Euro-Krise: Das dicke Ende kommt in Irland noch

07.03.2011
Roland Kulke

Irland wird 85 Mrd. Euro aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfaszilität erhalten – ein großer Teil dieser Summe wird direkt an die irischen Banken weitergegeben. Diese Kreditlinie ist insgesamt mit 400 Mrd. Euro ausgestattet, dazu kommen die 60 Mrd. Euro des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus der Kommission. Auf letzteres Instrument war die Europäische Kommission besonders stolz, dachte sie doch hier ein Instrument erhalten zu haben, dass einen kleinen Schritt in Richtung größerer finanzieller Autonomie der Brüsseler Behörde bedeuten könnte. Die Hoffnung der Kommission, dass sie auf dem Finanzparkett längerfristig mitspielen könnte, wurde jedoch von Merkel und Sarkozy zerstört, die klarmachten, dass dieser Mechanismus über das Jahr 2013 nicht verlängert wird.

Irland ist also nach Griechenland das zweite Land, in das die Delegationen der Kommission, der EZB und des, zu recht gefürchteten, IWF reisen, um sich von gewählten Repräsentanten des Volkes erklären zu lassen, auf welche Art die Bürger der betroffenen Staaten geschröpft werden können, damit die finanziellen Rücklagen der Bürger im Zentrum der „Blauen Banane“, also dem „Core“ der EU, ihre Lebens- und Rentenversicherungen behalten können. Das krasse daran ist, dass die gewählte irische Regierung nun drei Organisationen gegenüber rechenschaftspflichtig geworden ist, die bewusst gegenüber demokratischem Einfluss isoliert sind. Die Kommission und die EZB sind nur sehr schwierig als demokratisch legitimiert zu bezeichnen, und die Stimmrechte im IWF sind schlicht und einfach nach der Finanzkraft seiner Mitglieder verteilt!

Die Angebotsseite der Krise – forced capitalists im Zentrum der „Blauen Banane“

Es macht im Moment einen der großen Reize aus, sich zu überlegen, wer hier eigentlich für wen bürgt. Irische Banken haben Geld verzockt, dieses Geld hatten sie von Banken des ehemaligen „D-Mark-Blocks“ erhalten (Deutschland, Österreich, Niederlande und Frankreich). Woher haben die Banken aus diesen Ländern das Geld? Zum einen sind es die immer weniger besteuerten Gewinne der Reichen dieser Länder, zum anderen aber auch die Rücklagen der sogenannten „forced capitalists“ also all derjenigen, die jeden möglichen Cent zurücklegen müssen, da die Regierungen die solidarischen Versicherungssysteme zerschlagen haben. Der Finanzmarkt-Kapitalismus zwingt die Bevölkerung zu einer Erhöhung der Sparquote. Genau dieses Geld ist dann in den letzten Jahren in die europäische Peripherie geflossen, da die Reallohnstagnation in Deutschland Investitionen dort unprofitabel machte.

Die Nachfrageseite der Krise in der Peripherie – der irische Immobiliensektor


In Verbindung mit einer traditionell höheren Inflation in den peripheren europäischen Ländern gab es dort de facto Negativzinsen, was den Bauboom anheizte. Genau wie die deutschen Regierungen der letzten Jahre reagierte die irische Regierung falsch und feuerte den Boom noch an, wie immer durch Steuersenkungen. Die Immobilienpreise verhielten sich wie gewünscht, sie stiegen von 1996 bis 2006, dem letzten Jahr des „Booms“, um das vierfache, mit der Folge, dass sie von 2006 bis 2010 bereits um 36 Prozent gefallen sind. Man kann leider leicht sehen, dass hier noch viel Platz nach unten ist. Noch im September 2010 beliefen sich alleine die Schulden für Hypotheken bei Privaten in Irland auf 117,4 Mrd. Euro, wobei wir hier von einem Volk von 4,4 Mio. Einwohnern sprechen.

