Online-Konferenz „Schienenverkehr in der EU und weltweit attraktiv machen – Lehren für COP26“ am 29. Oktober 2021

Konferenzbericht

08.11.2021
Manuela Kropp, Projektmanagerin Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Eine Online-Konferenz organisiert von der linken Fraktion im Europaparlament THE LEFT und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Hier finden Sie den deutschen Mitschnitt der Konferenz: https://youtu.be/FADDljkoOaQ

Der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem in den letzten Jahren die Treibhausgasemissionen ungebremst gestiegen sind. Weltweit rühren ca. 23 Prozent der Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor, und dort zum großen Teil aus der Verbrennung von Kraftstoffen in PKWs, LKWs, Bussen und Zweirädern im Straßenverkehr. Der Schienenverkehr verursacht davon nur 0,4 Prozent der Treibhausgasemissionen, wird vieler Orts elektrisch betrieben und ist der einzige Verkehrsträger, der seine CO2-Emissionen seit 1990 senken konnte. Anfang 2021 hat die EU das „Europäische Jahr der Schiene“ ausgerufen, um den Umstieg von Straße und Luftfahrt hin zu schienengebundenem Verkehr zu fördern.

Die Konkurrenz zur Schiene ist groß und vor allen Dingen billig. Durch Dumping bei Löhnen und Arbeitsbedingungen ist der Güterverkehr auf der Straße oft kostengünstiger und oft das bevorzugte Mittel der Wahl. Hier konnten in Korea gute Fortschritte durch den Einsatz von „safe rates“ (sichere Tarife) erzielt werden. In der EU wurde vor einem Jahr das sog. „Mobilitätspaket“ (mobility package) angenommen, um die Arbeitsbedingungen im Schwerlastverkehr auf der Straße zu verbessern. Allerdings hapert es noch bei der tatsächlichen Umsetzung.

Diese Online-Konferenz war die Folgeveranstaltung zu einer ersten Konferenz am 24. Februar 2021 zum Thema „Weichen stellen für den grenzüberschreitenden Schienenverkehr“.

Wir haben diskutiert mit: Cornelia Ernst (Mitglied der linken Fraktion THE LEFT im Europaparlament), Herwig Schuster (Greenpeace Europe), Cristina Tilling (European Transport Workers‘ Federation), Wol-San Liem (International Transport Workers‘ Federation) und Katerina Konecna (Mitglied der linken Fraktion THE LEFT im Europaparlament, Tschechien).

Cornelia Ernst (THE LEFT) wies in ihrer Keynote-Rede darauf hin, dass sich schon in der ersten Konferenz am 24. Februar 2021 herauskristallisiert hatte, wie stark jahrzehntelang die Schieneninfrastruktur sowohl an den Grenzpunkten zwischen den Mitgliedstaaten als auch innerhalb der Mitgliedstaaten vernachlässigt worden sei, und welche teilweise absurden Umwege deshalb mit der Bahn zurückzulegen seien. So sei es nicht verwunderlich, dass der LKW-Verkehr kostengünstiger und das bevorzugte Mittel der Wahl sei. Es brauche aber nicht nur einen Ausbau der Schieneninfrastruktur innerhalb der EU und zwischen der EU und Drittstaaten, sondern natürlich auch einen „gerechten Übergang“ (just transition) für die Beschäftigten im straßengebundenen Güterverkehr.

Herwig Schuster (Greenpeace Europe) verwies auf die Verkehrskampagne, die Greenpeace vor einiger Zeit auf EU-Ebene ins Leben gerufen hatte, denn der Verkehr sei quasi das Sorgenkind in vielen Mitgliedstaaten. Es brauche natürlich sowohl eine Reduktion des Verkehrsaufkommens insgesamt als auch eine Verschiebung des modal split hin zum Schienenverkehr und zur Binnenschifffahrt. Herwig Schuster verwies auf die Studie von Greenpeace (A radical transformation of mobility in Europe: Exploring the decarbonisation of the transport sector by 2040), die klar zeige, wie bis 2040 der Verkehrssektor in der EU dekarbonisiert werden müsse. Einerseits müssten Effizienzverbesserungen im Verkehrssektor und ein Umstieg auf E-Mobilität (also elektrifizierten Schienenverkehr) erfolgen, und zwar sowohl im Passagier- als auch im Güterverkehr. Andererseits brauche es auch einen systemischen Wandel, sprich: Verkehrsvermeidung, Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsträger und ein Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.

