Urteil gegen den Berliner Mietendeckel – Noch lange nicht das Ende

Ein Kommentar

16.04.2021
Andreas Thomsen, Büroleiter RLS Brüssel
Mietendemo in Berlin

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2021 ist eine schwere Enttäuschung für den Berliner Senat, vor allem natürlich für die vielen betroffenen Berliner Mieter*innen. Und natürlich wirkt es auch über Berlin und Deutschland hinaus sehr ernüchternd auf Initiativen, Parteien und auch progressive Stadtregierungen, die das Berliner Referenzprojekt aufgriffen, in weiteren europäischen Städten umsetzen wollten und wollen. Ob Berlin oder Paris, München, Barcelona, Kopenhagen, Dublin, Madrid, London oder Hamburg… in diesen, aber auch in vielen weiteren Städten steigen die Mieten, macht angemessener Wohnraum immer mehr Menschen arm, beschleunigen sich Verdrängungsprozesse. Überall dort und in vielen weiteren Städten ist genau das gefragt, was nun in Berlin versucht wurde: Eine staatliche Regulation mit dem Ziel, Verdrängung zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen und einen wirklichen Beitrag zur Sicherstellung bezahlbaren, angemessenen Wohnraums zu leisten.

Doch so groß die Ernüchterung und die Enttäuschung nun nach dem Spruch des deutschen Verfassungsgerichts nun sein mögen, weder das Thema noch die Forderung sind vom Tisch. Im Gegenteil, für die großen europäischen Städte ist genau diese Frage eine der zentralsten und sichtbarsten politischen Herausforderungen. Und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist auf den zweiten Blick eben nicht das grundsätzliche und finale Ende von solchen Ansätzen, wie der Mietendeckel einer war. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung eben nicht fest, eine Deckelung der Mieten nach dem Berliner Modell sei an sich verfassungswidrig. Es stellte vielmehr fest, auf Bundesebene sei diese Fragstellung bereits gesetzlich geregelt. Somit, so das Gericht, habe das Land Berlin nicht mehr das Recht eine eigene und weitergehende Regelung zu erlassen. Im Ergebnis war es eine Frage der Kompetenz des Landes – und diese sprach das Bundesverfassungsgericht dem Bundesland Berlin ab.

Es war schon mit Einführung des Berliner Mietendeckels vor etwa einem Jahr klar, dass diese Schwierigkeit entstehen könnte. Dies wurde – auch durch den Berliner Senat – im Vorfeld auch so kommuniziert. Der Mietendeckel war das, was der rot-rot-grüne Senat Berlins in dieser Sache tun konnte und wollte, es aber nun im Ergebnis nicht durfte. Das ist sehr bedauerlich und dennoch war es natürlich richtig, den Mietendeckel einzuführen und umzusetzen. Er ist nach wie vor das Referenzprojekt weit über Berlin hinaus, für eine soziale und auch entschlossene Sozialpolitik, die jene unerhörte Fehlentwicklung in den europäischen Städten zumindest zu korrigieren versuchte. Ein Projekt, das das Primat des Marktes, der hier für gar nichts gut ist, außer für die Profite, endlich in Frage stellte. Dieses Referenzprojekt bleibt der Mietendeckel. Die Bundesregierung könnte das Urteil auch als Auftrag sehen, denn sie hätte zwei einfache Möglichkeiten, um soziale Wohnungspolitik umzusetzen oder umsetzen zu lassen. Sie könnte selbstverständlich selbst einen Mietendeckel für ausgewählte Städte oder Regionen erlassen, aber sie könnte auch über eine Öffnungsklausel es Ländern ermöglichen, auf Grundlage von Landesgesetzen zu handeln. Dann wäre er wieder da, der Mietendeckel.

Es versteht sich, dass dies weder mit einer Bundesregierung, in der CDU/CSU oder gar die FDP vertreten sind, möglich sein wird. Mit einer schwarz-grünen Regierung aus Union und Grünen wird soziale Wohnungspolitik also ebenso wenig möglich sein, wie mit einer Ampelkoalition aus Grünen, SPD und Liberalen. Mit der Fortsetzung der „Großen Koalition“ natürlich auch nicht. Allen, die an der Bundestagswahl im September teilnehmen und die zugleich an Mietpreisregulationen interessiert sind, sollte dies ganz klar sein.

Der Kampf gegen Verdrängung und für angemessenen und sozialen Wohnraum wird zweifellos weitergehen. Es ist eines dieser Felder, in denen der Widerspruch zwischen den Kräften und dem Wirken des Marktes und den Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung unmittelbar und so deutlich zu Tage tritt. Wenige Maßnahmen oder Gesetze der Berliner Landesregierung trafen auf solch breite Zustimmung in der Stadt, keine dieser Maßnahmen oder Gesetze hatte so direkte und merkbare positive Auswirkungen für solch große Teile der Bevölkerung wie der Mietendeckel.

Und wenn die Auseinandersetzung in Berlin, in Deutschland und in Europa weitergeht, dann zeigt sich auch, dass der Mietendeckel nicht das einzige Instrument war oder ist, um Profitlogik zu schwächen oder zu brechen. In Berlin wird weiterhin für die Enteignung der großen Wohnungsgesellschaft „Deutsche Wohnen“ gestritten und eine Volksabstimmung dazu im September 2021 angestrebt, die Aussichten stehen nicht zu schlecht für das Vorhaben. Schließlich – natürlich – markiert Berlin und der Mietendeckel nicht das einzige Referenzprojekt. Ob Lissabon, ob Barcelona, wo auch immer, in zahlreichen europäischen Städten gibt es Erfolge, aber sicher auch Rückschläge. Und das Urteil heute ist ein Rückschlag. Aber ganz sicher noch lange nicht das Ende.