Von der Immobilienkrise zur Bankenkrise und weiter zur Staatskrise

Die nicht mehr zu zahlenden Immobilienschulden reißen riesige Löcher in den für das kleine Land viel zu großen Bankensektor. Also gründete der irische Staat die National Asset Management Agency[1], die NAMA. Diese soll die faulen Kredite der Banken als Bad Bank verwalten. Sie kauft, aus gutem Grund, die Schulden nur zum halben Nennpreis auf – los wird sie sie sowieso nicht mehr. Aber genau diese Wertberichtigung führt zu riesigen Verlusten bei den Banken, die „plötzlich“ merken, dass sie in ihren Büchern keine echten Werte stehen haben. Die an die NAMA bereits verkauften 73 Mrd. Euro Papiere rissen demnach tiefe Löcher in die Bilanzen der Banken. Eine Unterkapitalisierung drohte: die Mindestkapitalquote hätte bei vielen Banken unterschritten zu werden können – ein anderer Ausdruck für: die Pleite drohte. Also schmiss der Staat gezwungener Weise wieder Geld in den Bankensektor hinein. Diesmal waren es 45 Mrd. Euro. So schnell kann ein Land auf ein Haushaltsdefizit von 32 Prozent im Jahr kommen.

Da wir ja über den viel gepriesenen freien Markt verfügen, und die EU sogar Kapitalverkehrskontrollen verbietet, hat der Markt wie „gewünscht“ reagiert. Geld fließt aus Irland ab, alleine im September 2010 mussten die irischen Banken 55 Mrd. Euro an internationale Geldgeber zurückzahlen. Übrigens ist eines der am schwersten betroffenen Geldhäuser in Irland die Depfa-Bank, eine Tochter der deutschen Hypo Real Estate. Der Spiegel schreibt, dass in den letzten Wochen „ein regelrechter Exodus der Milliarden von der Insel statt“ gefunden hat. Trotz der bisherigen gesamten Verluste sitzt der irische Finanzmarkt auf 200 Mrd. Euro, die immer noch nicht wertberichtigt sind. Weiteres Geld wird also fließen müssen.

„Hartz IV für Staaten“

Hartz IV für Staaten nennt Peter Bofinger das, was jetzt auf die Staaten Europas zukommt, die „über ihre Verhältnisse gelebt haben[2]“, wie es in der Propaganda der bürgerlichen Zeitungen des D-Mark-Blocks heißt. Bofinger muss es wissen, denn er ist der einzige kluge Kopf der sogenannten Wirtschaftsweisen, die jedes Jahr im Herbst der deutschen Regierung erklären wie es wirtschaftlich weiter gehen soll – und alle Jahre wieder falsch liegen.

Es gibt tatsächlich viele Ähnlichkeiten zwischen den deutschen Hartz-IV Empfängern und den Strukturanpassungsprogrammen der Europäischen Kommission für die Länder der europäischen Peripherie:

>> Die Empfänger der Zahlungen sind aufgrund von makroökonomischen Fehlsteuerungen, die weitgehend außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten liegen, ins Unglück gestürzt worden.
>> Die Zahlungen beruhen auf der Idee, dass „Sünder“ zur Arbeit gezwungen werden müssen. Arme sind faul, so ist das nun mal, und „unser“ Geld darf nicht benutzt werden, dass „die“ sich einen faulen Lenz machen; so ungefähr steht es täglich in den deutschen Zeitungen. Gemeint sind sowohl die deutschen Hartz-IV Empfänger, als auch die Griechen, Iren, Portugiesen und demnächst auch noch die Spanier. Der Diskurs der national über viele Jahre erfolgreich eingeübt wurde, wird nun auf die internationale Ebene übertragen.
>> Durch Härte, Disziplin, Sparen und Bildung schafft man wieder die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, bzw. für die Staaten: in die internationale Arbeitsteilung – so der Glaube der Regierenden und ihrer organischen Intellektuellen, der VWL-Professorenschaft. Beides wird nicht gelingen. Was beim deutschen Hartz-IV Empfänger am makroökonomisch verursachten Arbeitsnachfragemangel liegt (da kann er noch so billig, willig und gebildet sein), liegt im Falle der „Sünderstaaten“ an einem fehlenden haircut, der Unfähigkeit zu Abwertung und den offenen Grenzen, die ein Aufholen der Eurozonen-Peripherie strukturell (!) unmöglich machen. Für die, die daran zweifeln verweise ich auf die am besten geförderte Peripherie Europas: Ostdeutschland, das bis heute keine selbsttragende Wirtschaftskreisläufe etablieren konnte.

