Die Automobilindustrie – gerechter Übergang und die Entwicklung von Alternativen in den globalen Wertschöpfungsketten

Ein Veranstaltungsbericht

26.10.2022
Manuela Kropp, Projektmanagerin Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Am 27. Juni und 28. Juni 2022 organisierte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel eine internationale Konferenz mit Gewerkschafter*innen, Wissenschaftler*innen und Verkehrswendeaktivist*innen aus Europa und Brasilien, um über den notwendigen Umbau der internationalen Autoindustrie und die Schaffung von alternativen Arbeitsplätzen in der EU und in anderen Weltregionen, wie z.B. Brasilien, zu diskutieren.

Die steigende finanzielle Belastung für Haushalte mit mittleren und kleinen Einkommen, die steigenden Brennstoffpreise, und die ungebremst steigenden Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor zeigen: wir brauchen einen Umbau des Verkehrssektors, um das Recht auf klimafreundliche Mobilität für alle zu garantieren. 30 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU stammen aus dem Verkehrssektor, und sie steigen seit den 90er Jahren ungebremst. Auch nimmt der Anteil des öffentlichen Verkehrs an den zurückgelegten Wegen bspw. in Deutschland kaum zu. Der Erfolg des 9-Euro-Tickets in Deutschland zeigt aber auch, wie groß das Bedürfnis nach Mobilität ist. Gleichzeitig stehen die Beschäftigten in der Autoindustrie weltweit vor der Herausforderung, dass einerseits durch den Umstieg auf die E-Mobilität bis zu einem Drittel der Jobs wegfallen könnten, und in der Zulieferindustrie bspw. in Italien bereits massenweise Jobs wegfallen und bedroht sind. Und andererseits entstehen durch die notwendige Digitalisierung in der Autoproduktion neue Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten. Um Arbeitsplätze zu schaffen, industrielle Produktion zu erhalten, die Ressourcenfrage zu entschärfen und den Klimawandel zu bewältigen, brauchen wir Alternativen: Wir brauchen dringend einen Ausbau der Produktion von Bussen und Schienenfahrzeugen und einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs, in öffentlicher Hand und natürlich mit einer gesicherten, ausreichenden Finanzierung.

So legte Heinz Bierbaum, Präsident der Europäischen Linkspartei (European Left) in seiner Eröffnungsrede dar, dass für die Beschäftigten in der Autoindustrie natürlich ein gerechter Übergang (just transition) geschaffen werden müsse, um den notwendigen Umbau zu bewältigen: durch direkte Einbeziehung der Beschäftigten in Entscheidungen – also einen Ausbau von Wirtschaftsdemokratie. Just Transition sei Teil des Green New Deal: das bedeute, mit der neoliberalen Logik zu brechen und zu verhindern, dass Produktionsstätten geschlossen werden und vielmehr eine globale Zusammenarbeit der Beschäftigten zu fördern (siehe das schlechte Beispiel der Schließung des Werkes von Ford im deutschen Saarlouis, wo die Beschäftigten vor Ort gegen die Beschäftigten des gleichen Konzerns im spanischen Valencia ausgespielt wurden). Der Fokus der Unternehmensleitungen auf den Shareholder-Value sei schädlich und müsse stattdessen auf nachhaltige Unternehmensstrategien gerichtet werden. Hier sei auch die Eigentumsfrage von Bedeutung. Auch müssten die Beschäftigten das Recht auf Fortbildung erhalten, um die notwendige Transformation der Autoindustrie gut überstehen zu können. Dafür brauche es ein europäisches, industriepolitisches Programm, um die notwendige Langzeitplanung absichern zu können. Der notwendige Umbau erfordere eine Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene sowie immense Summen an Investitionen, so dass klar sei, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt („die europäische Schuldenbremse“) weiterhin ausgesetzt bleiben müsse, so, wie er auch während der Corona-Pandemie ausgesetzt worden war. Die europäische Kommission schreibe selbst, dass für den Umbau jedes Jahr europaweit mindestens 500 Milliarden EUR aufgewendet werden müssten – daher bräuchten wir eine europäische Fiskal- und Wirtschaftspolitik. Abschließend betonte Heinz Bierbaum, Akteure der Transformation könnten z.B. Transformationsräte sein, in denen Gewerkschafter*innen, Umweltaktivist*innen und Sozialverbände gemeinsam über die Zukunft der Standorte beraten. Um dafür Denkanstöße zu entwickeln, hat die EL vor kurzem eine Arbeitsgruppe zu Energiepolitik und Industriepolitik gegründet.

