Post-Demokratie in Italien und Griechenland ganz praktisch

Eine Regierung der Banken, von den Banken, für die Banken

21.11.2011
Roland Kulke

Der lange heraus gezögerte Schuldenschnitt in den GIIPS-Staaten im Sinne eines Schulden Audits nach dem historischen Vorbild Ecuador ist das vielleicht drastischste Beispiel einer Politik ganz im Sinne der Banken. Der Schuldenschnitt, so wie er nun im Moment für Griechenland verabredet wurde tut den Banken, zumal denen in Deutschland, kaum weh. Denn die 50 Prozent Schuldenschnitt beziehen sich auf den nominalen Wert der Schulden. Die Regierungen haben den Banken nun garantiert, dass sie die restlichen 50 Prozent der Nominalschulden erhalten. Dies ist wesentlich mehr als die teilweise nur noch 30 Prozent des ursprünglichen Wertes, der heute an den Börsen für 10-jährige Staatsanleihen Griechenlands gezahlt wird. Am Ende bringt den Banken also der angebliche „freiwillige Schuldenschnitt“ mehr Geld ein, als was sie am freien Markt erhalten würden. Es fehlt weiterhin eine ordentliche Regulierung der Märkte, ganz zu schweigen von der Tobin Steuer, oder der Lösung des Problems des too-big-too-fail Banken. Bei all der ungebremsten Lobbykraft des Finanzsektors und der fehlenden Schwäche der Linken ist dies vielleicht nicht erstaunlich – es wird noch ein langer Weg sein.

Aber was jetzt in Griechenland und Italien passiert ist, ist doch starker Tobak. Wenn man es etwas pathetisch sagen will, ist das Finanzkapital aus der abstrakten Welt der monetären Beziehungen herausgetreten, und hat die Form von Regierungschefs angenommen.

Am 18. November schreibt The Independent, dass es in den nächsten Wochen darum geht, ob die restlichen Staaten der Eurozone ihre Schulden komplett zurückzahlen können. Trotz allem finanzpolitischem Jonglieren sei des den großen Banken einfach nicht möglich, sich komplett von den Risiken zu trennen. Also bleibt nur eines übrig: das Steuer selbst zu übernehmen. Also werden zwei Bänker direkt als Ministerpräsidenten eingesetzt, Mario Monti und Lucas Papademos.

So waren die beiden neuen Ministerpräsidenten Italiens und Griechenlands 2010 Teil der IWF Europe Regional Advisory Group[1]. Beide sind Wirtschaftswissenschaftler, und wie es sich für diese gehört, waren sie an diversen Prestige trächtigen Instituten in den USA tätig. Keiner von ihnen war mal an einer Universität in der Dritten Welt oder zumindest den aufstrebenden Schwellenländern tätig. Keiner von ihnen war auch mal in den sozialpolitischeren „Randgebieten“ wie zum Beispiel dem Wirtschaft- und Sozialausschuss der UNO tätig. Sie waren steht’s im Herzen der Finanzindustrie, bzw. deren akademischen Ablegern zu finden.

Source: The Independent, Freitag, 18. November 2011, “What price the new democracy? Goldman Sachs conquers Europe”

Lucas Papademos – der neue Ministerpräsident Griechenlands

Papademos war Direktor der Griechischen Nationalbank, als Griechenland dem Euro beitrat, und war somit wesentlich für die Überbewertung der Griechischen Drachme mitverantwortlich. Diese Überbewertung sichert bis heute billige Importe, und diese sind einer der Gründe für die späteren realökonomischen Probleme der griechischen Ökonomie. Von 2002 bis 2010 war Papademos Vizedirektor der EZB. Seine akademische Karriere ist sehr stark auf die USA ausgerichtet gewesen, was für die griechische Elite typisch ist. Er lehrte an der Harvard Universität. So wurde er auch Teil der US-dominierten transnationalen Elite. Vorbereitet hat ihn dazu wohl auch seine Arbeit als Senior Economist bei der Federal Reserve Bank in Boston 1980. Seine Regierung ist die erste Koalitionsregierung, die auch die Nationalisten der LAOS Partei umfasst. Diese waren seit dem Fall der Militärdiktatur 1974 im politischen System weitgehend isoliert.