Kann eine Erhöhung der Beschäftigungsquote Irland und Portugal helfen sich selbst aus der Schuldenfalle zu befreien?

Mehr Arbeit wird das BIP in Irland und Portugal kaum steigern. Dies zeigt selbst der neue Kohäsionsbericht der Europäischen Kommission[3] (Seite 28):

Auch eine große Bildungsoffensive hilft höchsten Portugal nicht jedoch Irland (Seite 36 des fünften Kohäsionsberichtes)

Die Karawane zieht weiter – von Irland nach Portugal…

Es gilt hierbei zu beachten, dass es Irland in den letzten Jahren immerhin gelungen war, die messbare soziale Ungleichheit zu begrenzen. Dem Gini-Index zufolge (mit dem die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen gemessen wird, hierbei bedeutet Null absolut gleich Verteilung und 1 totale Ungleichheit) schaffte es Irland die Ungleichheit zu reduzieren. Von 0,359 im Jahr 1987 sankt der Gini-Index auf 0,307 im Jahr 2008. Es stellt sich die Frage wie man die Auswirkungen der Krise auf Portugal bezeichnen soll, wenn man bereits die Wirkung der Krise auf Irland als Katastrophe bezeichnet. Denn die Ungleichheit ist in Portugal, im Gegensatz zu Irland, in den letzten Jahren massiv gewachsen. Lag der Gini-Index 1995 bei 0,356 so war er bei Ausbruch der Krise 2007 auf noch höhere 0,385 gestiegen. Portugal hat also die Chance des Wirtschaftswachstums nicht genutzt, um für alle Bürger das Leben erträglicher zu gestalten. Mittlerweile müssen 280.000 Portugiesen durch Organisationen unterstützt werden, damit sie wenigstens eine warme Mahlzeit pro Tag erhalten, und 600.000 Portugiesen haben so gut wie keine soziale Absicherung mehr.

EU­Index für menschliche Entwicklung, 2007 (Kohäsionsbericht Seite 114, Null: keine Entwicklung, 100 hohe Entwicklung)

Wie man sieht ist Portugal in den letzten Jahren das Land in Westeuropa gewesen, das den geringsten Fortschritt in der menschlichen Entwicklung (Basierend auf Lebenserwartung bei guter Gesundheit, bereinigtem Nettohaushaltseinkommen pro Kopf, hohen und niedrigen Bildungsabschlüsse der Bevölkerung im Alter von 25–64 J.) hat erzielen können.

Was können die Bürger Portugals nun von ihrer herrschenden Elite erwarten? Nicht viel, das zeigen die folgenden Daten:

>> 24,2 Prozent des BIP Portugals sind 2009 schwarz produziert worden, das geht aus einer Studie der Hochschule für Wirtschaft in Porto hervor. Dieser Wirtschaftssektor bietet keinerlei Sozialschutz.
>> Im Juli 2010 wurde die Mehrwertsteuer erhöht (für ihre regressive Wirkung bei neoliberalen Ökonomen beliebt) und die Sozialleistungen gekürzt.
>> Große Infrastrukturprojekte, die wichtig für die zukünftigen Wachstumschancen sind, wie ein neuer Flughafen und der Bau einer TGV-Schnelltrasse werden gestoppt. Darunter leidet die Baubranche, besonders wichtig für niedrig qualifizierte Arbeiter, und damit für die Nachfrageseite.
>> Die Privatisierungsorgie läuft weiter; sechs Milliarden Euro soll der Ausverkauf einbringen.
>> Die Löhne im öffentlichen Dienst wurden September 2010 bereits um fünf Prozent gekürzt, darüber hinaus wurde der Kündigungsschutz in den Behörden gelockert.

