Das Thema „Sicherheit“ und die Linke

Erfahrungen und Strategien linker Parteien in den nordischen Ländern und Deutschland

06.09.2023

Im Juni 2023 veranstaltete das Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) einen Workshop in Malmö, Schweden, um den Austausch von Erfahrungen und Strategien zwischen verschiedenen linken Parteien zu fördern, die sich insbesondere nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine mit dem Thema Sicherheitspolitik beschäftigen.

Am Workshop nahmen 20 Parteiaktivist:innen und Entscheidungsträger:innen der politischen Linken aus Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Deutschland teil.[1] Darunter waren sowohl Abgeordnete der nationalen Parlamente, Fraktionssprecher:innen in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung als auch Mitglieder der Parteispitzen von Enhedslisten (Dänemark), Vasemmistoliitto (Finnland), Rødt (Norwegen), Socialistisk Venstreparti (Norwegen), Vänsterpartiet (Schweden), und DIE LINKE (Deutschland).

Der Workshop bot neben der Möglichkeit, sich über Analysen und Strategien auszutauschen, sich untereinander zu vernetzen und voneinander zu lernen, wichtige Einblicke in die Erfahrungen und Debatten linker Parteien in den nordischen Ländern und in Deutschland. Der Fokus lag auf zentralen Fragen und Herausforderungen für die Linke im Bereich der Sicherheitspolitik, einschließlich der heiklen Frage linker Strategien und Taktiken gegenüber militärischen und sicherheitspolitischen Bündnissen wie der NATO.

Der Workshop war Teil einer laufenden Veranstaltungsreihe der RLS Brüssel mit Schwerpunkt auf den nordischen Ländern.

 

Ukraine, das Thema Sicherheit und die Linke

Russlands Invasion der Ukraine war für politische Akteure fast jeglicher Couleur ein böses Erwachen, das Themen wie Sicherheit und Verteidigung in ganz Europa ins Zentrum der politischen Debatte katapultierte. Während die am weitesten verbreitete Reaktion – verstärkter Militarismus und Aufrüstung – zur Agenda der politischen Rechten passt, hat die Sicherheitspolitik, jenseits des Engagements für Frieden und Anti-Kriegs-Aktivismus, nur selten zur Stärke der Linken gehört. Die neue Situation ist für die Linke umso komplizierter, da die stark auseinandergehenden Perspektiven auf den Ukraine-Krieg innerhalb der linken Parteienfamilie ihre Fähigkeit schwächen, eine glaubwürdige Antwort zu präsentieren.

What could a realistic and effective security policy look like from a left perspective?

So gibt es Linke, die zwar das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung und Selbstbestimmung im Allgemeinen unterstützen, jedoch den USA und der NATO weiterhin die Schuld an der russischen Aggression geben und damit Kritik an der Linken als „russlandfreundlich“ Tür und Tor öffnen. Andere sind weniger an Schuldzuweisungen interessiert und wollen schlicht ein Ende des brutalen Krieges, denken dabei aber nur wenig an die praktischen Folgen eines sofortigen Waffenstillstands. Wiederum andere – darunter die nordischen linken Parteien – streben eine Sicherheitspolitik an, die fundamentale Positionen der Linken mit einem größeren Pragmatismus in Bezug auf die veränderten Realitäten abwägt. Hierfür setzen sie sich für Frieden, aber nicht um jeden Preis, ein und unterstützen die Lieferung von Verteidigungswaffen an die Ukraine.

Der Ukraine-Krieg erweist sich somit als Wendepunkt: Schweden und Finnland geben ihre langfristige Neutralität auf und Deutschland beteiligt sich an einer historischen Aufrüstung. Der RLS Workshop bot in dieser Situation den vertretenen Parteien ein dringend benötigtes Forum, um ihre Erfahrungen, Anliegen, Strategien und Ideen darüber auszutauschen, wie ein realistischer und effektiver Kurs in der Sicherheitspolitik erreicht werden kann.

 

Austausch über Erfahrungen und Herausforderungen

Zu Beginn des Forums gaben die Teilnehmer:innen der einzelnen Länder einen Überblick über die Lage in ihren jeweiligen Ländern sowie über die Herausforderungen und den Stand der Sicherheitsdebatte auf sowohl parteipolitischer als auch nationaler Ebene. Es wurde schnell deutlich, dass alle beteiligten Parteien – insbesondere die nordischen – nicht nur viele ähnliche Anliegen und Perspektiven, sondern auch parallele Erfahrungen teilen.