Dabei seien Agrotreibstoffe keine Alternative, und synthetische Kraftstoffe nur in der Luftfahrt eine Option, da allerdings auch nur bei Langstreckenflügen. Bis 2040 müsse die Verteilung im Güterverkehr mindestens so aussehen: 41% LKW, 36% Bahn, 22% Binnenschifffahrt. Noch 2015 sah die Verteilung allerdings so aus: 70% LKW, 15% Bahn, 14% Binnenschifffahr. Dies bedeute auch eine notwendige Reduzierung der Zahl der LKW in der EU von derzeit sechs Millionen auf drei bis vier Millionen. Zum „Europäischen Jahr der Schiene“ ließe sich noch kein wirkliches Fazit ziehen, denn die europäische Kommission werde erst im Dezember 2021 einen Aktionsplan vorlegen, von dem sich Greenpeace die Stärkung der Kooperation der europäischen Eisenbahnunternehmen untereinander erhoffe.

Wichtig sei auch, in bereits bestehende Strecken zu investieren und diese zu ertüchtigen, denn dies könne wesentlich rascher erfolgen, als der Neubau von Schieneninfrastruktur (v.a. in Osteuropa). Es müsse natürlich auch „Kostenwahrheit“ zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern hergestellt werden: die Kerosinsteuer müsse eingeführt werden, sowie die Reduktion der Schienen-Maut erfolgen. Auch müsse das Dumping im Güterverkehr auf der Straße beendet werden: bspw. seien in Österreich viele LKW „rechtswidrig“ unterwegs – sie erfüllten teilweise die technischen Standards nicht und überschritten die Lenkzeiten der Beschäftigten. Hier seien die Nationalstaaten gefragt. Die Klimakonferenz COP26 sei nach der Pariser Klimakonferenz von 2015 die wichtigste, ginge es doch um den Ausstieg aus neu geplanten fossilen Projekten. Dies werde natürlich auch Auswirkungen auf fossile Treibstoffe im Verkehr haben und hoffentlich zu einer rascheren Elektrifizierung im Verkehr führen.

Cristina Tilling (European Transport Workers‘ Federation) erklärte, dass die Synergien zwischen straßengebundenem Verkehr und Schienenverkehr genutzt werden sollten und daher eine integrierte Diskussion, auch von Gewerkschaftsseite, erfolgen müsse. Denn die Situation im straßengebundenen Güterverkehr sei deshalb so desaströs, da dieser künstlich billig gehalten werde. Vielmehr bräuchten wir weniger Beschäftigte in diesem Bereich, aber dann zu wesentlich besseren Arbeitsbedingungen. Im Fernlastverkehr zeigten sich die Probleme wie eine fast nicht zu erreichende Vereinbarkeit von Arbeit und Leben – und während der Pandemie sei der Druck auf die Beschäftigten noch gestiegen. Mittlerweile müsse ein Mangel an Fahrer*innen konstatiert werden, denn das wochenlange Unterwegssein und die beklagenswerten Zustände auf den Parkplätzen senkten die Attraktivität des Berufs weiter. Auch im grenzüberschreitenden Schienenverkehr müsse die Vereinbarkeit von Leben und Arbeit gewährleistet werden – durch kürzere Abwesenheiten von Zuhause. Grenzüberschreitender Verkehr auf Schiene und Straße hätten auch das gemeinsame Problem, dass vielfach die Arbeitszeit nicht korrekt erfasst werde und dementsprechend die den Beschäftigten zustehenden Entgelte nicht gezahlt würden. Im grenzüberschreitenden Schienenverkehr fehlten schlicht die geeigneten Instrumente zur korrekten Arbeitszeiterfassung. Im grenzüberschreitenden LKW-Verkehr sei dies immerhin technisch möglich. Auch die Mindestanforderungen hinsichtlich von Schulung und Ausbildung müssten in der EU im grenzüberschreitenden Verkehr harmonisiert werden: für die Straße gebe es klare Mindestanforderungen, aber für die Schiene sei dies bisher nicht der Fall.

Wol-San Liem (International Transport Workers’ Federation) erklärte, dass in Korea vor zwei Jahren sog. „safe rates“ (sichere Tarife) für den straßengebundenen Güterverkehr eingeführt worden seien. ITF setze sich dafür ein, dass solch ein Modell überall angewandt werde, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, die Rechte der Beschäftigten abzusichern und die Sicherheit auf den Straßen zu erhöhen. Denn letztendlich werde der Druck der Speditionen an die LKW-Fahrer*innen weitergegeben, mit Folgen wie Ermüdung, Überladung der LKWs und einer höheren Zahl an Verkehrsunfällen.

