Plan B, Plan b, DiEM25 – welcher Plan für Europa?

29.03.2016
Florian Horn
Graffiti von Bansky

Im Januar und Februar 2016 fanden in Paris, Berlin und Madrid drei Konferenzen statt, auf denen Wege zur Umsetzung linker Alternativen in Europa debattiert wurden. Denn Wahlerfolge linker Parteien und Bündnisse in EU-Mitgliedsstaaten einerseits und die Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und den Institutionen der Europäischen Union andererseits, warfen eine Reihe von Fragen zu Möglichkeiten für alternative Politikansätze sowie zum Verhältnis der Linken zur EU auf.

Plan B, Paris

Im Sommer 2015 verfassten Jean-Luc Mélenchon, Stefano Fassina, Zoe Konstantopoulou, Oskar Lafontaine und Yanis Varoufakis einen gemeinsamen Aufruf mit dem Titel „A plan B in Europe“, welcher von Mitgliedern des Europäischen Parlaments sowie Mitgliedern von Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde.

Insbesondere vor dem Hintergrund des „Finanz-Staatsstreich“ in Griechenland, durch die von der EZB erzwungene griechische Bankenschließung, fordern die Unterzeichner eine „vollständige Neuverhandlung der europäischen Verträge“. Dieser „Plan A für ein demokratisches Europa“ solle, auch mit Verweis auf mögliche weitere linke Regierungsbildungen in Europa, durch einen „Plan B“ gestützt werden. Eine Reihe von Ideen, erwähnt werden währungspolitische Maßnahmen, gebe es bereits. Betont werden zudem sowohl der „internationalistische“ Ansatz der Initiative, sowie die Notwendigkeit der „Berücksichtigung der Besonderheiten in jedem einzelnen Land“.

Am 12. September 2015 stellten die Initiatorinnen und Initiatoren den Aufruf im Zelt der Parti de Gauche auf der Fête de l’Humanité der Öffentlichkeit vor und kündigten eine Konferenz noch im selben Jahr an. Diese Konferenz sollte ursprünglich im November 2015 stattfinden, wurde jedoch aufgrund der Anschläge in Paris verschoben. Der „Internationale Gipfel für einen Plan B in Europa“ fand schließlich vom 23.-24. Januar 2016 im Maison de la Chimie in Paris statt. Die Veranstaltung war thematisch in drei Blöcke gegliedert, umrahmt von Reden der Initiatorinnen und Initiatoren, mit Ausnahme von Yanis Varoufakis, der seine Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte.

Die drei Themenblöcke umfassten jeweils drei Workshops zu Währungsfragen („Master the Currency“), zu Fragen der öffentlichen Verschuldung („Master Public Debts“) sowie zur Internationalen Handel-/Wirtschaftspolitik („Master International Trade“). Zur Konferenz kamen laut Veranstalterinnen und Veranstaltern ca. 300 Personen. Zu den Referentinnen und Referenten zählten vor allem Parlamentarierinnen und Parlamentarier, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie NGOs. Gewerkschaften waren nicht vertreten.

Oskar Lafontaine verwies in seiner Eröffnungsrede auf die Widersprüche zwischen Vermögenskonzentration und Demokratie in der Europäischen Union. Diese schlage sich auch in der inner- sowie außereuropäischen Migration nieder, die auch das Ergebnis neoliberaler europäischer Innen- sowie Außenpolitik sei. Deshalb sei eine neue wirtschaftspolitische Ausrichtung der EU notwendig, welche jedoch nicht innerhalb der bestehenden Verträge umzusetzen sei. Als Beispiel für eine Alternative nannte er die Aufwertung der EU Investitionsbank (EIB) bei der Finanzierung von Staatsaufgaben, wobei die EIB zukünftig direkt von einer reformierten EZB oder von den Nationalbanken refinanziert werden könnte. Lafontaine forderte alle linken Parteien Europas auf, sich an der Umsetzung eines „pragmatischen Plan Bs“ zu beteiligen.

Zoe Konstantopoulou berichtete von der Arbeit des „Truth Committee on Public Debt“ und zog Bilanz ihrer Zeit als Abgeordnete und Parlamentspräsidentin in Griechenland.

