Mit „business as usual“ durch die Wirtschaftskrise?

Die Schwedische EU-Präsidentschaft 2009

15.06.2009
Roland Kulke

Nach der umstrittenen tschechischen EU-Präsidentschaft wird von linker Seite große Hoffnung in die neue Präsidentschaft gesetzt. Leider unterstützt das Arbeitsprogramm diese Hoffnungen nicht. Ein Programm, das so geringe Reformbemühungen noch Ende Juni 2009 zeigt, und das so tut, als ob die EU mit „business as usual“ durch die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise kommt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt – oder will sie eben nicht erkennen.

Wie alle Präsidentschaften der EU veröffentlichte auch die jetzige schwedische Präsidentschaft ein Programm, in welchem sie kurz ihre wichtigsten Ziele darstellt. Die großen Themenblöcke sind diesmal: Wirtschaft und Beschäftigung, Klima, Justiz und Inneres, Nachbarschaftspolitik und internationale Beziehungen, das neue Parlament, die Kommission und der Verfassungsvertrag. Darüber hinaus legt die schwedische Präsidentschaft einen eigenen geographischen Schwerpunkt hinsichtlich der Gestaltung des Ostseeraumes. Hier werden einzelne Themen wie Energiesicherheit, Migration etc. behandelt. Im zweiten großen Block des Arbeitsprogramms werden einzelne Querschnitts- und Schwerpunktaufgaben der Präsidentschaft erklärt.

EU als globaler Akteur

Gleich am Anfang stellt das Arbeitsprogramm fest, dass es „wichtig ist, alle EU-Instrumente, von zivilem und militärischem Krisenmanagement zu nutzen…“. Möglichkeiten wie Außen- oder Handelspolitik, oder gar Entwicklungspolitik werden erst nach der militärischen Komponente genannt. Die EU wird unter Schwedens Präsidentschaft weiterhin Freihandelsabkommen mit Drittstaaten verhandeln und den Mittelmeer-Dialog stärken. Bosnien-Herzegowina soll bei politischen Reformen geholfen werden.

Unter der Zwischenüberschrift „Verstärkte Kooperation und die Politische Rolle in der Welt“ wird ernsthaft von einem „transatlantischen Markt ohne Handelsbarrieren“ (S. 17) gesprochen. Ähnliches gilt für den internationalen Handel, wenn ein Freihandels- und Investitionsabkommen mit Indien angekündigt wird. Mit Afrika, der Karibik und der gesamten Pazifischen Region sollen EPAs, Europäischen Partnerschaftsabkommen, vereinbart werden. Im speziellen werden darüber hinaus Südkorea, Indien, die Ukraine, der Golf-Kooperationsrat, die Anden-Gemeinschaft und Zentralamerika genannt (S. 18). Die EU soll weiterhin die Vorkämpferin bei der Abrüstung spielen (S. 17). Dies ist besonders interessant vor dem Hintergrund, dass Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zusammen genommen inzwischen vor Russland auf Platz zwei der weltweiten Waffenexporteure kommen (EU Waffenexporteure). Dass die EU eine Strategie der Hochrüstung verfolgt, wird insbesondere klar, wenn man auf Seite 18 liest, dass „Die Europäische Rüstungskooperation stärker vorangetrieben werden muss, um Europas Krisenmanagementkapazitäten zu fördern.“

Umkehrung ökonomischer Entwicklung

In diesem Abschnitt scheint sich die schwedische Präsidentschaft nicht übernehmen zu wollen. Hier werden nur die bereits von der Kommission auf den Weg gebrachten Vorschläge unterstützt, die Überwachung der Finanzmärkte zu stärken und EU-Institutionen zu schaffen, die Weisungsbefugnisse gegenüber den Nationalstaaten besitzen. Ganz wichtig sei auch eine gemeinsame Haltung bei den nächsten G20 Treffen – es wird indes aber nicht benannt, woraus diese gemeinsame Haltung bestehen könnte.

Ein sicheres und offenes Europa

Das Thema der gemeinsamen Asyl und Migrationspolitik wird in einem Absatz zusammen behandelt. Dies führt dazu, dass trotz aller Bekenntnisse zu einer liberalen Asylpolitik am Ende der Eindruck bleibt, dass Ausländer immer nur dann zählen, wenn sie zum Wirtschaftswachstum beitragen, denn, so heißt es: „Der Zusammenhang zwischen Einwanderung und Entwicklung ist wichtig für nachhaltiges und langfristiges Wachstum.“ (S. 25).

Vollbeschäftigung und Gesundheit

Auch diese Überschrift enttäuscht, wenn man zu große Hoffnungen auf die Schwedische Präsidentschaft gesetzt hat. „Gesundheit ist wichtig für die Wirtschaft und aus sozialen Gründen“ lautet der zweite Satz dieses Kapitels. Auch hier fällt wieder die Reihenfolge der gewählten Worte auf - Ökonomie steht vor dem persönlichen Wohlbefinden der Bürger. Deutlich wird gesagt: „Die EU kann es sich nicht leisten, dass Menschen außerhalb des Arbeitsmarktes bleiben“. Dies klingt eher nach einer Drohung als nach einem verheißungsvollen sozialen Politikansatz. Spannend ist, dass hier, wie auch an anderer Stelle des Textes, etwas undurchsichtig von „der nächsten Lissabon Strategie“ gesprochen wird (S. 27). Die umstrittene Richtlinie zur PatientInnenmobilität soll unverändert vorangetrieben werden (zur Patientenmobilitätsrichtlinie).