Das einzige positive Zeichen ist das Verhalten der Bevölkerung, die sich immer wieder zu großen Demonstrationen zusammen findet und Streiks, die der Regierung zeigen, dass es so nicht weiter gehen kann.

Die dringende Frage ist, ob der Druck breiter Bevölkerungsschichten ausreicht, um das Desaster aufzuhalten bevor es zu spät ist. Denn Berichten zu Folge tritt in Portugal ein Phänomen auf, dass wir sonst nur aus der entwicklungsökonomischen Diskussion von Konjunkturkrisen in Entwicklungsländern kennen: die Rückwanderung von Städtern zurück auf das Land, um dort in einigen der Sektoren der Landwirtschaft wieder tätig zu werden (ARTE Beitrag vom 30. Mai 2010)!

… und über Spanien bis nach Italien?


Hat Portugal Grippe, so kriegt Spanien zumindest Schnupfen. Und gegenwärtig ist Spanien bereits ökonomisch stark angeschlagen. Portugal muss im Frühjahr 2011 15 Mrd. Euro an den internationalen Finanzmärkten aufnehmen. Bei den steigenden Zinsen für seine Anleihen ist die Refinanzierung dauerhaft nicht mehr gesichert. Dies wird unmittelbar Spanien treffen, denn Portugal wird dann nicht mehr in der Lage sein, die 57 Mrd. Euro, die Portugal spanischen Banken schuldet, zu bedienen. Nach Portugal könnte also das erste große Land Europas Mitte 2011 von einem Staatsbankrott bedroht sein.

Wie kommt man aus dem Teufelskreis heraus?

Die Strukturanpassungspläne des IWF haben bereits in Afrika und Lateinamerika versagt. Wegen fehlender Abwertungschancen geben selbst hart gesottene Wirtschaftsliberale zu, dass die Sparprogramme der Kommission für die europäischen Staaten nicht helfen werden. Selbst die Euro-Bonds, die am nachhaltigsten die Krise bekämpfen könnten, werden aufgrund der Vorschläge ihrer Verteidiger nicht wirklich helfen können. Jean-Claude Juncker, ihr größter Anhänger, möchte nur 40 Prozent der Staatsschulden über diese finanzieren lassen. Die restlichen 60 Prozent würden allerdings mit noch höheren Aufschlägen gehandelt werden. Dies würde also den betroffenen Ländern nicht helfen. Am Ende bleibt nur eine regionale Umverteilung zwischen den Ländern der Blauen Banane, dem seit Jahrhunderten stabilen Wachstumskern Europas, und den peripheren Staaten.

Die „Blaue Banane“ (Quelle: Wikipedia)[4]

Die Weiterentwicklung der EU hin zu einer Föderation ist das Ziel, in der selbstverständlich und dauerhaft zwischen reichen und armen Regionen umverteilt wird. Hier helfen auch die Bedenken nicht, dass dies die Armen der Länder des alten D-Mark Blocks treffen würde. Die Einrichtung einer Transferunion muss mit „haircuts“ für die Reichen in allen Ländern einhergehen, sprich mit gezielten Steuererhöhungen für die Reichen. So müssen die notwendigen Bankenrettungen finanziert werden, die die Einlagen aller Bürger, und eben nicht nur der Reichen bisher gesichert haben. Zwei weitere Schritte müssen folgen: der Finanzmarkt muss nachhaltig reguliert werden, so dass er nicht mehr als Waffe gegen demokratische Regierungen eingesetzt werden kann. Zweitens muss die Figur des „forced capitalist“ abgeschafft werden. Die sozialen Sicherungssysteme müssen wieder dem Markt entzogen werden.

Links:

  1. https://www.nama.ie/
  2. http://www.spiegel.de/spiegel/a-735669.html
  3. http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docoffic/official/reports/cohesion5/index_de.cfm
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Blaue_Banane