Konflikttransformation und Friedenskonsolidierung in Israel und Palästina: Gender Dimensionen

Bericht zur Konferenz mit Friedensaktivistinnen und -forscherinnen aus Israel, Palästina und Europa in Brüssel im März 2010

31.03.2010
Marlis Gensler, RLS Brüssel

20 Jahre "Give Peace a Chance - Women Speak Out" - Über zwanzig Jahre nach einem ersten Treffen zwischen Palästinenserinnen und Israelinnen in Brüssel (damals unter dem Titel „Give Peace a Chance – Women Speak Out“) fand im März 2010 ein dreitägiges Seminar statt, an dem Friedensaktivistinnen aus Israel und Palästina sowie Friedensforscherinnen aus europäischen Projekten, VertreterInnen der EU-Kommission und EU-PolitikerInnen teilnahmen. Organisiert hat dies, wie schon damals vor 20 Jahren, Simone Susskind (International Womens' Committee), diesmal gemeinsam mit der Rosa Luxemburg Stiftung und der Forschungsdirektion der EU-Kommission.

Am ersten Tag fand eine Reflexion der Erfahrungen und Veränderungen in der Konfliktsituation zwischen Aktivistinnen und Forscherinnen statt, am zweiten Tag diskutierten VertreterInnen der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments (von der GUE/NGL war Helmut Scholz beteiligt) über eine mögliche Intensivierung der Förderung von Fraueninitiativen, am zweiten und dritten Tag diskutierten die Teilnehmerinnen im Brüsseler Büro der RLS über ihre persönlichen Erfahrungen und die Schwierigkeit, auch unter extremen Bedingungen weiter miteinander zu kooperieren. Den Abschluss des Seminars bildete eine öffentliche Veranstaltung in der Freien Universität Brüssel. Sie war gut besucht.

Der feministische Ansatz der Friedensaktivistinnen schärft den Blick für gesellschaftliche Machtbeziehungen und hilft Komplexität, Diversität und Differenz zu verstehen. Die Frauen kämpfen gegen nationalistische Narrative, etwa das Narrativ des Kriegsheldentums, das mit der Militarisierung der israelischen Gesellschaft und den „Freiheitskämpfern“ in Palästina so mächtig ist, die Demokratie beeinträchtigt und sexistische Geschlechter-Stereotypen vertieft. Ihre Arbeit fokussiert nicht nur auf Frauenrechte im engeren Sinne, sondern richtet sich gegen ethnische, ökonomische und sexistische Marginalisierung. Ziel bleibt es, Israels und Palästinas zuliebe, die israelische Führung gegen ihren politischen Willen dazu zu bringen, das „Richtige“ zu tun, die Besatzung zu beenden und die Zwei-Staaten-Lösung umzusetzen – und zwar bald.

Unter den Friedensaktivistinnen waren Naomi Chazan, ehemalige stellvertretende Sprecherin der Knesset und Präsidentin des New Israel Fund, Ruchama Marton, Gründerin von Physicians for Human Rights Israel (Alternativer Nobelpreis im Herbst 2010), Galia Golan-Gid, Politik-Professorin und frühere Sprecherin von Peace Now, Amal Kreisheh, Direktorin der palästinensischen „Working Women Society“ und Hania Bitar, Direktorin der „Palestinian Youth Association for Leadership and Rights Activation“ (PYALARA).

Politikempfehlungen, zusammengfasst von Karin Aggestam, Lund University:

1. Bemühung um einen sich selbst erhaltenden Frieden

Für einen nachhaltigen Frieden braucht es ein lokales "ownership" von Friedensprozessen. Gleichzeitig dürfen aber lokale Akteure nicht romantisiert werden, weil manche lokale Akteure gegen Frauenrechte agieren.