Noch spannender sind allerdings Mario Montis Lebenslauf und sein restliches Kabinett. Mario Montis Lebenslauf klingt so, als hätte ihn ein überzeugter Verschwörungstheoretiker zusammen gebastelt. Neben ihm sollen die anderen Kabinettsmitglieder kurz vorgestellt werden. Welche Qualifikationen bringen die neuen Ministerinnen und Minister mit sich? Was waren ihre bisherigen beruflichen Zwischenstopps?

Mario Monti – Ministerpräsident sowie Wirtschafts- und Finanzminister

Er war u.a. Rektor der Bocconi Universität und später zwei Mal deren Präsident. 1995-1999 war er EU Kommissar für Wettbewerb. In diese Zeit fiel die Einführung des unter seiner Führung erarbeiteten Financial Service Action Plans in Jahr 1999. Sein Bericht war die Grundlage für den „Single Market Act“. Die darauf folgende De-Regulierung im Finanzsektor ging weit über das hinaus, was jemals in den USA existierte. Die Kommission hat im Jahr 2000 auf sein Anraten hin das Land NRW wegen der WestLB verklagt. Die durch die neoliberalen Fraktionen der Europäischen Kommission erzwungene Änderung der Geschäftspraktiken der deutschen Landesbanken war der Hauptgrund dafür, dass diese völlig unvorbereitet für das internationale Geschäft später in schwieriges Fahrwasser kamen. Noch heute werden sie in den angloamerikanischen Finanzzirkeln für ihre Unwissenheit ausgelacht[2]. Monti und Kollegen ist es zu verdanken, dass die deutschen Steuerzahler nun riesige Summen in die Rettung der Landesbanken stecken müssen.

2004 bis 2008 war Mario Monti im Aufsichtsrat des BRUEGEL think tanks in Brüssel. Finanziert wird dieser von europäischen Großunternehmen und EU-Regierungen. Man kann diesen ohne Übertreibungen als einen der einflussreichsten neoliberalen think tanks bezeichnen.

Darüber hinaus ist Monti Vorstandsmitglied der berühmten Bilderberg Konferenz. Diese wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als konservatives transatlantisches Elitennetzwerk gegründet, um gegen die sozialistische Bedrohung aus dem Osten Europas zu kämpfen. Weiterhin ist Monti Mitglied der Trilateralen Kommission. Die Trilaterale Kommission ist eine private Organisation, die 1972 auf Betreiben von David Rockefeller gegründet wurde. Sie ergänzt das Bilderberg Netzwerk dahingehend, als dass hier die gesamte Triade vertreten ist, also Nordamerika, Westeuropa und Japan. Das Ziel der Kommission ist es: „[to develop] an organic (or relatively permanent) alliance between the major capitalist states, with the aim of promoting (or sustaining) a stable form of world order which is congenial to their dominant interests.“[3]

“Government Sachs”

Abgerundet wird Mario Montis CV dadurch, dass er sechs Jahre lang Berater von Goldman Sachs war. Goldman Sachs gilt der Studie „The network of global corporate control” zufolge als die 18. mächtigste Firma weltweit[4]. Es ist somit klar, dass diese eine Vertreterin der US-amerikanischen Kapitalfraktion ist.[5] Bloomberg schreibt dazu: „He [Mario Monti] would join the club of former Goldman Sachs employees now steering economies around the world that has helped earn the company the nickname “Government Sachs.” The group includes former Bank of Italy Governor Mario Draghi, who became president of the European Central Bank this month, and Bank of Canada Governor Mark Carney. Onetime Goldman Sachs economists William Dudley and Ben Broadbent help set monetary policy at the Federal Reserve and Bank of England, respectively.”[6]