Alle beklagten, regelmäßig fälschlicherweise als „pro-russisch“ eingestuft zu werden und dadurch Schwierigkeiten zu haben, die Debatte zu beeinflussen. Die Teilnehmer:innen betonten ihre Unterstützung für die Selbstverteidigung der Ukraine, einschließlich – in den meisten Fällen – der Lieferung von Verteidigungswaffen. Sie äußerten gleichzeitig auch ihre Besorgnis darüber, dass der Krieg dazu benutzt werde, die öffentliche Debatte zu ersticken, die Unterstützung für die Ukraine mit der Unterstützung für die NATO zu verknüpfen, die Kriterien für Rüstungsexporte an Länder mit schweren Menschenrechtsverletzungen aufzuweichen und die „Festung Europa“ gegen Flüchtlinge und Migranten weiter abzuschotten.

Es wurde deutlich, dass der russische Krieg einen Paradigmenwechsel ausgelöst und viele nordische linke Parteien gezwungen hat, ihre Sicherheitspolitik zu überdenken. Alle beteiligten Parteien hatten erst kürzlich eine interne Debatte über das Thema geführt, um Spannungen zu überwinden sowie strategische Visionen und politischen Druck von außerhalb der Parteien (im innenpolitischen Kontext, in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung und angesichts der realpolitischen Situation) miteinander ins Verhältnis zu setzen. Angesichts der wohlbekannten Unstimmigkeiten der Linken in Bezug auf dieses Thema waren sich die Teilnehmer:innen jedoch einig in ihrem Wunsch, eine realistische Vision einer nordischen Zusammenarbeit in Bezug auf Verteidigung zu entwickeln, die letztlich außerhalb der NATO und anderer bestehender geopolitischer Blöcke liege, um so regionale Sicherheit und Frieden stärken zu können.

Trotz dieser Debatten akzeptierten alle Teilnehmer:innen, dass die NATO-Mitgliedschaft – vorerst – nicht wirklich bestreitbar sei. Noch vor 5 Jahren schien die NATO ein zunehmend irrelevantes, unterfinanziertes und ungeliebtes Relikt des Kalten Krieges zu sein. Russlands Invasion der Ukraine hat die Bedeutung des Bündnis so dramatisch wiederbelebt, dass sowohl Finnland als auch Schweden schnell ihre historische Neutralität aufgegeben haben, um sich ihm anzuschließen. Diese Umstände haben die Linke – die der NATO, als Instrument des Militarismus und Imperialismus, traditionell kritisch gegenübersteht – unter erheblichen Druck gesetzt und zu mehreren Perspektivveränderungen geführt.

 

Abschied von der Neutralität

Während die allgemeine Unterstützung der NATO sowohl in Finnland als auch in Schweden seit dem Krieg zugenommen hat, sind die Reaktionen der dortigen Linksparteien sehr unterschiedlich. Schwedens Vänsterpartiet positioniert sich immer noch strikt gegen eine NATO-Mitgliedschaft, auch wenn sie akzeptiert, dass Schweden beitreten wird. In Finnland hatte die Linkspartei Vasemmistoliitto den Widerstand gegen die NATO zur Bedingung gemacht, die Regierung (Kabinett Sanna Marin 2019-2023) zu unterstützen. Ihren eigenen Abgeordneten hat sie allerdings angesichts der neuen Situation freies Abstimmungsrecht über den Beitritt gegeben, was zu einer 9:6-Spaltung führte. Diese Spaltung spiegelt sich in einer wachsenden Unterstützung der NATO auch innerhalb der Partei wider – eine Situation, die unter anderem auf die 1.300 Kilometer lange Grenze des Landes zu Russland zurückzuführen ist.