Friedensprozesse haben generell eine Geschlechterdimension und sind exklusiver Prozess, der auch in dem Schweigen der Frauen resultieren kann. Daraufhin müssen Ansätze von Friedensmaßnahmen überprüft werden und müssen stärker inklusiv und "empowering" für Frauen werden.

Ein nachhaltiger Frieden muss ein positiver Frieden sein (im Gegensatz zu negativem Frieden, der Abwesenheit von physischer Gewalt) und soziale Gerechtigkeit einschließen. Das beinhaltet dann auch Themen wie strukturelle Gewalt und Ungleichheiten.

2. Die grundlegenden Konflikte angehen

Die palästinensischen und israelischen nationalen Konflikt-Erzählungen (Narrative) unterstreichen die unlösbare Natur des Israel-Palästina-Konfliktes und dienen immer als Motiv für eine negative Interaktion. Mit der Anerkennung und Befassung mit den Ungerechtigkeiten und Klagen der jeweils anderen Seite können Gegen-Narrative und neue Visionen für Frieden entstehen, die derzeit in dem dominanten öffentlichen Israel-Palästina Diskurs abwesend sind. Es kann auch ein Weg sein, zu verhindern, das historische Trauma auf die nächste Generation von Palästinensern und Israelis zu übertragen.

Es ist besonders wichtig sich darauf zu konzentrieren, wie Identitäten von Männlichkeit und Weiblichkeit mit dem Konflikt interagieren (z.B. die Militarisierung in Israel und "Freiheitskämpfer" in Palästina). Die scheinbare Ausweglosigkeit des Palästina-Israel-Konfliktes hat eine Stigmatisierung der Geschlechterrollen zur Folge.

3. Sich mit Asymmetrien befassen

Der Israel-Palästina Konflikt zeichnet sich durch große ökonomische, militärische und politische Asymmetrien aus. Machtasymmetrien, nationale Kämpfe und Befreiung/nationale Sicherheit werden häufig als wichtiger erachtet als Frauenrechte und der Kampf für Gleichberechtigung.

Mit der Palästinensischen Autonomiebehörde in den frühen 1990er Jahren entstand ein "virtueller palästinensischer Staat", gleichzeitig lebten Palästinenser praktisch weiter unter Israelischer Besatzung und Kontrolle. Die internationalen friedensschaffenden Maßnahmen setzten fälschlicherweise auf "post-conflict" Strategien, in einer Zeit in der die Besatzung fortbestand. Das was kontraproduktiv; die Folge davon waren die Verschärfung der ethnischen Kluft und eine verstärkte Polarisierung der palästinensischen Zivilgesellschaft.

Große Machtasymmetrien haben negative Auswirkungen auf die Möglichkeiten, Versöhnungsstrategien zu verfolgen, was sich z.B. in der hohen Zahl der misslungenen Dialoginitiativen zeigt.

4. Physische Interaktion fördern

Seit dem Friedensprozess 1992 ist der physische Raum für Israelis und Palästinenser, sich vielfältig und im Alltag zu treffen, stark gesunken. Anders ausgedrückt hat der Friedensprozess zu einer physischen Separation von Israelis und Palästinensern geführt – mit wenig Interaktion über die Militär-Checkpoints hinaus.

5. Die Agenda von Menschenrechten fördern

Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Sicherheit und menschlicher Sicherheit. Die EU sollte darauf insistieren, dass zukünftige Friedensabkommen Menschenrechtsprinzipien und Frauenrechte explizit einschließen.

Als Teil der Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wurde menschliche Sicherheit als Konzept gefördert. Im Fall des Israel-Palästina-Konfliktes könnte dieses Konzept stärker in die Praxis überführt werden – durch die Aufnahme und Kontrolle einer Reihe seiner Prinzipien, wie z.B. den Schutz der Menschen, Bewegungsfreiheit und andere grundlegende Prinzipien der Menschenrechte.

>> Konflikterfahrungen, Vortrag von Ruchama Marton
>> Konflikttransformation, Website der Konferenz