Stefano Fassina stellte den Schutz der Interessen von (nationalen) Arbeiterklassen in den Vordergrund, welchen er als „pro labour Plan B“ bezeichnete. Dabei hob er auch hervor, dass der derzeitig geplante Angriff auf das Schengen System zurückgeschlagen werden müssen. Fassina forderte die Kontrolle von Kapitalflüssen anstelle der Kontrolle von Migrationsströmen. Anschließend ging er auf die Pläne zur neoliberalen Vertiefung der EU-Integration der EU ein, und schlug in diesem Zusammenhang einen „European Peoples‘ Report“ als Gegenentwurf Fünf-Präsidenten-Bericht vor.

In seiner Abschlussrede betonte Jean-Luc Mélenchon mit Bezug auf Jean Jaurès die Souveränität der Völker als entscheidenden Hebel der Veränderung in Europa, im Gegensatz zu den EU-Institutionen. Er verwies ebenfalls auf die unterschiedlichen Plan B-Modelle, die in den verschiedenen Volkswirtschaften nötig seien und hob, mit Verweis auf die Wahlen in Frankreich und Deutschland sowie auf die Pläne zur neoliberalen Vertiefung der EU-Integration, das Jahr 2017 als Schlüsseljahr für eine bevorstehende Auseinandersetzung um die Gestaltung der EU hervor.

Das Bedürfnis nach der Entwicklung von Alternativvorschlägen zur bestehenden EU wurde mit dem Appell verknüpft verschiedene Initiativen zusammen zu bringen. So wurde beispielsweise die Veranstaltung „Plan B for Europe“ in Madrid im Februar erwähnt, die Veranstaltung „DiEM 25“ in der Berliner Volksbühne im Februar blieb allerdings unerwähnt. Eine Abschlusserklärung blieb bisher unveröffentlicht.

DiEM 25, Berlin

Yanis Varoufakis kündigte ebenfalls bereits im Herbst 2015 an, eine „pan-Europäische Bewegung“ gründen zu wollen. Ende Januar veröffentlichte die Initiative „DiEM25 – Democracy in Europe Movement“ ein „Manifest für die Demokratisierung Europas“. Die im Manifest geforderte Demokratisierung Europas soll anhand eines detaillierten Fahrplanes bis 2025 vollzogen werden, unter Einbindung einer breiten gesellschaftlichen Front, die Vorstellung der Initiative „DiEM 25“ fand am 9. Februar 2016 in der Berliner Volksbühne statt.

Die Initiative von Varoufakis erhielt sehr viel mediale Aufmerksamkeit. Die Pressekonferenz am Morgen des 9. Februar im Roten Salon war überfüllt. Die Workshops, welche im Anschluss den ganzen Tag über ebenfalls im Roten Salon stattfanden, waren ebenfalls sehr gut besucht. Dort gaben über 50 Referentinnen und Referenten, vorwiegend aus Politik, Wissenschaft und Kultur in drei thematischen Blöcken („Our fragmenting Europe & DiEM’s response“, „DiEM’s economic analysis & policy framework“, und „What should we (DIEM) do?“) kurze Erklärungen ab. Entsprechend der hohen Anzahl der (3-minütigen) Präsentationen wurde ein sehr weites Spektrum an teils sehr unterschiedlichen Positionen sichtbar.

Die 4-stündige Abendveranstaltung in der ausverkauften Berliner Volksbühne eröffnete Yanis Varuofakis mit einer Rede, in der er die Notwendigkeit von „DiEM25“ angesichts der Gefahr eines wieder aufflammenden Faschismus („post-modern 1930s“) betonte. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und China habe Europa sich aufgrund einer Wechselbeziehung von autoritärerer Politik und Rezession nicht von der Krise erholt. Um die Krise hinter sich zu lassen, benötige es mehr Investitionen. Dafür müsse zunächst nationale und regionale Souveränität wieder erlangt werden, bis sich die Wirtschaft stabilisiere. Anschließend benötige es einer verfassungsgebenden Versammlung in Europa.

Die Flüchtlingssituation benötige transnationale Antworten, sagte Katja Kipping, und forderte daher mehr, und nicht weniger Europa. Mit Verweis auf die Notwendigkeit eines „Plan C“ forderte sie eine soziale Unionsbürgerschaft („social union citizenship“) sowie ein europäisches Grundeinkommen. Zudem schlug sie ein „wildes Referendum zwischen Austerität und wirklicher Demokratie“ vor.