Während sich die Vänsterpartiet dafür ausspricht, das von der NATO bevorzugte Ziel von 2 Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben – wenn auch aus eigenen Gründen – gibt die Partei zu, keine Strategie zur Reaktion auf die NATO-Mitgliedschaft zu haben und noch keine umfassende interne Sicherheitsdebatte zu führen, was jedoch vor ihrem Parteitag 2024 geschehen werde. Die Linke in Finnland legte in dieser Hinsicht bereits eine Strategie vor und ersetzte den offenen Widerstand gegen die NATO durch strengere Bedingungen für die Mitgliedschaft, darunter: keine Atomwaffen oder ausländischen Truppen in Finnland, die Demokratisierung der Entscheidungsfindung innerhalb der NATO unter Einbeziehung der nationalen Parlamente und ein stärkeres Bekenntnis zur nuklearen Abrüstung.

Learning to live with NATO? Difficult decisions amidst changing political realities

 

Lernen, mit der NATO zu leben?

In Dänemark und Norwegen, beide langjährige NATO-Mitglieder, waren die Veränderungen nicht minder bemerkenswert. Die dänische Partei Enhedslisten änderte im Jahr 2022 seine NATO-Politik – diese wurde im Jahr 2023 weiter ausformuliert – und sprach sich erstmals für eine territoriale Verteidigungskraft aus. Die neue – in knapper Abstimmung angenommene – Position lautete, dass die Partei erst dann einen Austritt aus der NATO fordern werde, wenn eine alternative internationale Sicherheitsarchitektur vorhanden ist. Jede Hoffnung, dass dies Angriffe auf die Partei in Bezug auf die Ukraine und die Sicherheit hätte „parieren“ können, hat sich bisher kaum bewahrheitet, da interne Meinungsverschiedenheiten schnell die Medien erreichten.

Norwegens Partei Socialistisk Venstreparti aktualisierte in diesem Jahr ebenfalls seine NATO-Politik und akzeptierte, dass ein sofortiger Austritt unrealistisch sei. Die Invasion der Ukraine erwischte die Partei unvorbereitet, und ihre zögerliche Unterstützung für die Lieferung von Waffen an die Ukraine sowie die Versuche einiger Mitglieder, Russlands Angriff zu rationalisieren, setzten die Partei, in einem zunehmend feindseligen politischen Umfeld, heftiger Kritik aus. Auch Norwegens weitere linke Partei, Rødt, wurde überrascht. Während ihr Widerstand gegen die NATO unverändert bleibt, ging es der Partei vor allem um die Frage der Entsendung von Waffen in die Ukraine. Rødt gab Anfang des Jahres, nach einer schwierigen internen Debatte, nur bedingt ihre Unterstützung für Waffenlieferungen an die Ukraine (nur Verteidigungswaffen und keine Waffen norwegischer Rüstungsproduzenten).

 

Umgehung der NATO-Debatte

Teilnehmer:innen beider norwegischer Parteien betonten die Notwendigkeit alternativer Methoden zur Unterstützung der Ukraine sowie praktischer Schritte, um NATO-Verteidigungsmaßnahmen zu begrenzen und die Gefahr einer Eskalation des aktuellen Konflikts zu reduzieren, anstatt sich unwirksamer und isolierender Rhetorik zu bedienen. Rødt setzt sich beispielsweise dafür ein, die humanitäre Hilfe für die Ukraine zu stärken. Die Partei konzentriert sich außerdem darauf, diplomatische Maßnahmen zu finden, die helfen könnten, den Konflikt auf dem Verhandlungswege zu beenden.

Ähnlich wie Finnlands Partei Vasemmistoliitto prüft die Partei Socialistisk Venstreparti verschiedene praktische Schritte zur Beschränkung des Einflusses der NATO: Widerstand gegen US-Militärstützpunkte und Militarisierung in den nordischen Ländern, Forderungen nach Deeskalation und Entnuklearisierung und Versuch, die Sicherheitsdebatte über militärische Fragen hinaus auf zivile, soziale, klimatische und andere Faktoren auszuweiten. Die norwegischen Teilnehmer:innen wiesen auch darauf hin, dass sich im Zuge des Ukraine-Kriegs in Norwegen ein neuer Konsens über das Recht auf Selbstbestimmung und nationale Souveränität herausgebildet habe. Dieser könne eine Möglichkeit bieten, das Konzept der Souveränität gegen den Missbrauch von Gewalt durch die Großmächte anderswo zu stärken.