Özlem Alev Demirel, Europaabgeordnete für DIE LINKE. im Europaparlament, betonte in ihrem Beitrag, dass die Zulieferer in der Autoindustrie, vor allem in Niedriglohnländern, von Outsourcing, Leiharbeit und schlechter Entlohnung betroffen seien. Deshalb sei eine starke europäische Mindestlohn-Richtlinie wichtig, um die Mindestlöhne anzuheben und die Tarifbindung zu stärken. Für die Beschäftigten in der Autoindustrie sei es wichtig, eine Arbeitsplatzgarantie und Tarifverträge für Fortbildung zu erhalten – um sicherzustellen, dass die Fortbildung nicht unter prekären Bedingungen stattfinden müsse. Der Umstieg auf Elektroautos reiche nicht aus, vielmehr müsse das Recht auf Mobilität durch den Ausbau des ÖPNV und des Schienen-Fernverkehrs, und zwar europaweit, sichergestellt werden. Die Beschäftigten müssten bestimmen, was produziert und wie produziert werde. Dies hänge natürlich auch von den Eigentumsverhältnissen ab: Belegschaftsbeteiligung bzw. Belegschaftseigentum sei gut, stößt aber bei der Frage der Wettbewerbsfähigkeit im Zweifelsfalle an seine Grenzen. Es gehe also auch um die Frage, wie das Wirtschaftssystem insgesamt funktioniere. Der Umstieg auf Elektroautos würde auch Konflikte um Rohstoffe, bspw. Lithium, verschärfen und insgesamt zu einer Zunahme militärischer Konflikte führen. Abschließend betonte Özlem Alev Demirel, dass bei den milliardenschweren Rettungspaketen im Zuge der Coronapandemie genau betrachtet werden müsse, wer davon profitiere – breite Bevölkerungsschichten müssen dafür zahlen, wohingegen die Konzerne davon profitierten und dann noch Dividende an ihre Aktionär*innen ausschütteten.

Marga Ferré, Ko-Präsidentin von transform!europe, legte in ihrem Beitrag dar, dass der Kapitalismus den Kampf gegen den Klimawandel nicht voranbringen werde – dies zeige sich jedes Jahr bei den internationalen Klimakonferenzen COP, wo viel geredet aber wenig vereinbart werde. Die Beschäftigten hingegen hätten zu der notwendigen Transformation des Energiesektors und zum Kampf gegen den Klimawandel sehr viel zu sagen – sie müssen Teil der Transformation sein. Der freie Markt könne die Transformation nicht voranbringen, vielmehr brauche es starke Tarifverträge und den freien Zugang zu technologischem Wissen, das nicht von fünf oder sechs großen Konzernen monopolisiert werden dürfe. Hier müssten dringend die geistigen Eigentumsrechte (intellectual property rights) geändert werden. Auch sei eine Art von „Deglobalisierung“ wichtig, nicht im Sinne von Protektionismus, sondern im Sinne von „regionalem Protektionismus“, der nicht auf den Export von Waren fokussiere. Abschließend betonte Marga Ferré, dass auch das Militär ein wichtiger Verursacher von Treibhausgasemissionen sei. Insofern sei es schwierig, steigende Ausgaben für das Militär zu verteidigen, wenn doch gleichzeitig der Klimawandel ungebremst voranschreite.

Philippe Pochet, Direktor des European Trade Union Institute, betonte in seinem Beitrag, dass die Gewerkschaften vor dreißig Jahren den Begriff des „gerechten Übergangs“ (just transition) ins Spiel gebracht hätten und er nun endlich ganz oben auf der politischen Agenda stünde. Hier sei aber die Frage der Ungleichheit und der Machtverteilung wichtig. Für die notwendige Transformation müssten ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, um die Beschäftigten für den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen. Auch die Ressourcenfrage, bspw. mit Blick auf die Förderung von Lithium, mache klar, dass die Elektroautos nicht immer größer werden dürften, auch, weil der Platzmangel in unseren Städten dadurch verschärft werde.