Weiter war eine Reihe von Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus dem grünen Spektrum (Cecile Duflot, Caroline Lucas, Nessa Childers, Rui Tavares), sowie eine Reihe von spanischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern und Regionalpolitikerinnen und –politiker vertreten (Miguel Urban, Ada Colau per Video, Xulio Ferrerio, Jordi Ayala). Während das grüne Spektrum vor allem die Notwendigkeit grüner Politik hervorhob („green new deal“, „low growth economic models“) stellten die Spanierinnen und Spanier die Verbindung von kommunaler und europäischer Politik in den Vordergrund („international brigades to defend rebel cities“).

Es traten auch Intellektuelle und Prominenz auf (James Galbraith, Slavoj Žižek, Julian Assange per Video, Brian Eno), ebenso Gesine Schwan, die sich jedoch kurz darauf von der Initiative distanzierte („Wo ich mich aber von Varoufakis Position unterscheide: Nicht die EU-Institutionen als solche sind das Problem…“). Hans-Jürgen Urban machte sich für eine Konkretisierung des Demokratiebegriffs („Wirtschaftsdemokratie“) stark.

Varoufakis hat für 2016 eine Reihe von Folgeveranstaltungen angekündigt, in deren Rahmen Positionspapiere entwickelt, bzw. vorgestellt werden sollen. Diese sollen sich auf die (leicht modifizierten) bereits oben genannten Kernfelder von „DiEM 25“ beziehen:

1. Green New Deal für Europa (Schulden, Banken, Investitionspolitik, Grüne Technologien und Energien, Armut)
2. Geldpolitik (wirtschaftliche und monetäre Integration, Parallele Bezahlungs- und Währungssysteme, globale Währungsfragen)
3. Internationale Handels- und Investitionsverträge bzw. Institution (WTO, IMF etc)
4. Flucht und Migration
5. „Dezentralisierte Europäisierung“ und „Verfassungsgebende Versammlung“

Plan B Madrid

Ebenfalls im Herbst 2015 veröffentlichten Olivier Besancenot (NPA,Frankreich), Antonis Davanellos (LAE, Griechenland) und Miguel Urbán (Podemos, Spanien) einen Aufruf mit dem Titel „Austerexit“, in dem ein radikaler Bruch mit der Austeritätspolitik innerhalb oder außerhalb des Euros gefordert und eine große Konferenz angekündigt wird. Im Januar 2016 erschien ein Manifest, welches von zahlreichen Personen aus Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur etc. getragen wurde und eine Konferenz vom 19.-21. Februar in Madrid ankündigte.

Die Konferenz wurde mit einem großen Panel eröffnet, auf dem Zoe Konstantopoulou die Durchführung von Schuldenaudits vor Schuldendiensten forderte und Kritik am Kurs der griechischen Regierung äußerte. Oskar Lafontaine sagte seine Teilnahme kurzfristig ab, sein Redebeitrag wurde am Folgetag in der Jungen Welt veröffentlicht. Darin begrüßt er die „DiEM25“ Initiative, und stellt dem „starren“ Euro-System das „flexible“ Europäische Währungssystem EWS als Alternative gegenüber, welches erlaube „demokratische Entscheidungen gegen die europäische Austeritätspolitik zu treffen“. An Lafontaines Stelle kündigte Sophie Rauszer, eine Mitarbeiterin von Melenchon, eine Konferenz in Rom für 2017 an, zum Jahrestag der Römischen Verträge. Die Nationalisierung von Banken und die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen sowie einer Parallelwährung sind für Eric Toussaint notwendige Maßnahmen im Rahmen eines Plan B. Marina Albiol sah den Plan A am Beispiel Griechenlands gescheitert und forderte Ungehorsam gegenüber den Regeln der EU. Corinna Genschel verwies auf die geplante Mobilisierung vom Blockupy-Bündnis für Anfang 2017.