Beide norwegische Parteien bekräftigten ihre Unterstützung für eine starke nationale Verteidigung und kritisierten, dass die Regierung es versäumt habe, die Ausgaben für Material und Verteidigungspersonal, von denen viele mit schlechten Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen konfrontiert seien, angemessen auszurichten. Sie sprachen sich auch für ein Ende der Privatisierung des Sektors, für mehr demokratische Kontrolle und für eine "gesunde" nationale Verteidigung aus. Dies sei eine Voraussetzung für das Ziel, eine glaubwürdige alternative Sicherheitspolitik für die Region zu entwickeln und eine dritte Position anzubieten, die unabhängig von den großen Machtblöcken, der NATO und Russlands sei.

 

Deutschlands Militär: Kein „normales“ Thema

Nach den Worten eines Teilnehmenden aus Deutschland vereine die Situation bei der Partei Die LINKE „alle Eure Probleme, nur schlimmer“. Das Parteiprogramm sieht die NATO und die westlichen Mächte nach wie vor als Hauptquelle des Militarismus und der Bedrohung des Friedens, und viele Mitglieder betrachteten die NATO als zumindest teilweise für den Ukraine-Krieg verantwortlich. Das Programm der deutschen Linkspartei fordert auch den Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur, die Russland miteinbezieht – vielleicht langfristig ein notwendiger Schritt, aber angesichts der aktuellen Ereignissen kaum realisierbar–, und die Partei wird von den Medien nachhaltig dafür kritisiert, zu „verständnisvoll“ gegenüber Putin und Russland zu sein.

Anders als einige ihrer nordischen Pendants gibt es jedoch kaum Chancen auf große Veränderungen was den Ansatz der Partei DIE LINKE in Bezug auf das Thema „Sicherheit“ betrifft. Auf ihrer Konferenz im Jahr 2022 diskutierte die Partei zwar über mögliche Sicherheitsoptionen für Osteuropa, die Frage, ob die EU eine Rolle bei der Sicherheit spielen sollte, und darüber, welche Rolle den Vereinten Nationen bei der Förderung des Friedens in einer multipolaren Welt zukomme. Die Partei hat sogar militrisch-ökonomische Sanktionen gegen Russland als Mittel zur Beendigung des Krieges begrenzt unterstützt. Allerdings lehnt DIE LINKE – trotz ihrer Unterstützung der ukrainischen Souveränität – Waffenlieferungen aus Deutschland in die Ukraine sowie die kürzlich angekündigte Wiederaufrüstung Deutschlands im Wert von 100 Milliarden Euro weiterhin strikt ab.

In der Tat, so betonte ein:e Teilnehmer:in , „ist in Deutschland das Militär immer noch kein ‚normales‘ Thema“, und obwohl die Partei DIE LINKE die Verteidigung unterstützt, pflegt sie eine starke antimilitaristische Tradition, die sich Versuchen widersetzt, die Rekrutierung und Ausgaben für das deutsche Militär zu normalisieren. Die Teilnehmer:innen des Workshops äußerten auch ihre Besorgnis über die zunehmende Militarisierung der EU und die mögliche Bedrohung für Frieden und Demokratie durch eine EU-Armee. Die Partei DIE LINKE überarbeitet derzeit ihre Sicherheitsperspektiven und soll in den kommenden Monaten dem Vorstand einen neuen Vorschlag vorlegen.

 

Unterstützung der Ukraine jetzt und in der Zukunft

Neben der besseren Unterstützung der Ukraine im aktuellen Konflikt diskutierten die Teilnehmer:innen auch, wie die Linke den Wiederaufbau des Landes unterstützen könne, um eine nachhaltigere und sozial gerechtere Ukraine nach dem Krieg mit Russland zu gewährleisten. Alle Parteien haben diesbezüglich Vorschläge unterbreitet, von denen viele sofortige Maßnahmen erforderten, um künftig wirksam sein zu können.

