Schlüsselwahl in Madrid

25.03.2021
Vera Bartolomé, Amelia Martínez-Lobo, Andreas Thomsen
Stoppt Zwangsräumungen! Für das Recht auf Wohnen!

Der Rücktritt und die Neuwahlen

Am 4. Mai wird die Regionalversammlung der Region Madrid vorzeitig neu gewählt. Die derzeitige Regionalpräsidentin, Mitglied der Partido Popular (PP), rief diese Neuwahlen aus, nachdem in Murcia, einer anderen Region, ein Misstrauensvotum gegen die dortige Regionalregierung erfolgreich war und sich abzeichnete, Gleiches würde sich in Madrid wiederholen. Da zugleich die Umfragen für PP nicht schlecht aussehen, entschied sie sich einem Misstrauensvotum gegen ihre Regierung zuvorzukommen.

Pablo Iglesias gab im Anschluss sein Ausscheiden aus der Sánchez-Regierung, der er als Vize-Präsident, d. h. hier als stellvertretender Ministerpräsident und als Minister für soziale Rechte angehört bekannt und annoncierte seine Kandidatur für Unidas Podemos (dem Bündnis der beiden Linksparteien Izquierda Unida (IU) und Podemos) für die Neuwahlen in Madrid. Das kam für viele Beobachter*innen (und auch Aktive) überraschend und hat einige Konsequenzen.

Zunächst bedeutet es, dass die bisherige Arbeitsministerin Yolanda Díaz Nachfolgerin im Amt der Vize-Präsidentschaft wird. Auch wird ihr dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit die Spitzenkandidatur für Unidas Podemos zur nächsten Wahl der Nationalversammlung zufallen. Díaz wird als Politikerin hochgeschätzt, vor allem aufgrund der Einführung von Schutzmaßnahmen für Beschäftigte in der Zeit der Corona-Pandemie. Sie hat selber keine Parteifunktionen inne, weder in der IU noch in Podemos, aber einen starken Gewerkschaftshintergrund und ist tief in der Izquierda Unida und der Kommunistischen Partei verankert.

Die spanische Linke ist gespalten. Neben IU und Podemos, die aber in der Regel im Rahmen des Bündnisses Unidas Podemos agieren, hat sich im Vorfeld der letzten Wahlen Más Madrid unter maßgeblicher Beteiligung des ehemaligen Podemos-Mitgründers Iñigo Errejón gebildet. Die starke Präsenz von Más Madrid in der Hauptstadt ist zunächst mal eine Besonderheit in der Stadt, als Más País ist diese Strömung auch – allerdings dort sehr schwach – in der Nationalversammlung vertreten. Die Hoffnung, diese Spaltung bei den anstehenden Neuwahlen in Madrid zu überwinden, ist zunächst zerstoben, Iglesias schlug direkt eine gemeinsame Kandidatur vor, doch dies wurde durch Más Madrid abgelehnt. Für das Gesamt-Wahlergebnis linker Kräfte muss dies kein Nachteil sein. Das Wahlrecht in der Region Madrid ist – im Unterschied etwa zur Nationalversammlung – sehr repräsentativ. Kleine Parteien können sogar leicht im Vorteil sein. Dennoch bedeutete diese schnelle Ablehnung zunächst einmal eine Ernüchterung für jene, die sich auch angesichts der rechten Bedrohung einen vereinigten linken Block wünschten und erneut werden progressive Wähler*innen zwischen mindestens zwei Listen entscheiden müssen. Für den Augenblick schreiben Umfragen Más Madrid eine Zustimmung von etwa 11 Prozent, und Unidas Podemos von etwa acht Prozent zu.

