Die Indignados Spaniens – Ein Volk wehrt sich gegen die Krisenpolitik zugunsten der Eliten
Europa wird seit drei Jahren von der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges heimgesucht. Gerade in den ärmeren Ländern der EU schlägt die Krise mit voller Wucht zu. In vorauseilendem Gehorsam, um ja alle Erwartungen der internationalen Spekulanten zu erfüllen, kürzte Spanien in rabiater Weise sein staatliches Budget. Renten wurden gekürzt, Arbeiterrechte eingeschränkt, öffentliche Investitionen gekürzt und Steuern erhöht. Das Resultat ist ein paralysiertes Land, in dem mittlerweile 40 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind.
Am 15. Mai kam es für alle Beobachter völlig überraschend zu großen Kundgebungen in verschiedenen spanischen Städten. Woher kamen diese Proteste, wer stand dahinter und was ist das Ziel der Demonstranten? Es ist schwer heute bereits den Erfolg der Proteste abzuschätzen. Aber fest steht: es hat sich einiges getan in Spanien.
Am Anfang war das Internet – aber die über Facebook initiierte Bewegung kam nicht aus dem Nichts, sondern konnte auf starke soziale Bewegungen aufbauen. Fabio Gándara, der spätere Sprecher der jetzt so bekannten Bewegung Democracia Real Ya (DRY), aus der M15 entstand, und einige Freunde und Freundinnen begannen im Dezember 2010 mit intensiven Debatten über die Ursachen der spanischen Wirtschaftskrise.
In den Diskussionen schälten sich zwei Länder heraus, die der DRY-Bewegung Vorbild sein sollten. Zum einen zeigte das kleine Island, was ein demokratisches politisches System leisten kann, bei dem die Zivilgesellschaft zusammenhält, und in der von den Eliten Rechenschaft eingefordert wird. Die Isländer haben in zwei Volksabstimmungen dem Druck des internationalen Kapitals widerstanden, weigern sich bis heute für die Spekulationen von Finanzinstituten als Volk einzustehen, und haben sogar ihren ehemaligen Premier vor Gericht gebracht.
Aus dem Süden kam das Vorbild des arabischen Frühlings. Die Völker des Maghreb und des Nahen Ostens zeigen wie es auch unter widrigsten Umständen gelingen kann eine korrupte Elite aus dem Sattel zu heben. Wichtig war hier die Erkenntnis, das Massenmobilisierung tatsächlich über die sozialen Netzwerke des Internets möglich ist.
Gándara erklarte:
„There are two main culprits: the politicians, our supposed representatives, acting in collusion with the major economic powers, and the economic powers themselves, which influence the major political parties, impose a framework of deregulation and speculate on the country bonds“
Die ersten gemeinsamen Treffen der Organisatoren zeichneten sich bereits durch die offene Struktur der Debatte aus, die später die M15 Bewegung so befreiend für die Teilnehmer machte. Das Ergebnis war, dass am Sonntag, dem 15. Mai 2011 in verschiedenen Städten mehr als 80.000 Menschen auf die Strasse gingen. Nachdem DRY es geschafft hatte die Menschen auf die Straße zu bringen, trat die Organisation in den Hintergrund. Die Menschen sollten selber die Regie übernehmen. Nach der ersten großen Demonstration blieben abends etwa 35 Menschen auf dem Platz und übernachteten dort. Am Donnerstag, dem 18. Mai, gab es Zeltlager bereits in 82 Städten in Spanien.
Ein Manifest wurde diskutiert. Welche Forderungen sollte das Manifest enthalten? Überall auf den Plätzen wurde tagelang debattiert. Dabei gab es eine goldene Regel: Einstimmigkeit. Wenn jemand die Hände hob, und sie kreuzte, dann hieß dass, dass noch Diskussionsbedarf bestand. Hier wurde direkte Demokratie spürbar, neue Verhaltensformen wurden aktiv geübt.
Forderungen gab es genug: Die Reform des Wahlsystems, damit das Duopol der Konservativen und Sozialisten aufgebrochen werden könnte; eine Revision der Parteispendengesetze; Einkommensumverteilung durch stärkere progressive Steuern; Einführung einer Tobin Steuer; das Verbot korrupte Politiker auf Wahllisten aufstellen zu können; Öffnung der Wahllisten für Unabhängige.
Die meisten Platzbesetzungen sind mittlerweile wieder aufgehoben worden. So wichtig die Besetzung der zentralen Plätze der Städte auch war: die Menschen leben in den Vororten, nicht im Stadtzentrum. Deswegen griff M15 vom zurück eroberten öffentlichen Raum in den Stadtzentren in andere Regionen aus. Gegenwärtig organisieren kleine Gruppen in den Vororten und Schlafstädten die Bürger. Am 20. Juni brachte DRY mehr als 100.000 Menschen auf die Straße – mehr als je zuvor.
Den europäischen Völkern ist jahrelang eingeredet worden, dass aus dem Nahen Osten nur Terror, Armut und Despotie kommen könnte. Es ist darum von besonderer Bedeutung, dass Spanien, das 2004 einen Terroranschlag von Al-Quaida erlitt, gerade das Land ist, dessen demokratische Bewegung sich explizit auf die Erfahrungen der Revolutionäre auf der südlichen Seite des Mittelmeeres beruft. Einen bedeutenden Sieg haben die Spanier bereits errungen: sie haben sich das Glück des öffentlichen Lebens zurück erobert. Vielleicht ist diese Freude, das Wissen, darum was man gemeinsam erreichen kann, die Erfahrung im Nachbarn einen echten Mit-Menschen gefunden zu haben der größte Sieg, der zur Zeit überhaupt möglich ist.
Deswegen ist es so wichtig, sich den 15. Oktober 2011 bereits jetzt rot im Kalender anzustreichen. Denn an diesem Tag wird weltweit gegen die Krisenbearbeitung durch die Eliten demonstriert werden. Wer will mitmachen? M15 sucht weltweit nach Kontakten, um die Demonstration zu koordinieren!