Gerechter Übergang und alternative Produktion

Auf dem folgenden Podium zum Thema „Gerechter Übergang und alternative Produktion“ legte Benjamin Denis von IndustriALL Europe dar, dass das Gesetzespaket EU Fitfor55 und das EU-Klimagesetz (European Climate Law) für alle Beschäftigten eine Herausforderung darstellten. Tatsächlich würde momentan eine industrielle Umwälzung vor sich gehen, die die Beziehungen in den Wertschöpfungsketten und in der Produktion verändere. Der geplante Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor in 2035 werde viele Arbeitsplätze kosten, aber daneben gäbe es noch andere Ursachen wie eine steigende Kapitalkonzentration im Automobilsektor, mit weniger Fahrzeugherstellern. Neue Arbeitsplätze könnten hingegen in der Batteriefertigung entstehen – bis zu 500.000 europaweit. Allerdings könne damit der Verlust an Arbeitsplätzen in der Autoindustrie nicht ausgeglichen werden. Hinzu käme das Problem der regionalen Disparität: dort, wo Jobs verloren gingen, entstünden nicht notwendigerweise neue, sondern dann eben in anderen Regionen. Auch der Weiterbildungsbedarf sei riesig: 2,4 Millionen Beschäftigte müssten in den nächsten zehn Jahren weitergebildet werden, um dem veränderten Anforderungsprofil gerecht zu werden.

Fabien Gache von der Gewerkschaft CGT in Frankreich bemängelte, dass die Autohersteller zunehmend, seit 2008, auf große und schwere Fahrzeuge orientierten und damit die Zukunft verschliefen. Die Preise für diese Fahrzeuge würden entsprechend höher ausfallen und fänden vor Ort in Frankreich immer weniger Abnehmer. Auch die Treibhausgasemissionen fielen immer höher aus. Die Elektrifizierung sei aber aufgrund der Ressourcenproblematik auch keine Lösung, denn die Subventionen dafür kämen vor allen Dingen den Besserverdienenden zugute. So könne es sein, dass die Gelbwestenbewegung wieder stärker an Zulauf gewänne. Viel wichtiger sei hingegen, in die verschiedenen Mobilitätsarten und deren Komplementarität zu investieren. Leider gäbe es darüber aber keine öffentliche Debatte in Frankreich. Die von öffentlicher Hand gezahlten Subventionen für die Autoindustrie seien nicht an Bedingungen geknüpft, so dass die Gelder eingestrichen und dann dennoch Beschäftigte entlassen würden.

Ulrike Eifler von der AG Betrieb und Gewerkschaft von DIE LINKE., betonte in ihrem Beitrag, dass es nicht nur um den Umbau der Automobilbranche gehe, sondern dass wir vor dem Umbau der gesamten Arbeitswelt stünden. An vielen Stellen stocke die notwendige Transformation aufgrund des Fachkräftemangels. Informatiker*innen würden in der Autoindustrie immer wichtiger, wohingegen andere Beschäftigte das Nachsehen hätten – wie z.B. klassische Ingenieur*innen. Hier müsse mit einer Qualifizierungsoffensive gegengesteuert werden. Aber nicht nur in kurzfristigen Sonderprogrammen, sondern in langfristig angelegten Programmen. Auf der betrieblichen Ebene brauche es eine vorausschauende Personalpolitik, um die Übergänge sozial auszugestalten und Brüche in der Erwerbsbiografie zu verhindern. Die jahrelange Kürzungspolitik, die Prekarisierung von Arbeit und die Deregulierung des Arbeitsmarktes führe zu einer Vermittlung in irgendwelche Beschäftigungsverhältnisse, die ohne Perspektive für die Beschäftigten seien. Bei einem unfreiwilligen Wechsel des Arbeitsplatzes drohe ein Lohnverlust von 25% bis 30%. Mit dieser Logik müsse gebrochen werden. Daher sei auch die Stärkung der Tarifbindung wichtig, auch über die europäische Mindestlohnrichtlinie.

