Recht auf Mobilität – in Köln, in Sao Paulo, in Boston…

23.03.2022
Manuela Kropp, Projektmanagerin Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Die steigenden Preise für Energie und Benzin bzw. Diesel sind derzeit in aller Munde – ganz zu Recht, denn sie setzen die Menschen mit mittleren und niedrigem Einkommen einem immer höheren Armutsrisiko aus. Dies gilt sowohl für die Menschen in der EU als auch für andere Weltregionen wie z.B. Brasilien, wo 2013 die Bewegung für einen Nulltarif im ÖPNV (Movimento Passe Livre) entstanden ist und weiter wächst.[1] Im „Autoland“ USA hat die Bürgermeisterin von Boston, Michelle Wu, jüngst acht Millionen Dollar aufgewendet, damit die Bewohner*innen einen Teil der lokalen Buslinien zum Nulltarif nutzen können.[2]

In der Europäischen Union wird derzeit die Einführung eines CO2-Preises für die Bereiche Verkehr und Gebäude diskutiert. Die Europäische Kommission hat im Rahmen des klimapolitischen EU-Fitfor55-Pakets einen entsprechenden Vorschlag präsentiert, der darauf abzielt, durch die Verteuerung von fossilen Brennstoffen eine entsprechende Verhaltensänderung bei den Menschen zu erreichen. Problem ist hier allerdings, dass viele Menschen weder das Heizungssystem in ihren Häusern auf klimafreundliche Wärmepumpen umstellen können, noch können sie, wenn sie z.B. zur Arbeit pendeln müssen, aufs Auto verzichten: wenn das Angebot des ÖPNV schlicht nicht vorhanden oder zu unzuverlässig ist. Sie haben also keine Wahl und müssen fossile Brennstoffe zur Bewältigung ihres Alltags nutzen.

Mobilität aber bedeutet gesellschaftliche Teilhabe und darf nicht durch steigende Preise eingeschränkt werden. Die linke Fraktion im Europaparlament fordert daher, auf die Einführung des europäischen CO2-Preises für Verkehr und Gebäude zu verzichten, und stattdessen einen europäischen sozialen Klimafonds (European social climate fund) aufzulegen, der für die Zeit von 2023 – 2027 23,7 Milliarden EUR bereitstellen soll. Damit sollen Haushalte entlastet werden, die von „Mobilitätsarmut“ und auch „Energiearmut“ betroffen sind. Die Berichterstatterin Leila Chaibi von La France Insoumise (linke Fraktion im Europaparlament), die gerade im Wahlkampf gegen Macron unterwegs ist, hat in ihrer Stellungnahme entsprechende Forderungen präsentiert.[3] Außerdem sollen, so ihre Forderung, diese Gelder in den Mitgliedstaaten für den Ausbau des ÖPNV und des Schienenverkehrs ausgegeben werden. Denn Millionen Menschen in der EU sind von Mobilitätsarmut betroffen und leiden unter steigenden Spritpreisen, niedrigen Haushaltseinkommen, hohen Kosten für die Nutzung des ÖPNV, und auch schlicht unter dem Mangel an alternativen Mobilitätsangeboten wie ÖPNV und Schiene. Allein die Forderungen der Gelbwestenbewegung in Frankreich zeigt, wie dringend und emotional dieses Thema ist. Daraus ergibt sich auch die berechtigte Forderung, überhaupt erst einmal eine europäische Definition von Mobilitätsarmut einzuführen, damit das Problem erfasst werden kann und für die verschiedenen Mitgliedstaaten vergleichbare Daten vorliegen.

Andererseits sind in vielen Mitgliedstaaten der EU Kaufprämien für Elektroautos ausgegeben worden (z.B. in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, Ungarn und Kroatien) [4]. Dies ist natürlich sozial ungerecht, denn Haushalte mit niedrigem Einkommen können sich die Anschaffung eines Elektroautos schlicht nicht leisten, ob nun mit Kaufprämie oder ohne. Ganz abgesehen davon, dass wir die Zahl der Autos auf unserem Planeten reduzieren müssen (bisher steigt die Zahl der zugelassenen Autos ungebremst), und eine reine Antriebswende vom Verbrenner hin zum Elektroauto die steigenden Treibhausgase im Verkehrssektor nicht reduzieren wird. Elektroautos, gerade die besonders großen und schweren, sind in der Herstellung sehr energie- und ressourcenintensiv und verursachen natürlich auch entsprechende Treibhausgase – sowohl bei der Herstellung selbst als auch bei der energieintensiven Förderung von Rohstoffen für die Batterien, wie z.B. Lithium, Kobalt und Nickel.[5]

Und die Frage des Flächenverbrauchs in unseren Städten, die Frage nach gerechter Verteilung von öffentlichem Raum (Parken versus Wohnen) (Parken versus Grünflächen) gehören auch zu einer sozial gerechten Verkehrswende. Das Bündnis „Kölner Verkehrswende Jetzt“ setzt sich für eine wirkliche Verkehrswende ein, die diese Stadt vom erstickenden Autoverkehr entlastet.[6] Denn bisher kommen Ausbau des Radverkehrs und des oberirdischen ÖPNV fast nicht voran – trotz anderslautender Beteuerungen von Seiten der Stadtregierung. Ganz im Gegenteil fließen auch noch Ressourcen in den Bau des Nord-Süd-Tunnels (Tunnelbauten erzeugen viel CO2), wohingegen der oberirdische ÖPNV vernachlässigt wird. Eine halbe Million Pendler*innen fahren jeden Morgen in die Stadt hinein – mit entsprechenden Folgen für Lärmbelastung, Luftverschmutzung und Flächenverbrauch für Parkplätze, erklärte Guda Wienke, sachkundige Einwohnerin im Verkehrsausschuss der Stadt Köln (LINKE) auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW.[7] Und ein Radverkehrskonzept für die Stadt Köln liege zwar vor, komme aber bei der Umsetzung kaum voran. Die dänische Stadt Kopenhagen, wo fast 50 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, hat im Gegensatz dazu den richtigen Ansatz gewählt und die Radverkehrsplanung von der Bezirksebene weggeholt und zentralisiert. So konnte der Anteil des Fahrrades am sog. Modal Split eklatant erhöht werden.

Hier zeigt sich also, dass eine sozial gerechte Klimapolitik, die das Recht auf Mobilität für Alle sichert, auch bedeutet, Alternativen zu schaffen: Ausbau des ÖPNV, Ausbau des Radverkehrs, Ausbau des Schienenverkehrs und Schaffung lebenswerter Städte, denn Fläche ist demokratischer Raum, der ein Raum für Begegnung sein muss.  Damit ein Leben innerhalb der planetaren Grenzen möglich ist und Mobilitätsarmut bekämpft wird.

Quellen

[1] https://www.mpl.org.br/

[2] https://www.boston.gov/news/mayor-wu-takes-steps-expand-fare-free-bus-service

[3] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TRAN-AM-719781_EN.pdf

[4] https://www.acea.auto/fact/overview-electric-vehicles-tax-benefits-purchase-incentives-european-union-2021/

[5] https://www.rosalux.de/en/publication/id/44154/fast-and-furious-for-future

[6] https://verkehrswende.koeln/koelner-verkehrswende-jetzt

[7] https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/IK6AZ/verkehrswende-fuer-die-stadt-verkehrswende-fuer-koeln-Ökologisch-und-sozial?cHash=b38316a0dc3f1066dca86bc968b0a605