Zu den Vorschlägen gehörte, sich für den Erlass der Staatsschulden der Ukraine einzusetzen, die andernfalls dazu dienen würden, dem Land beim Wiederaufbau nach dem Krieg eine neoliberale Zwangsjacke aufzuzwingen. Viele äußerten ihre Frustration darüber, dass der Krieg dazu genutzt werde, Kritik an der Selenskyj-Regierung, ihrer Korruption und ihrer neoliberalen Ausrichtung zu unterbinden, und dass eine Lösung für diese Sackgasse gefunden werden müsse. Die Teilnehmenden plädierten außerdem dafür, sicherzustellen, dass die Hilfe für die Ukraine zusätzlich zu den bestehenden nationalen Hilfsbudgets erfolge und nicht auf Kosten anderer Maßnahmen internationaler Solidarität gehe.

Inspiriert von einer dänischen Regierungsinitiative, den Wiederaufbau einer ukrainischen Stadt zu fördern, wurde vorgeschlagen, dass die deutsche Linke ähnliche Projekte organisieren möge, vielleicht auf kommunaler Ebene. Gleichzeitig wurden auch darauf gepocht, dass die Rechte der Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenrechte in der Ukraine besser unterstützt werden müsse. Es wurde jedoch zu bedenken gegeben, dass die nordische Linke sich untereinander besser koordinieren müsse sowie einerseits mit der ukrainischen Linken und Zivilgesellschaft und andererseits mit weiteren linken Kräften in der Region enger zusammenarbeiten – zum Beispiel mit Razem in Polen oder der Linken innerhalb der russischen Opposition. Die Teilnehmenden schlugen vor, einen regelmäßigen Austausch zwischen ihren Parteien zum Thema Ukraine herzustellen.

 

Bekämpfung des wiedererstarkenden Militarismus

Während alle Parteien auf dem Workshop ihre Unterstützung für die Ukraine zum Ausdruck brachten – und die meisten die Lieferung von Verteidigungswaffen für die Verteidigung der Ukraine befürworteten –, äußerten sie auch Bedenken darüber, dass der Krieg bereits jetzt zu einem Wiederaufleben des Militarismus und der Aufrüstung führe und das Risiko einer Eskalation des Ukraine-Konflikts mit sich bringe, der sich möglicherweise in Europa und anderswo verbreiten könne. Die Teilnehmenden stellten die Frage nach möglichen Grenzen linker Unterstützung für Waffenlieferungen und betonten die Notwendigkeit, Waffenexporte in Länder mit schweren Menschenrechtsverletzungen aktiver zu bekämpfen.

Die Diskussion beschränkte sich aber nicht auf die Bekämpfung des Waffenhandels und der Militarisierung. Die Teilnehmenden betrachteten auch die mögliche Rolle, die eine verstärkte europäische Rüstungsproduktion – beispielsweise als Alternative zur amerikanischen und israelischen Rüstungsindustrie – spielen könnte. Würde die Stärkung dieser Produktion es erleichtern, sich für eine Verstaatlichung der Industrie oder ihrer Profite einzusetzen? Einige Teilnehmenden kritisierten die derzeitigen Militärausgaben in den teilnehmenden Ländern als ineffizient und ineffektiv. Sie forderten eine Konzentration auf bessere personelle Mittel im Militär – einschließlich Löhne und Arbeitsbedingungen – als Alternative dazu, einfach mehr Geld für größere Waffen auszugeben.

 

Die Linke in der NATO

Da alle teilnehmenden Länder nun Mitglieder der NATO sind oder es bald sein werden und kaum Hoffnung auf einen sofortigen Austritt besteht, drehte sich die Diskussion auch um die Frage, wie die Linke innerhalb des Militärbündnisses am besten agieren solle und zu welchem Zweck. Einige argumentierten, dass es leichter für die Linke wäre, sich an der breiteren politischen Diskussion zu beteiligen, wenn sie ihre Forderung nach einem sofortigen Austritt aus der NATO fallen ließe, da damit dieses kontroverse Thema aus der Debatte genommen würde. Es wurde auch konstatiert, dass das Thema „NATO“ nicht unbedingt eines sei, mit dem man Wahlen gewinne – im Gegenteil hätten mehrere Parteien Mitglieder verloren, als sie ihre Position wechselten, während die schwedische Linkspartei trotz ihrer anhaltenden Opposition zur NATO keinen Rückgang der Unterstützung verzeichnete.

