Sich das hegemoniale Vakuum zunutze machen

Bericht über die Transform-Konferenz in Palma de Mallorca

11.03.2010
Anna Striethors

„Warum scheint die Wirtschafts- und Finanzkrise eher den Rechten als den Linken zu nutzen?“ Das linke Netzwerk Transform!Europe hat im März 2010 ExpertInnen aus ganz Europa nach Palma de Mallorca eingeladen, um über strategische Optionen der Linken in der Krise zu diskutieren.

In der Debatte ging es zunächst darum zu analysieren, ob die Krise tatsächlich wie eingangs vermutet den Stand der rechten politischen Kräfte gestärkt hat. Eine Studie der Österreicherin Barbara Steiner, die die Wahlergebnisse der Wahlen in den europäischen Ländern miteinander verglichen hatte, kam zu keinem eindeutigen Ergebnis. Der These des Tschechen Jiri Malek, die Krise nütze immer den Rechten, wurde vielfach widersprochen: So wies beispielsweise Ruurik Holm aus Finnland darauf hin, dass die finnische Wirtschaftskrise während der 90er Jahre zu einem Erdrutschsieg der Linken geführt hat. Andere TeilnehmerInnen führten an, auch die Rechte sei von der Krise überrascht worden und müsse nun ihre neoliberalen Positionen überdenken. Einige ginge sogar soweit wie Richard Detje von der Zeitschrift Sozialismus, der angesichts der Überholtheit von Deregulierung und Entpolitisierung ein hegemoniales Vakuum konstatierte. Selten ist seiner Ansicht nach die Situation so offen gewesen wie jetzt; das müsse sich die Linke zunutze machen.

In Länderberichten wurde offensichtlich, dass die Krise ausgehend von ungleichen Ausgangssituationen sehr unterschiedliche Folgen in der Ländern Europas hat: Während derzeit in Italien 8,5 % der Erwerbstätigen (über zwei Millionen Menschen) arbeitslos sind, ist die Arbeitslosenquote in Norwegen in der Krise auf gerade einmal 3,3 % angestiegen. Ali Esbati betonte in seinem Vortrag zu Norwegen aber gleichzeitig, dass derzeit auch in Nordeuropa verstärkt über Migration und Integration diskutiert wird und dass sich die Linke dabei vielerorts an der von rechts vorgegebenen Agenda orientiert. In Deutschland haben Maßnahmen wie Kurzarbeit dazu geführt, dass ein signifikanter Anstieg der Arbeitslosigkeit kurzfristig verhindert wurde und somit vielen das tatsächliche Ausmaß der Krise bisher nicht bewusst ist.

In Bezug auf die Tauglichkeit der EU als Krisenmanager stellte der britische Ökonom John Grahl fest, dass das Ziel der Lissabon-Strategie – eine Amerikanisierung der europäischen Wirtschaft – glücklicherweise nicht erreicht wurde. Nur der vermeintliche Rückstand der EU-Mitgliedstaaten habe eine Subprime-Krise wie in den USA verhindert. Seit Entstehen der Krise ist die Macht der EU gewachsen; als Beispiel hierfür nannte Grahl die koordinierte Intervention der EZB. Das „business as usual“, nach dem die EU nun handelt, wird seiner Ansicht nach jedoch nicht ausreichen, um die entstandenen makroökonomischen Spannungen zu überwinden und einen Weg aus der Krise zu finden.

Silke Oetsch von attac zeigte in ihrem Vortrag „Frauen, Finanzen und die Linke“, dass entgegen verbreiteter Annahmen Frauen auf lange Sicht stärker von der Krise betroffen sein werden als Männer. Unter anderem wird sie die zu erwartende Reduzierung von Stellen im öffentlichen Sektor härter treffen. Gleichzeitig richten sich die öffentlichen Rettungspakete vorrangig an Industrien, in denen viele Männer arbeiten, wie z.B. die Automobilindustrie und der Bausektor. Man könnte vermuten, dass Frauen angesichts ihrer generellen wirtschaftlichen Benachteiligung eher Parteien wählen, die sich für ein verändertes Wirtschaftssystem einsetzen. Dafür gibt es jedoch keinen empirischen Hinweis. Will die Linke für Frauen attraktiver werden, muss sie nach Oetschs Ansicht nicht wie zuweilen gefordert ihren finanz- und wirtschaftspolitischen Schwerpunkt, wohl aber ihre inneren Strukturen ändern. Die Dominanz von Männern in Diskussionen muss reduziert und organisatorische Arbeit fair zwischen den Geschlechtern verteilt werden, sodass Frauen mehr Gelegenheit zu inhaltlicher politischer Auseinandersetzung erhalten.

Eines der Themen in der Debatte um strategische Optionen der Linken war der Abstieg der Sozialdemokratie und deren veränderte Wahrnehmung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise als Systemkrise. Wie Cornelia Hildebrandt von der Rosa Luxemburg Stiftung konstatierte, hat sich die Linke bisher noch nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, welche Implikationen dieser Wandel für die Schaffung möglicher Linksallianzen hat. Elisabeth Gauthier von Transform!Europe warnte die radikale Linke davor, sich lediglich als Korrektiv zur Sozialdemokratie zu verstehen. Stattdessen muss eine breite Kooperationsplattform geschaffen werden, die auch in der Lage ist, eigene Visionen zu formulieren. Nur so kann die Linke zu einer gegenhegemonialen Kraft werden – eine viel gehegte Hoffnung, die aber angesichts derzeitiger Wahlergebnisse wohl noch in weiter Ferne liegt.

Den Vorschlag, sich insbesondere im Vergleich mit den Grünen als ökosoziale Kraft zu etablieren, formulierte Inger Johansen aus Dänemark. Johansen wies darauf hin, dass die Grünen längst zu etabliert im politischen System seien, um noch einen nachhaltigen Wandel in der europäischen Klimapolitik anzustoßen. Diese Rolle könnte die Linke für sich beanspruchen, wenn sie es schafft, Sozial- und Umweltthemen miteinander zu verbinden statt sie gegeneinander auszuspielen. Insbesondere muss die Linke den Verlust von Arbeitsplätzen in traditionellen Industrien und das Potential an Arbeitsplätzen in den Umweltindustrien wahrnehmen und thematisieren. Die Veränderungen der modernen Arbeitswelt und das Entstehen neuer Produktionsformen war ein Thema, dessen Bearbeitung als zentral für die Debatte um eine mögliche Transformation des Wirtschaftssystems angesehen wurde. Dass letzteres das Ziel sei, auf welches die Linke hinarbeiten muss und dass nun in der Krise die entscheidenden Weichen dafür gestellt werden können – daran ließ auch Walter Baier von transform!Europe in seinem Schlusswort keinen Zweifel.