Der Wahlkampf

Der „trumpistische“ rechte Flügel der PP, der den Wahlkampf mit der Ausrufung der Neuwahlen eröffnete, lancierte dabei den Slogan „Sozialismus oder Freiheit“. Nach Pablo Iglesias` Ankündigung, in Madrid zu kandidieren, wandelte sich dieser in „Kommunismus oder Freiheit“. Diese Wahlkampagne der bisherigen Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso setzt ganz auf Polarisierung und Zuspitzung. Das ist eine Ausrichtung, die naheliegender Weise auch auf vollste Zustimmung der Partner der PP in Madrid, der rechtsradikalen VOX-Partei trifft. VOX bemüht sich auch in jeder Hinsicht als Lautsprecher dieser Kampagne der Rechten zu dienen.

Iglesias hingegen versucht auf einen Wahlkampf zu orientieren, der weiterer Polarisierung eher entgegenläuft. Seine Strategie ist hier, abhängig Beschäftigte zu erreichen, traditionelle Arbeiter*innenklasse, Nichtwähler*innen und sogenannte „abgehängte Schichten“ zu mobilisieren. Insofern wird die Kampagne die öffentlichen Dienste ebenso in den Mittelpunkt stellen, wie auch die Verteidigung der verfassungsmäßig (eigentlich) garantierten sozialen Rechte. Und insbesondere das Recht auf angemessenen Wohnraum wird sehr wahrscheinlich der Dreh- und Angelpunkt der Kampagne werden. Hier, im Feld Mieten und Wohnen gibt es auch die größten Konflikte innerhalb der Sánchez-Regierung. Zudem ist das Recht auf angemessenen Wohnraum, der Kampf gegen Verdrängung und Gentrifizierung nach einem Jahr der Pandemie eines der wenigen verbliebenen mobilisierenden Themen für soziale Bewegungen und außerparlamentarischen Widerstand. Neben diesem Thema konnte sich auf der linken Seite des politischen Spektrums in der jüngeren Vergangenheit alleine die feministische Bewegung mit ihren Anliegen und Forderungen gestärkt zeigen.

Iglesias` Kandidatur in Madrid ist ganz gewiss auch als gezielter Beitrag im Kampf gegen die präsente faschistische Bedrohung zu sehen, seine Aufrufe, eine einheitliche linke Front zu bilden, sprechen ganz klar dafür.

In der Vergangenheit wurde Madrid immer als eine politische Schlüsselregion gesehen und dies hat sich auch im Vorfeld dieser Neuwahl nicht geändert. Seit 2019 verlor Unidas Podemos bei allen Wahlen Sitze und Stimmanteile. Doch nun, mit Pablo Iglesias` Umorientierung auf Madrid lässt sich in den Umfragen bereits ein deutlicher „Iglesias-Effekt“ ablesen. Und der Wahlkampf hat noch nicht einmal richtig begonnen. Für die linken Kräfte und hier besonders für Podemos sind die Aufgaben jedoch auch groß und reichen weit über ein wünschenswert gutes Ergebnis in Madrid hinaus. Die Partei muss sich tatsächlich neu aufstellen und neu ausrichten. Die Balance zwischen Bündnisfähigkeit und Alleinstellungs- und Oppositionscharakter zwischen Nähe und Distanz zur sozialdemokratischen Partei PSOE muss für das ganze Bündnis Unidas Podemos neu justiert werden. Ein Triumph für Unidas Podemos wäre es, wenn auch in der Region Madrid eine linke Regierungskoalition nach Vorbild der Regierung Sánchez gebildet werden könnte und dies strebt das Bündnis zweifellos an. Aber es wäre auch schon ein bemerkenswerter Erfolg, wenn Unidas Podemos sich im Parlament halten könnte und zugleich PP erstmals seit 25 Jahren im Amt aus der Regionalregierung geworfen würde – gleich, ob Unidas Podemos für die alternative Regierungsmehrheit gebraucht würde oder nicht.

Das Madrider Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird die Entwicklungen in der spanischen Regierung und um die Regionalwahlen und den Wahlkampf, bei  dem Wohnen und Mieten im Vordergrund stehen sollen, natürlich aufmerksam verfolgen, kommentieren und berichten.