Die Teilnehmenden äußerten sich pessimistisch über die Aussichten, die NATO von innen zu verändern, sahen aber Möglichkeiten für die Linke, sich erfolgreich einzubringen, einschließlich der Teilnahme an der parlamentarischen Versammlung der NATO. Auf diese Weise, so argumentierten sie, könne die Linke mehr Informationen erhalten, die Ausrichtung der NATO beeinflussen – unter anderem versuchen, Out-of-area-Einsätze der NATO zu verhindern – und somit besser in der Lage sein, das Vorgehen des Bündnisses zu kritisieren. Die nordischen Parteien sahen in der gemeinsamen NATO-Mitgliedschaft auch die Möglichkeit einer engeren Zusammenarbeit der nordischen Länder und legten damit den Grundstein für ein weiteres langfristiges Ziel: ein „nordisches Sicherheitsbündnis“.

The workshop facilitated the exchange of experiences and strategies among the parties.

 

Ein nordisches Sicherheitsbündnis?

Tatsächlich war die Idee eines solchen Bündnisses während des gesamten Workshops ein wiederkehrendes Thema und wurde von den nordischen linken Parteien seit vielen Jahren als Alternative zur NATO und anderen Sicherheitskooperationen in der Region (wie der von Großbritannien geführten Joint Expeditionary Force) vorgeschlagen. Die Teilnehmenden räumten jedoch ein, dass bisher nur wenig praktische Anstrengungen unternommen worden seien, um zu bestimmen, wie eine solche Organisation aufgebaut werden könne und welche Ziele sie haben könnte. Das Thema wurde zentral für den gesamten Workshop, wobei sich eine Reihe konkreter Ideen herauskristallisierten.

So wurde der Vorschlag unterbreitet, einen Forderungskatalog sowie gemeinsame Politiken zu entwickeln, die als Grundlage für ein solches Bündnis dienen könnten. Mehrere Teilnehmenden schlugen die Ausarbeitung eines separaten „nordischen Kapitels“ im NATO-Abkommen vor. Es wurde argumentiert, dass der NATO-Artikel 5 zur kollektiven Verteidigung praktisch tot sei und die nordischen Länder daher versuchen sollten, eine Entsprechung durch bilaterale Abkommen zu schaffen. Es bestand auch Einigkeit darüber, dass bestehende demilitarisierte Zonen verteidigt werden müssten, auf die Schaffung neuer Zonen gedrängt werden müsse und dass die Parlamente – nicht nur die Regierungen – stärkere über Sicherheitsfragen diskutieren müssten.

Längerfristig, so wurde argumentiert, muss ein nordisches Sicherheitsbündnis sowohl über die militärische Kapazität für eine sinnvolle Verteidigung gegen mögliche Aggressoren verfügen, als auch einen dritten Weg zur Vermeidung von Eskalationen suchen. Aus diesem Grund müsse ein solches Bündnis auf gemeinsamen militärischen Übungen und einer verstärkten Zusammenarbeit der nordischen Länder im Bereich der Cybersicherheit sowie in zivilen Fragen wie Gesundheits- und Klimakatastrophen aufbauen. Die Teilnehmer*innen akzeptierten zwar, dass kein Austritt aus der NATO in Sicht sei, argumentierten jedoch, dass in ihrem Schatten Raum für eine Alternative geschaffen und gleichzeitig ihre schlimmsten Auswüchse verhindert werden könnten. Ein:e Teilnehmer:in formulierte es so: „Wir wollen ein starkes nordisches Bündnis innerhalb einer schwachen NATO.“

The director of RLS Brussels, Anna Schröder, stressing the importance of building familiarity and cooperation among left parties.

 

Gemeinsame Forderungen entwickeln

Es bestand ebenfalls Einvernehmen über die Notwendigkeit einer verstärkten nationalen Verteidigung sowie verbesserter Verteidigungskooperation zwischen den nordischen Ländern, außerdem der Stärkung der Rolle der Vereinten Nationen und des Multilateralismus in Fragen der globalen Sicherheit. Die Teilnehmenden äußerten allerdings erneut ihre Besorgnis über die Militarisierung der EU und das aggressive Auftreten einiger Mitgliedsstaaten. In dieser Hinsicht wurden Vorschläge abgelehnt, dass ein nordisches Sicherheitsbündnis auch die baltischen Staaten umfassen könne, nicht nur wegen deren aggressiver militärischer Haltung, sondern auch, weil die gemeinsame geografische und kulturelle Geschichte der nordischen Länder ein solches Bündnis – als mögliche dritte Kraft – wahrscheinlicher mache.