Karoly György vom ungarischen Gewerkschaftsverband (Hungarian Trade Union Confederation) unterstrich in seinem Beitrag, wie stark die ungarische Autoindustrie von ausländischen Direktinvestitionen abhängig sei. 20% der ausländischen Direktinvestitionen kämen aus Deutschland, wobei die Rolle von China hier wachsen würde. Ungarn säße sozusagen durch die starke einseitige Abhängigkeit in der „deutschen Falle“. Die vom ungarischen Staat gezahlten Subventionen und gewährten Steuererleichterungen (auch neuerdings für die Batterieproduktion) kämen den multinationalen Konzernen zugute, die aber andererseits kaum Steuern zahlten. Ungarn müsse das Prinzip der billigen Lohnarbeit überwinden, und bräuchte vielmehr Innovation und Weiterbildung für die Beschäftigten. Die Produktion von Elektroautos würde in Ungarn später beginnen, aber der Fokus aufs Automobil bliebe bestehen. 90 Prozent der ungarischen Autoproduktion ginge in den Export, wohingegen die heimische Wirtschaft unterentwickelt bliebe. Momentan liefe der Wettbewerb zwischen den mittel- und osteuropäischen Produktionsstandorten und Spanien – das Kapital und die Produktion agierten global, wohingegen die Gewerkschaften national agierten. Hier müssten also die nationalen Grenzen überwunden werden, um gegenzusteuern.

Matteo Gaddi von der Claudio Sabattini Foundation aus Italien unterstich in seinem Beitrag die starken Ungleichgewichte in der EU: Deutschland sei der Produktionsstandort Nummer eins, in Italien und Frankreich würde die Produktion schrumpfen und Mittel- und Osteuropa seien die Niedriglohnländer in diesem Gefüge. Hier werde der Wettbewerb zwischen den Beschäftigten aus verschiedenen Mitgliedstaaten angeheizt. Auch bei der Ansiedlung der Produktion für Batterien sei Deutschland wieder Vorreiter, wohingegen Frankreich, Spanien und Italien das Nachsehen hätten. Wenn hier von Seiten des Staates nicht gegengesteuert werde, führe dies unweigerlich zu einer Deindustrialisierung. Daher sei es umso wichtiger, dass die Regierungen zu einer echten Industriepolitik kämen: mithilfe von öffentlichem Eigentum und öffentlicher, langfristiger Planung. Die lokalen Produktionskapazitäten, die noch vorhanden seien, müssten erhalten werden, auch mithilfe der europäischen Regeln zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen. In Italien bspw. ist die lokale Produktion von Bussen immer weiter geschrumpft, und heute werden diese Fahrzeuge vor allem in Niedriglohnländern wie der Türkei und Polen produziert. Jährlich werden 4.000 neue Busse in Italien angeschafft, aber dies erhöhe nur die Importquote, da diese im Ausland produziert würden. Die Fusion von Alstom und Bombardier wird auch zu einer Neuorganisierung der Produktion von Schienenfahrzeugen führen, wobei dann viel in Kasachstan, China und Indien produziert werde. Der Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt schädige die lokale Produktion, so dass hier durch eine Klausel für „lokale Produktion“ (local content) gegengesteuert werden müsse. Dies sei für Unternehmen in öffentlicher Hand möglich – beispielsweise für die Produktion von Bussen und Schienenfahrzeugen.

Alternative Produktion in den internationalen Wertschöpfungsketten

Auf dem folgenden Podium zur alternativen Produktion in internationalen Wertschöpfungsketten erläuterten David Shiling Tsai und Renato Boareto vom Institut IEMA aus Brasilien, dass die Produktion von Autos in Brasilien in der Hand der internationalen Konzerne aus den USA, Europa, Japan, Korea und China sei. Auch die Produktion von Bussen sei durch europäische Unternehmen dominiert. Seit 2015 jedoch sei es zu einer Abnahme der lokalen Kaufkraft gekommen, so dass 14 Standorte geschlossen werden mussten oder zumindest ihren Output drastisch reduzieren mussten. Für den Umstieg auf das Elektroauto gäbe es keine Strategie für die lokale Industrie, der Fokus liege allein auf Plug-In-Hybriden. Die lokale Busproduktion, die sehr relevant für den südamerikanischen Markt sei, stünde nun durch den Umstieg auf Elektrobusse vor großen Herausforderungen, denn es gäbe auch hier keine abgestimmten industriepolitischen Maßnahmen von Seiten der Regierung. Auch die Senkung der Zölle für den Import von Elektrobussen helfe hier nicht, sondern mache die Situation nur schlimmer, so dass die Beschäftigten gegen die Einführung von Elektrobussen und für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gingen. Das kommende EU-Mercosur-Freihandelsabkommen werde zu einer Deindustrialisierung in Brasilen führen, da es einseitig auf den landwirtschaftlichen Sektor Brasiliens fokussiere. Seit 2016 würden die Rechte der Beschäftigten immer mehr angegriffen, so dass sich die soziale Krise verschärfe. Die neue Regierung müsse daher relevante Summen in den Ausbau des ÖPNV und die Stärkung der lokalen Produktion stecken. Wichtig sei, Mobilität als ein Recht zu etablieren, so, wie es die Bewegung Tarifa Zero seit einigen Jahren fordert. Dafür sei der massive Ausbau der Infrastruktur und eine nationale Politik aus einem Guss erforderlich.

