Klimapaket „EU Fit for 55“ – unzureichend und sozial unausgewogen

29.07.2021
Manuela Kropp, Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Am 14. Juli 2021 stellte die Europäische Kommission ihr Klimaschutzpaket „EU Fit for 55“ zur Umsetzung des Europäischen Klimagesetzes vor. Das Paket „EU Fit for 55“ ist nur ein Vorschlag und muss in den nächsten Monaten zwischen den europäischen Ko-Gesetzgebern Europaparlament und Rat der EU (Regierungen der Mitgliedstaaten) verhandelt werden. Dies bedeutet, der nun vorliegende Vorschlag kann noch verwässert oder verbessert werden, je nachdem, wie sich die politischen Mehrheiten im Europaparlament und im Rat bilden.

Insgesamt ist der Vorschlag „EU Fit for 55“ als durchwachsen zu bewerten: er enthält immerhin Schritte in die richtige Richtung, aber auch Punkte, die dringend im Sinne eines starken Klimaschutzes und sozialer Gerechtigkeit verbessert werden müssen.

Europäisches Klimaschutzziel und Erneuerbare Energien

Beginnen wir mit dem Augenfälligsten: das EU-Klimaschutzziel von 55 Prozent bis 2030 ist im Vorschlag „EU Fit for 55“ leider nicht angehoben worden. Dabei reichen die vereinbarten 55 Prozent überhaupt nicht aus, um die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens von EU-Seite zu erreichen. Das Reduktionsziel für Treibhausgase muss für die EU mindestens bei 65 Prozent liegen, wenn nicht sogar bei 70 Prozent, da ist sich die Wissenschaft einig. Und: auch die vorgeschlagenen europäischen Ausbauziele für erneuerbare Energien bis 2030 im „EU Fit for 55“ werden zwar von bisher 32 Prozent auf 40 Prozent angehoben (immerhin!), aber dies reicht leider auch nicht aus, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Denn wir brauchen mindestens 50 Prozent Erneuerbare im europäischen Energiemix, um den sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft zu erreichen. Schon allein die begrüßenswerten Pläne, die europäische Stahlindustrie auf klimafreundlichen, grünen Wasserstoff umzustellen, erfordern einen viel stärkeren Ausbau der Erneuerbaren, um damit ausreichend grünen Wasserstoff produzieren zu können. Leider hat es die Europäische Kommission im „EU Fit for 55“ auch verpasst, national bindende Ausbauziele für Erneuerbare vorzuschlagen, denn dies wäre durchaus sinnvoll, um die Mitgliedstaaten stärker auf die europäischen Ziele verpflichten zu können.

Strengere CO2-Flottengrenzwerte

Etwas positiv zu bewerten ist der Vorschlag der Europäischen Kommission, die CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zu erhöhen und bis 2035 quasi das Ende des Verbrennungsmotors auszurufen. Aber viel besser wäre es natürlich gewesen, eine klare CO2-Obergrenze für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge vorzuschlagen, die möglichst schnell in Kraft tritt und nicht erst ab 2030. Auch ein früheres Auslaufen des Verbrenners (schon ab 2030) wäre wichtig gewesen, denn der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem in den letzten Jahren die Emissionen steigen und der dringend im Sinne einer sozial gerechten Mobilitätswende umgebaut werden muss. Dabei muss dann auch klar sein, dass der Bau von kleinen, effizienten Elektroautos Vorrang haben muss, um die Probleme von Flächengerechtigkeit in unseren Städten zu lösen (Staus, Parkplätze) und den Rohstoffverbrauch (Stahl, Lithium, Nickel etc.) für den motorisierten Individualverkehr zu senken. Die Bedürfnisse der Beschäftigten in der europäischen Autoindustrie dürfen dabei natürlich nicht vergessen werden: hier brauchen wir einen „gerechten Übergang“ (just transition), der Gute Arbeit und Tarifbindung garantiert, Weiterbildung und die Einbindung der Gewerkschaften bei der Gestaltung der Transformation.

