen gelten jetzt neue Anreize wie in der freien Wirtschaft, so dass sie die Effektivität und Produktivität der unter ihrer Aufsicht stehenden Dienste nachweisen müssen. Das medizinische Personal hat dies schmerzhaft zu spüren bekommen. Pflegepersonal, Pflegeassistenzkräfte und Verwaltungsangestellte mussten feststellen, dass sie nicht nur unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssen, sondern dass ihr Grundlohn als Beamt*innen in den letzten zehn Jahren auch kaum erhöht wurde.

Gleichzeitig ist aber die Zahl der behandlungs- und betreuungsbedürftigen Personen gestiegen. „Das Problem besteht darin, dass die Politik und das medizinische Personal nicht auf der gleichen Wellenlänge sind“, sagt Marie, die Pariser Krankenschwester. „Wir haben eindeutig nicht denselben Wunschkatalog. Die wollen Einsparungen und sehen nur die finanzielle Seite. Wir sehen die menschliche Seite.“ Einer der sichtbarsten Effekte dieser Finanzierungsklemme ist der Abbau von Krankenhausbetten – in der heutigen Situation ein besonders brisantes Thema. Es besteht kein Zweifel daran, dass Frankreich hier immer noch gut aufgestellt ist. Mit 6 Krankenhausbetten für 1.000 Einwohner*innen (aktuelle OECD-Zahlen) steht das Land besser da als Italien (3,2) und die Vereinigten Staaten (2,8). Es fällt aber hinter das Nachbarland Deutschland (8) zurück, wobei sich dieser Trend in den letzten Jahren weiter negativ entwickelt hat. Die OECD und die Europäische Kommission haben in einem gemeinsamen Bericht im vergangenen Jahr festgestellt, dass die Anzahl der Krankenhausbetten in Frankreich zwischen 2000 und 2018 um 15 Prozent zurückgegangen ist, während die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um 10 Prozent gewachsen ist. Bei den Intensivbetten ist der Abstand noch deutlicher.

Vor Ausbruch der Krise hat Frankreich nur über 5.500 Intensivbetten verfügt – das ist lediglich ein Fünftel der Betten, die es auf der anderen Seite des Rheins auf den Intensivstationen gibt. Diese fehlenden Betten wurden schnell zu einem offensichtlichen Problem, als die Pandemie Ende März auf ihren Höhepunkt zulief. Aus der französischen Region Grand Est, die besonders von der Pandemie betroffen war, wurden von den Behörden rund 60 Patient*innen über die Grenze in deutsche Krankenhäuser transportiert. „Es kommt uns so vor, als würden wir hier den Scherbenhaufen aufkehren“, sagt eine Krankenschwester auf der Station eines Krankenhauses in Straßburg, die in eine Covid-Station umgewandelt wurde. Die Region um Straßburg hat es in Frankreich besonders hart getroffen. „Wir haben nicht genug Zeit, alles zu erledigen, wir haben nicht genug Zeit, die Patient*innen zu überprüfen, wir haben nicht genug Zeit, mit ihnen zu sprechen, und wir haben nicht genug Zeit für Nachbesprechungen mit dem neuem Personal.“ Austeritätspolitik zu Lasten des medizinischen Personals „Auch eine andere Politik hätte das Virus nicht verhindert“, sagt die Krankenschwester Marie. „Aber eine andere Politik hätte dafür gesorgt, dass wir besser darauf hätten reagieren können.“ An Versuchen hat es nicht gemangelt. Die Gesundheitsgewerkschaften fordern schon seit langem mehr staatliche Finanzierung.

