Die digitale Transformation – Halbleiter und die notwendige Verkehrswende

11.02.2022

Am 8. Februar 2022 stellte die Europäische Kommission den lange erwarteten „Chips Act“ vor – 43 Milliarden Euro sollen europaweit zur Förderung der Halbleiterbranche aufgebracht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die europäischen Regeln für staatliche Beihilfe aufgeweicht werden. Dies ruft sofort Kritiker*innen auf den Plan, die eine Beschränkung des Wettbewerbs und des Freihandels befürchten. Doch diese industriepolitische Offensive ist grundsätzlich zu begrüßen, denn die digitale Transformation erzeugt eine schnell wachsende Nachfrage nach Mikrochips und umso dringender ist der Aufbau einer eigenen Halbleiterindustrie, erklärt z.B. Martin Schirdewan, der Fraktionsvorsitzende von THE LEFT im Europaparlament. Europas Anteil an der globalen Chipproduktion ist in den letzten Jahren zurückgegangen, denn in anderen Teilen der Welt sind in diesen Sektor beträchtliche Fördermittel geflossen. Bis Ende des Jahrzehnts soll sich nun der europäische Anteil an der Weltproduktion von zehn auf 20 Prozent verdoppeln, so das Ziel der europäischen Kommission. Für die Autoindustrie stellen Halbleiter einen wichtigen Produktionsfaktor dar, denn elektrisch betriebene Autos, sowie vernetztes und autonomes Fahren werden die Nachfrage nach Halbleitern weiter anheizen. Und im Rahmen des Green Deal der europäischen Kommission und des EUFitfor55-Pakets ist das de-facto-Ende des Autos mit Verbrennungsmotor vorgegeben: 2035 wird derzeit als Enddatum verhandelt.

Soziale Auflagen und Klimaziele als Bedingung

Umso wichtiger ist es aber, die Förderung der Halbleiterindustrie an soziale Auflagen und Klimaziele zu binden und eine staatliche Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg der geförderten Unternehmen zu ermöglichen. Beispielsweise sind die Gelder der EU-Mitgliedstaaten für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Corona-Krise nicht ausreichend an klimapolitische und sozialpolitische Bedingungen geknüpft worden: in Frankreich und Deutschland wurden die Unternehmen, die Staatshilfen erhalten haben, nicht verpflichtet, auf Dividendenzahlungen zu verzichten und die Arbeitsplätze der Beschäftigten zu erhalten. Der Higher Council for Climate hat bspw. für Frankreich errechnet, dass 70 Milliarden der französischen Staatshilfen zu einem eklatanten Anstieg der Treibhausgasemissionen führen werden und damit den Klimaschutz gefährden. Und die Dividendenausschüttung des deutschen Autobauers Daimler wurde bspw. mitten in der Corona-Pandemie von 1 Milliarde auf 1,4 Milliarden Euro erhöht, während die Mitarbeiter*innen teilweise Lohneinbußen hinnehmen mussten. So etwas darf sich im Zuge des Aufbaus der Halbleiterindustrie nicht wiederholen: hier müssen klimapolitische und soziale Bedingungen an den Erhalt der Gelder geknüpft werden. Außerdem muss eine ausgewogene, regionale wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der EU gewährleistet werden, so dass nicht nur reiche Mitgliedstaaten vom Aufbau der Halbleiterindustrie profitieren - dies forderte z.B. IndustriALL Europe am 10. Februar 2022.

Aufbau einer Mobilitätsindustrie

Ein ähnliches Engagement wie beim Aufbau der Halbleiterindustrie ist auch für den Eisenbahnsektor in der EU geboten: 50 Milliarden Verluste hat dieser Sektor seit Beginn der Pandemie in 2020 verkraften müssen. Hier müssen die EU-Mitgliedstaaten und die EU-Ebene einspringen, um dem selbstgesetzten Ziel der Klimaneutralität bis 2050 im europäischen Green Deal zu entsprechen und einen flächendeckenden, grenzüberschreitenden Ausbau des Schienenverkehrs zu erreichen. Denn der Umstieg auf das Elektroauto wird weder zu den notwendigen Emissionseinsparungen führen, noch die Platzprobleme in unseren Städten lösen – eher verschärfen sie sich angesichts eines steigenden Bedarfs an Ladeflächen für E-Autos. Der Aufbau einer alternativen Mobilitätsindustrie, z.B. in der Bahn- und Schienenfahrzeugindustrie, könnte allein in Deutschland 69.000 Arbeitsplätze schaffen (Candeias, Krull, Spurwechsel, 2022). Für den Aufbau einer alternativen Mobilitätsindustrie muss aber auch klar sein: bei den notwendigen Ausschreibungen muss „lokale Produktion“ ein Auswahlkriterium werden, um die gleichmäßige industrielle Entwicklung in der EU zu erlauben – denn die momentane Gesetzeslage kann zu der paradoxen Situation führen, dass ein Land Millionen in den Bau von Schiene und Bahn investiert, aber vor Ort kein einziger Job geschaffen wird (siehe die Argumentation von Matteo Gaddi in der Studie „The Need for Transformation“). Dies muss dringend geändert werden, um in der notwendigen Transformation gute Arbeit vor Ort zu schaffen: ganz im Sinne des „gerechten Übergangs“ (just transition) für die Beschäftigten in der Automobilindustrie.