Die Diskussion wandte sich unweigerlich auch der Frage der Atomwaffen zu. Die deutschen Teilnehmer:innen warnten, dass solche – trotz jahrzehntelanger öffentlicher Proteste – schon lange in Deutschland präsent seien, es jedoch nur noch eine Frage der Zeit sei, bis sie auch in der nordischen Region stationiert wären. Alle Parteien waren sich einig in ihrer Ablehnung einer aus ihrer Sicht massiven und gefährlichen Eskalation und kamen überein, dass die nordische Region zur atomwaffenfreien Zone erklärt werden solle. Diesbezüglich wurde darauf hingewiesen, dass es im Nordischen Rat bereits viele Gemeinsamkeiten gebe und dass es nicht allzu schwierig sein dürfe, diese in den nationalen Parlamenten durchzusetzen.

Die Teilnehmenden äußerten auch ihre besondere Besorgnis über die Militarisierung der arktischen Region, die sich rasch zu einem potenziellen Brennpunkt entwickele, da das Meereis schmilzt und der Ansturm auf Meeresbodenmineralien zunimmt. Die Parteien waren sich einig, dass die Arktis nicht nur frei von NATO-Stützpunkten, Atomwaffen und Militarisierung im Allgemeinen gehalten werden soll, sondern dass die Linke auch die Einbindung indigener Völker in Sicherheitsdiskussionen über die Region fördern muss, mit Fokus auf die Entmilitarisierung. Kurz gesagt: „Keine Entscheidung über die Arktis sollte ohne die Einbeziehung der Menschen aus der Arktis getroffen werden“.

Developing common demands.

 

Nächste Schritte

Insgesamt äußerten die Teilnehmenden immer wieder den Wunsch nach einer besseren Koordinierung zwischen den Linken der nordischen Länder (beziehungsweise einschließlich der deutschen Linken als „Nordic plus“). Ziel müsse sein, Argumente, Erfahrungen und Ideen zu Sicherheitsfragen auszutauschen, sich auf konkrete praktische Fragen zu konzentrieren, die sowohl für Parteimitglieder als auch die Öffentlichkeit ansprechend sind, und zu beginnen, nächste Schritte zu entwickeln. Man hatte auch die Hoffnung, dass eine solche Zusammenarbeit die Linke in Sicherheitsfragen sowohl selbstbewusster als auch glaubwürdiger machen und die Marginalisierung und Falschdarstellung, mit der sie in dieser Frage in den Mainstream-Medien konfrontiert ist, beseitigen könne.

In der Abschlussdiskussion beschlossen die Teilnehmer:innen daher, sofort mit einer solchen engeren Zusammenarbeit zu beginnen und sich auf eine Handvoll konkreter Punkte für ein gemeinsames Handeln zu einigen, die sie aus dem Workshop gewonnen hatten. Zu diesen Aktionspunkten gehörten: Pflege regelmäßiger Kontakte zwischen den Parteien in Sicherheitsfragen; Gewährleistung der Verteidigung der Menschenrechte in Angelegenheiten der Außenpolitik; Vereinbarung einer gemeinsamen Haltung zur nuklearen Abrüstung sowie zur Ablehnung von Atomwaffen und ausländischer Truppen in der nordischen Region; und Koordinierung von Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine (wie Schuldenerlass, Waffen, Wiederaufbau und Arbeitnehmer:innenrechte).

Die nordischen Parteien nahmen sich ihren eigenen Aufruf zu konkreten Schritten zu Herzen und hielten unmittelbar nach Abschluss des Workshops ein spontanes erstes Treffen ihres Netzwerks ab, um unter Mitwirkung der ukrainischen demokratischen sozialistischen Organisation Sotsialnyi rukh eine kurze Erklärung der Solidarität und Unterstützung für die Ukraine zu verfassen.

[1] Der Workshop fand gemäß der Chatham House Rules statt. Daher können wir die im Text zitierten Aussagen nicht einzelnen Teilnehmer*innen zuordnen.