Seit März des vergangenen Jahres organisiert das Personal von Intensivstationen immer wieder Streiks und Proteste, an denen schließlich fast 250 Einrichtungen im ganzen Land teilgenommen haben. Zu ihren Kernforderungen gehörten höhere Löhne und eine deutliche Anhebung des Gesundheitsetats insgesamt. Letztlich konnten sie sich nicht damit durchsetzen und das Gesundheitsministerium gewährte ihnen stattdessen einen einmaligen Bonus und eine moderate Lohnerhöhung. Gleichzeitig wurde die Forderung nach mehr Personal und mehr Betten abgelehnt. Aufgrund dieser Blockadehaltung gibt es ein gehöriges Maß an Skepsis gegenüber den neuen Tönen, die die Regierung in Bezug auf die Gesundheitsversorgung seit einiger Zeit anschlägt. In einer Rede, die Präsident Macron einige Zeit vor der Verhängung des Lockdowns gehalten hat, pries er den französischen Wohlfahrtsstaat als eine wertvolle Ressource und äußerte seinen Respekt vor den Held*innen in Weiß. Später, im selben Monat, lobte der Präsident erneut das Gesundheitspersonal und versprach einen „massiven“ Investitionsplan für die Krankenhäuser nach dem Ende der Krise. Bruno Lamaille sagt, er warte nach wie vor auf entsprechende Aktionen: „Es wäre gut, wenn die Regierung diese Sparpolitik stoppen würde, die zu Lasten des Gesundheitssystems und des medizinischen Personals geht.“ Ein Post-Corona-Plan für Krankenhäuser, in Auftrag gegeben vom Elysée-Palast, wurde der Presse zugespielt. Es lässt sich allerdings vermuten, dass mit einem solchen Ergebnis nicht so schnell zu rechnen ist. Der vom staatlichen Finanzinstitut „Caisse des Dépôts et Consignations“ (CDC) ausgearbeitete Vorschlag fordert vom Staat eine Umstrukturierung der Verschuldung öffentlicher Krankenhäuser, aber auch den umfassenderen Abschluss öffentlich-privater Partnerschaften und weitere finanzielle Unterstützung privater Kliniken und Krankenhäuser. Dies ist jedoch nur ein erster Vorschlagsentwurf – und Lamaille und den anderen kommt zugute, dass das Interesse der Bevölkerung an der Stärkung öffentlicher Dienste anscheinend so hoch ist wie nie zuvor: In einer unlängst durchgeführten Studie über die politische Post-Corona-Landschaft haben neun von zehn Befragten erklärt, dass die Regierung die Vernachlässigung öffentlicher Krankenhäuser unter Strafe stellen sollte, und die Mehrheit sprach sich allgemein für die massive Aufstockung staatlicher Ausgaben aus, selbst wenn dies die öffentliche Verschuldung in die Höhe treiben würde.

Eine Reihe neuer Vorschläge, die gemeinsam von den Gewerkschaften und Umweltgruppen – darunter CGT, Solidaires, Attac und Greenpeace – vorgelegt wurde, zeigt ein neues Interesse an der kollektiven Wohlfahrt und an der Umverteilung von Vermögen: ein Potenzial, das von der Linken durchaus genutzt werden kann. Damit ist ebenfalls die Forderung an die Regierung nach einem Ausbau öffentlicher Dienste verbunden. Abgesehen von der singulären Frage der Finanzierung hat die Pandemie auch dazu geführt, dass die Arbeit der Beschäftigten in essenziellen Berufen und ihr täglicher harter Einsatz deutlich mehr Anerkennung erfahren. Wie überall auf der Welt stellt sich die Frage, wie dies in der Politik umgesetzt werden kann. Als Marie gefragt wird, was sie von Macrons Worten hält, mit denen er sie und ihre Kolleg*innen beschreibt, hält sie kurz inne. „Wir sind Held*innen wider Willen“, sagt sie. „Er sagt, wir seien Held*innen, weil wir seine letzte Chance sind. Wenn das medizinische Personal nicht arbeiten würde, käme niemand unbeschadet aus dieser Krise heraus.“

Cole Stangler ist in Paris lebender Journalist, Autor und Produzent, der für The Nation, Jacobin, The Washington Post und The Guardian schreibt