Giulio Terzi di Sant’Agata – Außenminister

Sant‘ Agata stammt aus einer alten lombardischen Adelsfamilie. Er arbeitete im Außenministerium und den italienischen Botschaften in Paris und Ottawa (Kanada). Ab 1987 arbeitete er in der Abteilung Wirtschaft des Außenministeriums in Rom. Anschließend arbeitete er als politischer Berater der italienischen Vertretung der NATO in Brüssel. Von der NATO ging es zur UNO. In Rom wurde er stellvertretender Generalsekretär des Außenministeriums. Zwei Jahre lang war er Botschafter Italien in Israel, ebenso zwei Jahre lang Ständiger Vertreter Italiens bei den Vereinten Nationen. Bevor er nun zum Außenminister ernannt wurde, war er zwei Jahre Botschafter Italiens in den USA.

Anna Maria Cancellieri- Ministerin des Inneren

Seit 1972 arbeitete sie im Innenministerium und war Präfektin in diversen Italienischen Regionen. Damit war sie die direkte Vertreterin des Zentralstaates in den Provinzen und musste die Arbeit der föderalen Institutionen überwachen.

Paola Severino – Justizministerin

1972 macht sie ihr Diplom in Jura an der Universität La Sapienza in Rom und wurde Zögling von Giovanni Maria Flick, dem Justizminister von Romano Prodi. Ab 1987 arbeitete sie an der LUISS Universität in Rom. Dies ist eine private Eliteuniversität, die zu ganz erheblichen Teilen direkt vom italienischen Arbeitgeberverband CONFIDUSTRIA finanziert wird. Von 1997 bis 2001 war sie Vizepräsidentin des Hohen Rates der militärischen Magistratur.

Giampaolo Di Paola – Verteidigungsminister

Ab den 1980er Jahren war Giampaolo Di Paola in die Strukturen der NATO eingebunden. Als Vizeadmiral der italienischen Marine war er bis 2001 Büroleiter des Verteidigungsministers. Dann war er bis 2004 Generalsekretär des Verteidigungsministers, d.h. er war der Amtschef des gesamten Verteidigungsministeriums. 2004 wurde er Generalsekretär der italienischen Armee und arbeitete als solcher die neue Strategie der italienischen Armee des Network Centric Warfare aus. Seit 2008 war er der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses.

Elsa Fornero – Ministerin für Arbeit, Soziales und Gleichberechtigung


Sie ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften und war Direktorin des CEPR (Center for Research on Pensions and Welfare Policies) sowie Mitglied des wissenschaftlichen Rates von CONFINDUSTRIA, Italiens größter Arbeitgeberorganisation.

Renato Balduzzi – Gesundheitsminister

Er war juristischer Berater des Verteidigungs-, Gesundheits-, und Familienministeriums. 1997 bis 1999 war er Leiter des Büros des Gesundheitsministeriums und Leiter des interministeriellen Ausschusses für Gesundheitsreform.

Corrado Passera – Minister für Entwicklung, Infrastruktur und Transport

Seine Karriere begann er bei McKinsey in den 1980ern und arbeitete seit den 1990er in Spitzenpositionen für diverse Banken. Vor seiner Berufung war er Vorstandschef der Intesa Sanpaolo, der größten Privatkundenbank Italiens. Er ist im Vorstand der Bocconi Universität und Direktor des Exekutivkommittees der Italienischen Bankenvereinigung.

Francesco Profumo – Erziehungsministerium

Er ist der Präsident des Nationalen Forschungsrates CNR. Er war Kanzler der Polytechnischen Universität Turins.

Es gibt drei wichtigere Personen im Kabinett, die keinen Ministerrang haben:


Lorenzo Ornathi – zuständig für Kultur

Er übernahm 1990 die Professur für Politikwissenschaften an der Katholischen Universität des Sacro Cuore und ist seit 2006 ihr Rektor gewesen. Er lebt seinen katholischen Glauben öffentlich, und gilt als enger Vertrauter des Kardinals Angelo Bagnasco, dem Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz. Er hat darüber hinaus starke Verbindungen zur katholischen Studentenschaft. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Wer sich dagegen von der neuen Regierung ein Zeichen der kulturellen Öffnung und des Aufbruchs erwartet hatte, wird sich enttäuscht zeigen.“

Enzo Moavero-Milanesi – Europapolitik

Seit den 1980er arbeitete er in unterschiedlichen Positionen in der Europäischen Kommission, u.a. als Head of Cabinet. Seine letzte Position war die zweithöchste, die ein Beamter in der Europäischen Kommission überhaupt erhalten kann, die des Stellvertretenden Generalsekretärs der Kommission.