Alen Toplisek vom King’s College in London hob die Rolle des Staates bei der Aneignung der lokalen Wertschöpfung hervor. So sei es entscheidend, dass der Staat auch große lokale Unternehmen unterstütze, um ihre Stellung innerhalb der globalen Produktionsnetzwerke zu verbessern. Denn bei lokalen Unternehmen sei es wahrscheinlicher, dass die Profite innerhalb des Unternehmens bzw. der Region verbleiben. Bei ausländischen Unternehmen hingegen sei es viel wahrscheinlicher, dass die Profite mithilfe des innerbetrieblichen Netzwerkes in andere Regionen transferiert würden. Der Staat müsse eine aktive Rolle als Käufer und auch als Produzent innerhalb der globalen Produktionsnetzwerke spielen. Als positives Beispiel hob Alen Toplisek Skoda in Tschechien hervor, das das Wissen durch öffentliche Aufträge in der Region hielte und auf diese Weise die lokale Produktion und den lokalen Verkauf unterstütze.

Tommaso Pardi von GERPISA hob die problematische Rolle der europäischen Verordnung zur Verminderung der CO2-Emissionen von PKW (aus dem Jahr 2008) hervor. Diese Verordnung schaffe einen Anreiz zum Bau von größeren und schwereren Autos, denn je schwerer ein Auto, desto mehr CO2-Emissionen seien erlaubt. Hier stelle sich die Frage, wie denn PKW ökologischer werden können, wenn gleichzeitig das Gewicht und damit der Materialverbrauch stiegen. Elektroautos hätten im Schnitt in den letzten Jahren 600 Kilogramm an Gewicht zugelegt, für Plug-In-Hybride läge dieser Wert bei 350 Kilogramm. In China allerdings sei der Trend in die entgegengesetzte Richtung verlaufen. Es sei klar, dass hier eine Regulierung in Richtung kleinerer und leichterer Fahrzeuge erfolgen müsse. Die lokale Produktion müsse mit der lokalen Nachfrage verbunden werden, und, wenn notwendig, auch mit protektionistischen Maßnahmen.

Mobilitätsindustrie und die Rolle von Vergesellschaftung

Auf dem abschließenden Podium zum Aufbau einer Mobilitätsindustrie und der Rolle von Vergesellschaftung hob Alana Dave von der International Transport Workers‘ Federation hervor, wie wichtig der massive Ausbau des öffentlichen Verkehrs sei. Der Fokus auf die Elektrifizierung des öffentlichen Verkehrs lenke ab von den notwendigen strukturellen Änderungen. Wenn Forderungen nach Guter Arbeit und mehr Rechten für die Beschäftigten erhoben werden, müsse auch gleichzeitig die Forderung nach öffentlichem Verkehr in öffentlicher Hand formuliert werden. Öffentlicher Verkehr müsse ein öffentliches Gut sein. Zum Beispiel sei Mexiko das einzige Land, wo Mobilität als öffentliches Gut anerkannt sei. Es müsse im Falle einer Vergesellschaftung natürlich sichergestellt werden, dass auch eine entsprechende demokratische Kontrolle ausgeübt werden könne. Zurzeit würden die Beschäftigten der Metro in Korea streiken, da sie das aktuelle Modell der public-private-partnership ablehnten und sich für eine Metro in öffentlicher Hand einsetzten. Auch bei den konkreten Politikansätzen zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs müsse die demokratische Kontrolle sichergestellt werden – bspw. durch sog. participatory budgeting (Bürgerhaushalte). In den meisten Regionen der Welt würde der öffentliche Verkehr kaum mit dem Wachstum der urbanen Räume mithalten können – und sei daher auch zu klein, um eine bedeutende Rolle im Klimaschutz zu spielen. Die Gewerkschaften müssten eine führende Rolle bei der Verschiebung des Kräfteverhältnisses spielen – weg von privaten Anbietern, hin zur öffentlichen Hand, um den Wettlauf nach unten bei Löhnen und Arbeitsbedingungen zu stoppen. Die Vergesellschaftung erfordere auch eine ausreichende Ausstattung mit öffentlichen Finanzmitteln – so sei es bspw. notwendig, die Querfinanzierung von verschiedenen öffentlichen Sektoren zu ermöglichen. Auf globaler Ebene setze sich das Netzwerk C40 gemeinsam mit Bürgermeister*innen und Gewerkschaften für den öffentlichen Verkehr in öffentlicher Hand ein, um entsprechenden Druck auf die nationalen Regierungen auszuüben.