Am zweiten Tag der Konferenz gab es jeweils mehrere Workshops zu den Themen „Schulden“, „Soziale- und Arbeitnehmerrechte“, „Währung und Demokratie“, „Flüchtlings- und Migrationspolitik“, „Handelspolitik“, „Klimapolitik“, sowie „Feminismus“. Viele der internationalen Referentinnen und Referenten waren bereits auf den Veranstaltungen in Paris und Berlin. Nach der Konferenz wurde eine Erklärung „für eine demokratische Rebellion in Europa“ veröffentlicht in dem ein „Plan B“ nicht explizit erwähnt wird, sondern ein Verteidigungsplan, um sich dem Einsatz von Euro und Geldpolitik als Druckmittel entgegenstellen zu können. Weiter wird ein europäischer Aktionstag gegen Austeritätspolitik für den 28. Mai 2016 angekündigt.

Schlussfolgerungen

Der Pariser „Internationale Gipfel für einen Plan B“ stand stark unter dem Eindruck der veranstaltenden Parti de Gauche, deren Vorsitzender Jean-Luc Melenchon wenig später seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2017 ankündigte. Die Konferenz behandelte Währungsfragen in einem weiten Spektrum zwischen einem Plan (mit großem) B, welcher aktiven Exit-Politik der Peripherieländer forciert, sowie einem Plan (mit kleinem) b, der sich einer Strategieentwicklung für den Fall eines forcierten Ausschlusses aus der EU verschreibt. Weitgehend pessimistisch wurde die Möglichkeit der Reformierbarkeit der EU bewertet. Auch die europäische Migrationspolitik wurde in einigen Beiträgen thematisiert, sowie die Vorstöße zu einer neoliberalen Vertiefung der EU.

Die „DiEM25“ Initiative erzielte zweifelsohne die größte Aufmerksamkeit der drei Veranstaltungen, was auf die Popularität von Yanis Varoufakis zurückzuführen ist, der mit DiEM25 den Sprung auf die europäische Bühne versucht. Dabei vollzieht er einen Spagat, indem er einerseits „eine sehr einfache aber radikale Idee: Europa demokratisieren!“ anbietet, und zugleich einen konkreten Fahrplan dafür ankündigt. Damit erreichte er in Berlin ein überwiegend städtisches, intellektuelles und internetaffines Publikum. Während in den Workshops ökonomische Debatten wenig detailliert geführt wurden, wurde viel über die Möglichkeiten und Gefahren moderner Kommunikation gesprochen. Offen bleibt, ob das breite Spektrum an Sympathisantinnen und Sympathisanten – Varoufakis spricht alle „linken, grünen, sozialdemokratischen und liberalen Demokraten in Europa“ an – auch langfristig gebunden werden kann. Offen ist auch ob es Varoufakis gelingt, seine Ausstrahlungskraft zu nutzen, um gemeinsam mit und parallel zu den weiteren Initiativen eine Debatte über die Ausrichtung Europas weiterzuführen und sichtbarer zu machen. Die Ankündigung einer „DiEM25“ Veranstaltung in Spanien lässt vermuten, dass hier ein gemeinsamer Prozess angestoßen ist.

Die „Plan B für Europa“ Konferenz in Madrid setzte auf eine starke Einbindung zivilgesellschaftlicher Bewegungen, nach Angaben der Veranstalter hatten sich 1500 Personen zur Konferenz angemeldet. Ein inklusiver Ansatz wurde in der Umsetzung der Konferenz berücksichtigt, es wurde viel Wert gelegt auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis der Panels sowie auf eine behindertengerechte Veranstaltungsdurchführung, am Sonntag gab es eine Abschlusskundgebung auf einer open-air Bühne. Die Konferenz in Madrid stand unter dem Eindruck der politischen Lage in Spanien, Podemos und Izquierda Unida waren haben die Konferenz mitveranstaltet. Dies zeigte sich zum Beispiel in der starken Betonung der Schuldenproblematik: Vor dem Hintergrund des hohen Refinanzierungsbedarfs liegt hier eine zentrale Herausforderung für die Umsetzung alternativer Politikansätze in Spanien. In der Abschlusserklärung von Madrid wird ein „Plan B“ nicht mehr erwähnt, es bleibt offen, inwieweit die verschiedenen Akteure zusammenfinden.

Zweifelsohne bestehen schwere Verwerfungen in der EU, die die Entwicklung ernsthafter Alternativen erfordern. Anknüpfungspunkte sind überall in Europa vorhanden, die „Plan B“-Debatte kann dazu beitragen.

Von Florian Horn, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro Brüssel