Die vielversprechende Zwischenüberschrift „Stärkung der Gleichberechtigung und verbesserter Schutz vor Diskriminierung“ hinterlässt einen „faden Geschmack im Mund“ (Gerhard Polt), wenn der erste Satz des Abschnitts einsetzt mit: „Um Wachstum und Entwicklung zu sichern…“. Ganz unverblümt schreiben die VerfasserInnen, dass „Der Fokus der für Gleichberechtigung zuständigen MinisterInnen wird die Bedeutung der Gleichberechtigung der Geschlechter für ökonomisches Wachstum und Beschäftigung sein.“ (S. 28) Die Unterordnung selbst der großen Debatte um Gleichberechtigung unter den Imperativ des blinden Wachstums ist leider nicht die einzige dieser Art im Arbeitsprogramm der Schwedischen Präsidentschaft.

Ein wettbewerbsfähiges Europa

Der erste Satz dieses Kapitels benennt eine „öko-effiziente Ökonomie“. Man merkt auf – haben die Eliten Europas etwas gelernt? Wird hier – immerhin – von einem Green New Deal gesprochen? Leider nicht, denn jegliche noch so leichte Reminiszenz an die Ökologie wird im nächsten Satz weggewischt: „Die Vorbedingungen [für eine öko-effiziente Ökonomie] sind ein effizienter Gemeinsamer Markt mit Offenheit, einem stabilen Wirtschaftsklima, v.a. für KMUs, reduzierter Verwaltungsaufwand, gemeinsamer Konsumentenschutz und Freihandel“. Institutionell wird die Geringschätzung des Umweltaspekts bei der Errichtung einer „öko-effizienten Wirtschaft“ dadurch abgesichert, dass der EU-Wettbewerbsrat die führende Rolle hierbei spielen soll (Dieses 2002 gegründete Gremiun setzt sich je nach Fragestellung aus MinisterInnen zusammen, die für Wirtschaft, Industrie und Forschung zuständig sind, siehe hier). Kein Wunder also, dass die höchst umstrittene Dienstleistungsrichtlinie spätestens diesen Dezember implementiert sein wird (S. 31). Geradezu bizarr ist die Forderung, dass Europa seine Rohstoffe besser ausbeuten soll (S. 31).

Zu einer öko-effizienten Wirtschaft – Transport, Telekommunikation und Energie: In diesem Programmpunkt geht es um die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur mit neuen intelligenten Leitsystemen, um die Wissensgesellschaft und um eine effiziente Energiepolitik. Die Energiepolitik wird zu einem wichtigen Thema der Außenpolitik erklärt.

Ressourcen nutzen ohne sie aufzubrauchen

Hier geht es um Nachhaltigkeit der Fischerei und darum, die europäischen Gewässer vor Überfischung zu schützen. Der Agrarsektor müsste ökologischer arbeiten und sich vor allem an die neuen Gegebenheiten des Klimawandels anpassen. Die Debatte um das „Food Labeling“ wird von der schwedischen Präsidentschaft vorangetrieben werden.

Eine glaubwürdige EU für die Umwelt

Eine weitere „Minderheit“ wird dem Wachstum untergeordnet: Dürfen Frauen sich einer größeren Chancengleichheit nur solange erfreuen, wie es dem wirtschaftlichen Wachstum dient, so wird auch die Umwelt instrumentalisiert und als reines „Wachstumsmittel“ betrachtet. Nicht ein einziges Mal im ganzen Arbeitsprogramm der SP wird von der existentiellen Bedeutung der Umwelt für das Überleben der Menschheit gesprochen. So sagt die Zwischenüberschrift deutlich „Eine öko-effiziente Wirtschaft verschafft Wettbewerbsvorteile“ (S. 38). Die nächste Unterordnung einer „Minderheit“ kann man beim Kapitel „Hohe Standards bringen besseres Wachstum“ sehen. Hier geht es um die europäische Jugend. Auch hier macht die schwedische Präsidentschaft wenig Hoffnung auf libertäre und soziale Politik: „Effektive Kooperation mit der Jugend ist besonders wichtig im Zuge der Wirtschaftskrise.“ (S. 41)

Einschätzung

Es ist noch zu früh, ein abschließendes Urteil über das zu fällen, was die schwedische Präsidentschaft in diesem Halbjahr in Europa durchsetzen wird. Trotz der vielen aufgezeigten Probleme bieten zumindest zwei Punkte Anlass zu Hoffnung. Der unverblümt neoliberalen Lissabon-Strategie soll offensichtlich eine zweite Strategie für die nächsten 10 Jahre folgen. Es besteht Hoffnung, dass hier ein neuer Diskurs auf supranationaler Ebene entsteht, der den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen gerechter wird. Zweitens sollte man nicht vergessen, dass die schwedische Präsidentschaft mit der Erfahrung der eigenen Bankenkrise vor einigen Jahren wie wenige andere geeignet ist, eine intelligentere Wirtschaftspolitik auf Ebene der EU voranzutreiben (Helmut Steuer: Wie andere Länder ihren Banken aus der Klemme helfen, in: Handelsblatt, 18.03.2008).