Ellie Harrison von der Kampagne „Get Glasgow Moving“ aus Schottland beschrieb in ihrem Beitrag, wie die Kampagne „Bring Back British Rail“ 2009 startete und es 2015 gelang, dass die Labour Party die Forderung nach einer Verstaatlichung des Eisenbahnsektors in ihr Programm aufnahm. Die Kampagne „Get Glasgow Moving“ kämpfe seit 2016 dafür, den öffentlichen Verkehr in Glasgow wieder unter öffentliche Kontrolle zu bringen, denn im Jahre 1986 sei das Bussystem unter Thatcher dereguliert worden: es folgten starke Preiserhöhungen und eine Verschlechterung des Angebots. In Glasgow herrsche die Devise: öffentlicher Verkehr, aber private Profite. Eine Einzelfahrt mit dem Bus koste in London 1,65 britische Pfund, aber in Glasgow 2,65 britische Pfund. Gemeinsam mit der Initiative „Free Our City Campaign“ kämpften sie für sinkende Preise und ein Bussystem in öffentlicher Hand. Pikanterweise hatten die Delegierten während des Klimagipfels COP26 in Glasgow Zugang zum ÖPNV zum Nulltarif, sprich, sie mussten diese exorbitanten Ticketpreise nicht zahlen. Aber es ginge nicht nur um die Preise, sondern um eine volle demokratische Kontrolle des Bussystems bei gleichzeitiger Verbesserung des Angebots.

Mario Candeias vom IFG der Rosa-Luxemburg-Stiftung hob in seinem Beitrag hervor, dass die Studie „Spurwechsel“ zeige, wie die Beschäftigten in der Autoindustrie das Vertrauen in die Konzernstrategien verloren hätten. Es sei also notwendig, die drohenden Jobverluste aufzufangen und den Beschäftigten eine Perspektive zu bieten: durch eine andere industrielle Produktion, in der ausreichend Arbeitsplätze geschaffen würden. Wir bräuchten einen Aufbau einer alternativen Mobilitätsindustrie für mehr Schienenfahrzeuge, spezielle Nutzfahrzeuge und E-Bikes, einen bezahlbaren Fernverkehr sowie ÖPNV – dies hätte vor allen Dingen auch die hohe Nachfrage nach dem 9-Euro-Ticket gezeigt. Wenn man in Deutschland von einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr ausgeht, könnten 214.000 zusätzliche Jobs geschaffen werden. Bei 2,5-Mal so vielen Fahrgästen seien es schon 314.000 zusätzliche Jobs. Kombiniere man dies mit der sog. „kurzen Vollzeit“, dann könnten 300.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und die drohenden Verluste in der deutschen Autoindustrie ausgeglichen werden. Es sei eine Re-Industrialisierung für die lokale Produktion von Schienenfahrzeugen notwendig: dafür bräuchten wir eine zielgerichtete Industriepolitik und öffentliche Unternehmen. Die staatlichen Kapitalhilfen an die Autokonzerne müssten genutzt werden, um Anteile am Eigentum für die öffentliche Hand zu erwerben. Die notwendige Transformation vor Ort müsse durch Transformationsräte unter Beteiligung von Gewerkschaften, Umweltverbänden und Sozialverbänden gestaltet werden. Auch müsse die Produktion für eine alternative Mobilitätsindustrie stärker durch öffentliche Aufträge unterstützt werden – Polen sei hier ein positives Beispiel, das die lokale Produktion von Elektrobussen durch öffentliche Aufträge absichere. Abschließend bemerkte Mario Candeias, dass die Diskussionen nicht segmentiert voneinander laufen dürften: Die Themen Verkehrswende und Industriepolitik müssten zusammen gedacht werden.


Hier geht es zum Foto-Album der Konferenz:
https://flic.kr/s/aHBqjzYHWf