Andrea Riccardi – Fragen der internationalen Zusammenarbeit

Er ist weltweit anerkannter Historiker und Gründer der umstrittenen katholischen Sant’Egidio Gemeinschaft. Allerdings genießt er großen Respekt im Ausland, sodass er Ehrendoktorwürden und den Karlspreis erhielt.

Spezialisten oder eher klare politische Stoßrichtung?

Wie sehen die Lebenswege der Ministerinnen und Minister unter Monti aus? Sie arbeiteten für McKinsey, Goldman Sachs, die NATO, leiteten Universitäten, bekleideten Spitzenpositionen in der Europäischen Kommission, waren die Chefs der Ministerbüros, Botschafter in den USA, Israel, sie waren Vorstände großer Banken und man muss wohl einige von ihnen als ultra-katholisch bezeichnen. Auch der griechische Ministerpräsident ist mit seiner Vita für die Griechen schon ein starkes Stück. Schließlich ist es gerade der IWF, der Griechenland die Struktur Anpassungsprogramme aufzwingt. Noch auffälliger ist der Lebenslauf von Monti. Er ist von seiner Arbeit für Goldman Sachs, amerikanische Banken und seiner führenden Rolle in der Bilderberg Gruppe und der Trilateralen Kommission geprägt. Wenn man sich das Bild eines Vertreters des US-dominierten international dominanten Finanzkapitals vorstellen will, dann ist es Monti. In ihm laufen in einer Person alle Fäden zusammen. Nur ein sehr liebenswerter Mensch könnte hier behaupten, dass es sich um unpolitische Regierungen handelt.

Stephen Folwey hat im Independent am 18. November 2011 das „Goldman Sachs Project“ vorgestellt, Hierbei geht es schlicht und einfach darum, die Zinszahlungen an die Banken zu sichern. Es scheint so zu sein, dass Colin Crouch mit seiner These, dass wir zunehmen in post-demokratischen Zeiten leben, recht hat. Die Politik wird zunehmend auf ein einziges Ziel ausgerichtet: die Zinszahlungen an international flexible Banken müssen gesichert werden. Wenn dem so ist, dann muss die linke vorsichtig sein, denn ganz offensichtlich ist der Finanzmarktkapitalismus noch lange nicht am Ende.


[1] http://www.imf.org/external/region/advisorygroups/members/AGEU.htm

[2] “Who’s on the other side, who’s the idiot?” is the question posed by one of the characters in “The Big Short”, Michael Lewis’s new book on those few investors who bet against the subprime-mortgage market. “Düsseldorf. Stupid Germans,” is the answer they keep getting. “They take rating agencies seriously. They play by the rules.”, http://www.economist.com/node/15955490.

[3] Stephen Gill: American Hegemony and the Trilateral Commission, Cambridge, 1990, p. 1

[4] http://arxiv.org/PS_cache/arxiv/pdf/1107/1107.5728v2.pdf

[5] Sein Landsmann, Mario Draghi, der gerade erst Chef der EZB wurde, war auch langjähriger Mitarbeiter von Goldman-Sachs. Ein „Goldman executive based in Europe, who was not authorised to speak publicly, said Mr. Draghi had discussed similar [like what Goldman Sachs did with Greece to help it to cover its debt to become member of the Eurozone] initiative with other Euroepan governments, New York Times, 30. Okt 2011.

[6] http://mobile.bloomberg.com/news/2011-11-11/monti-s-antitrust-fights-give-him-edge-as-frontrunner-to-lead-italy-revamp?category=/news/italy/