Schienenverkehr und ÖPNV

Der notwendige Ausbau des Schienenverkehrs, auch grenzüberschreitend, und des ÖPNV spielen im „EU Fit for 55“-Paket leider gar keine Rolle (obwohl 2021 doch das „europäische Jahr der Schiene“ ist). Dies ist umso bedauerlicher, als hier in Größenordnung Treibhausgase eingespart werden könnten, und tausende Jobs in der Produktion von Infrastruktur, Schienenfahrzeugen und Fahrzeugen für den ÖPNV geschaffen werden könnten – für Deutschland allein wären dies 200.000 Jobs in den nächsten zehn Jahren im Fahrdienst und in der Instandhaltung der Verkehrsbetriebe und zusätzlich noch einmal 200.000 Jobs durch Investitionen des Bundes in Bahninfrastruktur und öffentlichen Personennahverkehr (siehe: das Linke Klima-Job-Programm). Für Frankreich gibt es ähnliche Vorschläge: „One Million Jobs for Climate“ (Un Million D’Emplois pour le Climat) rechnet detailliert vor, wie durch die notwendige sozial-ökologische Transformation tausende Jobs geschaffen werden können. Die Eisenbahnverbindungen zwischen europäischen Städten, die in den letzten Jahren gekappt worden waren, müssen reaktiviert werden, ebenso wie ein flächendeckendes, zuverlässiges europäisches Nachtzugsystem. Auch müssten einheitliche Parameter für Bahnverbindungen auf europäischer Ebene etabliert werden, um den grenzüberschreitenden Ausbau voranzubringen.

Luftfahrt

Und das Verkehrsaufkommen muss nicht nur auf der Straße reduziert werden, bspw. durch die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, sondern auch in der Luft. So ist es zwar zu begrüßen, dass die Europäische Kommission im „EU Fit for 55“-Paket endlich eine Kerosinsteuer für innereuropäische Flüge vorschlägt, aber es soll eine Ausnahme für Frachtflüge geben. Dies ist natürlich völlig kontraproduktiv. Bisher verlieren die EU-Mitgliedstaaten jedes Jahr ca. 27 Milliarden Euro durch die fehlende Kerosinsteuer – Geld, das in die sozial-ökologische Transformation gesteckt werden könnte.

Emissionshandel für Verkehr und Wärme

Kritisch zu bewerten ist der Vorschlag im „EU-Fit for 55“-Paket, den Verkehrssektor und den Wärmesektor auch dem Emissionshandel zu unterwerfen – dies bedeutet, dass auch in diesen Sektoren überall in der EU CO2-Preise eingeführt werden und es zu Preissteigerungen kommen wird. Dies ist zum einen ungerecht, denn energieintensive Industrien in der EU werden weiterhin kostenlose CO2-Zertifikate erhalten und damit de facto bei ihren CO2-Preisen entlastet. Und die Kaufkraft ist in den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich, so dass sich ein einheitlicher CO2-Preis sehr unterschiedlich auf die Menschen vor Ort auswirkt. Es drohen soziale Ungerechtigkeiten und weitere finanzielle Belastungen für die Bürger*innen. Zwar enthält der Vorschlag der Europäischen Kommission einen sozialen Ausgleichsfonds (der viel zu klein angelegt ist), mit dem die Menschen entlastet werden sollen, aber es obliegt den Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie sie diesen Fonds verwenden, so dass es unklar ist, ob die Gelder tatsächlich vor Ort ankommen. In Deutschland bspw. tragen allein die Mieter*innen die gestiegenen Kosten durch den CO2-Preis fürs Heizöl und Gas, obwohl doch die Entscheidung, welche Heizungsanlage im Haus verwendet wird, nicht bei ihnen, sondern beim Vermieter liegt. Dies ist sozial ungerecht. Ähnlich sieht es im Verkehrsbereich aus: ein EU-weiter CO2-Preis wird die Spritkosten erhöhen, die besonders jene belasten, die aufs Auto angewiesen sind (Pendler*innen), und nicht einfach auf ein Elektroauto umsteigen können. Wir brauchen hier also einen Ausbau der klimafreundlichen Alternativen: flächendeckender, zuverlässiger ÖPNV und Schienenverkehr.