Die Grundsätze der „sicheren Tarife“ seien 2019 auf Ebene der ILO (international labour organisation) verankert worden, hätten aber leider noch keine Gültigkeit erreicht. Diese Grundsätze orientieren sich an einem Tarif für eine Fahrt, wobei verschiedene Faktoren wie z.B. die Fahrzeit zu berücksichtigen seien. Außerdem müsse ein Ausgleich zwischen Fahrer*innen, die grenzüberschreitend fahren und jenen, die innerhalb nationaler Grenzen unterwegs seien, gefunden werden. International gebe es durchaus unterschiedliche Ansätze: in den USA bspw. werde den Arbeitgebern klare Haftungsvorgaben gemacht. In Frankreich sei die Sorgfaltspflicht für die Arbeitgeber gesetzlich verankert. In Korea hätten die „sicheren Tarife“ bereits zu weniger Geschwindigkeitsübertretungen und weniger Überladungen der LKWs geführt und damit zu mehr Sicherheit auf den Straßen. Abschließend wies Wol-San Liem darauf hin, dass auch die industrielle Struktur in unseren Gesellschaften verändert werden müsse, um das soziale Dumping zu bekämpfen und überflüssige Fahrten zu vermeiden. Die Kosten eines „gerechten Übergangs“ für die Beschäftigten im straßengebundenen Güterverkehr müssten ebenfalls in der Diskussion zur notwendigen Verkehrswende berücksichtigt werden.

Katerina Konecna (THE LEFT) wies zu Beginn darauf hin, wie schwierig es sei, im Verkehrssektor gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten durchzusetzen. Umso notwendiger sei die regulatorische Arbeit des Gesetzgebers in diesem Bereich. Das sog. „Mobilitätspaket“ (mobility package), mit dem EU-weit bessere Arbeitsbedingungen im Schwerlastverkehr auf der Straße erreicht werden sollten, regele folgende wichtige Punkte: Fahrzeiten, Ruhezeiten, Kabotage, Einsatz von intelligenten Tachographen (Fahrtenschreibern), und Fragen zur Entsendung von Beschäftigten.

Im Zuge der Verhandlungen zu diesem europäischen Gesetzespaket habe es v.a. Dingen von Seiten osteuropäischer Mitgliedstaaten Bestrebungen gegeben, einige Vorschriften abzuschwächen oder gar nicht zur Anwendung zu bringen. Besonders umstritten sei die Rückkehrpflicht der Fahrer*innen alle paar Wochen gewesen, denn damit würde der Güterverkehr auf der Straße zerstört – so die Argumentation einiger osteuropäischer Mitgliedstaaten. Die entsprechenden Regierungen sähen also kein Problem darin, wenn die Fahrer*innen 50 Wochen pro Jahr auf der Straße unterwegs seien, ohne nach Hause zurückkehren zu können. Sie sähen auch kein Problem darin, wenn Fahrer*innen erstmal zwei Tage am Stück unterwegs sein müssten, um überhaupt ihren Einsatzort zu erreichen, und dann sofort zur Arbeit antreten müssten, ohne Pause bzw. Ruhezeiten. Häufig würden die Ruhezeiten auch nicht respektiert, wenn die Fahrer*innen zum Beladen der Fahrzeuge herangezogen würden.

In einigen osteuropäischen Mitgliedstaaten stelle der Güterverkehr auf der Straße einen bedeutenden Anteil am Bruttoinlandsprodukt (z.B. 16% für Bulgarien), so dass sich daher während der Verhandlungen zum Mobilitätspaket sogar Botschafter*innen in die Gespräche einschalteten. Auch die neu gewählte europäische Kommissarin für Verkehr stellte einige Teile des Mobilitätspakets in Frage und habe eine Studie in Auftrag gegeben, die zeigen solle, dass die Rückkehrpflicht der Fahrer*innen zu umweltschädliche Leerfahrten führe und daher nicht mit dem europäischen Green Deal vereinbar sei. Jedoch gelte dieses Argument nicht, so Katerina Konecna, da Leerfahrten aufgrund des ökonomischen Drucks von den Spediteuren selbst vermieden würden.

Abschließend erklärte Katerina Konecna, dass das Mobilitätspaket viele Verbesserungen für den Güterverkehr auf der Straße bringe: auch leichte Nutzfahrzeuge müssten nun mit einem intelligenten Fahrtenschreiber (Tachographen) ausgestattet werden, der nicht manipuliert werden könne; Ruhezeiten müssten außerhalb der Fahrerkabine verbracht und vom Arbeitgeber bezahlt werden; alle paar Wochen müssten die Fahrer*innen nach Hause heimkehren können; in einer Datenbank sollen alle Reisedokumente gespeichert werden, um Fälschungen zu verhindern; und alle acht Wochen müssten die Fahrer*innen zur Niederlassung zurückkehren. Natürlich hinge der Erfolg des Mobilitätspakets von seiner tatsächlichen Umsetzung und die Kontrolle durch die Mitgliedstaaten ab, so Katerina Konecna abschließend.

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