Allianz für ein Umdenken

Wie stehen die Chancen auf und durch ein Mitte-Links-Bündnis bei der britischen Neuwahl am 8. Juni?

25.04.2017
Ada-Charlotte Regelmann
Bild: Adolfo PM, Parliament / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Für die Labour-Partei ist die britische Unterhauswahl in weniger als sieben Wochen keine Wahl wie jede andere. Angesichts ihrer aktuellen "historischen Schwäche" in Umfragen geht es "um die künftigen Möglichkeiten, überhaupt linke Politik zu machen", wie Tom Strohschneider schreibt. Die Hoffnungen, dies zu ermöglichen, liegen auf einer gestärkten politischen Alternative durch eine "progressive Allianz". Doch wie könnte die aussehen? Sind die Voraussetzungen für ein solches Bündnis gegeben? Lassen der Brexit sowie das politische System und die politische Kultur des Vereinigten Königreichs überhaupt einen Kurswechsel zu?

Die Idee der "progressiven Allianz" bezieht sich zunächst auf eine rein strategische Übereinkunft der Parteien, die links von den Tories stehen. Sie basiert auf lokalen und nationalen Kooperationsvereinbarungen mit dem einzigen Ziel, die Wahl von Konservativen und Kandidaten der nationalistischen United Kingdom Independence Party (UKIP) in möglichst vielen Wahlbezirken zu verhindern.

Dafür muss die Aufsplittung der progressiven Stimmen im Mehrheitswahlrecht vermieden werden. Denn gemäß dem "the-winner-takes-all"-Prinzip ist für den Sieg einer Partei entscheidend, wie viele Stimmen der rivalisierenden Partei von einer dritten Kraft streitig gemacht werden. Würde eine taktische Allianz bei den Wahlen im Juni gewinnen, könnte dies langfristig eine Orientierung hin zu mehr Koalitionsregierungen hervorbringen.

Erstes Angebot von den Grünen

Ein erstes formelles Angebot für ein Bündnis legten die Grünen am Mittwoch vor. Mit ihrer Einladung an die Liberaldemokratische Partei (LibDems) und Labour wollen sie das Gesundheitssystem, den Sozialstaat und die Umwelt vor weiteren Einschnitten retten. Die Grünen bezogen die mögliche Zusammenarbeit eher auf ausgewählte, umkämpfte Wahlkreise denn auf eine landesweite gemeinsame Kandidatur. Doch wie interessant ist ein Bündnis für die einzelnen Parteien?

Labour käme die entscheidende Rolle zu. Die Partei hat Regierungserfahrung, eine große Zahl von lokalen Unterstützer*innen inklusive der Gewerkschaften, sie erfuhr unter Jeremy Corbyn großen Zulauf. Die LibDems wiederum haben sich durch die Koalitionsregierung mit den Tories von 2010 bis 2015 in den Augen vieler linker Kräfte diskreditiert. Damals waren sie nicht einmal in der Lage, die Einführung von Studiengebühren - ihre Minimalforderung - zu verhindern. Erfolge in Nachwahlen in den vergangenen Monaten geben der Partei jedoch Auftrieb sowie die Hoffnung, auch ohne Bündnis einige Wahlkreise von den Tories zurückzugewinnen oder von Labour zu übernehmen. LibDems-Vorsitzender Tim Farron hat eine Allianz mit dem Hinweis abgelehnt, Labour sei keine progressive Partei.

Die Grüne Partei hätte durch eine taktische Allianz wenig zu verlieren, sind ihre Chancen auf einen Sitz im Parlament über das Mandat des Wahlkreises Brighton hinaus doch äußerst gering. Im Gegenteil, in einigen Wahlkreisen könnten sie von einer Zusammenarbeit mit Labour oder LibDems durchaus profitieren.
Neben den Grünen gibt sich Nicola Sturgeon, Chefin der Scottish National Party (SNP), offen für ein Regierungsbündnis von Mitte-Links-Parteien, ein Bekenntnis zu einem Wahlbündnis lehnte sie jüngst jedoch ab. Da die SNP außerhalb Schottlands nicht antritt, und die schottischen LibDems politisch noch unbedeutender sind als Scottish Labour, kann sie von einer taktischen Allianz kaum profitieren. Es bleibt unklar, ob die SNP ein Partner für linke Politik sein kann. Jeremy Corbyn erklärte, dass eine Allianz mit der SNP nicht möglich sei, da diese in Schottland Austeritätspolitik umsetze.

Programmatische Überschneidungen und Widersprüche

Außer dem Ziel, die Dominanz der Konservativen zu brechen, besteht ohnehin keine klare Vorstellung über politische Inhalte einer möglichen Koalition. Labour teilt viele programmatische Punkte mit den Grünen in Kernbereichen ihrer Politik, vor allem in der Gesundheits-, Bildungs-, und Wohnungsbaupolitik, aber auch in der Steuer-, Industrie- und Arbeitsmarktpolitik. Insgesamt positionieren sich beide Parteien gegen Sparpolitik und für einen Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Übereinstimmungen mit den Liberalen liegen in Teilen der Sozial- sowie Umweltpolitik. Auch die SNP propagiert wohlfahrtsstaatliche Politik und sieht Einwanderung positiv.

Die Frage des Brexit verkompliziert eine mögliche Allianz jedoch. Die LibDems sind die einzige Partei in Großbritannien, die sich explizit für einen Verblieb in der EU aussprach. Auch die SNP präsentiert sich als Pro-EU-Partei. Die Entscheidung für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum weist aber auf ein Interesse der Partei an einem harten Brexit - zur Stärkung der Unabhängigkeitsbewegung - hin, was zu einem insbesondere bei den englischen und walisischen Wähler*innen zu Zurückhaltung gegenüber einer möglichen Allianz mit SNP-Beteiligung führen könnte.

Entscheidend ist auch in diesem Punkt die Situation von Labour. Wie gespalten die Partei in der Brexit-Frage tatsächlich ist, wird häufig angesichts plakativer Statements übersehen. Corbyn hat erklärt, dass seine Partei für Freihandel und Freizügigkeit stehe. Er hat aber noch nicht erklärt, wie dies einer prekarisierten Bevölkerung, die für den Brexit stimmte, präsentiert werden soll. Sein nunmehr positiver Bezug zur EU birgt die Gefahr, einen großen Teil der "Leave"-Wähler*innen unter den Labour-Anhänger*innen weiter von seiner Partei zu entfremden.

Damit zeichnen sich trotz inhaltlicher Überschneidungen bereits starke Widersprüche ab, die eine effektive Durchsetzung gemeinsamer nationaler Politik fraglich erscheinen lassen. So ruhen die Hoffnungen bei vielen zuallererst auf einen Sieg Labours. Sie stützen sich auf Zuspruch, die einzelne progressive Politikvorschläge der Partei erhalten, zum Beispiel den Ausbau der Gesundheitsversorgung. Klar ist aber bereits jetzt: Auch wenn Labour-Chef Jeremy Corbyn sich kämpferisch zeigt, ist seine Partei derzeit nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden. Im Gegenteil: Berechnungen lassen befürchten, dass Labour im Parlament zwischen 15 und 64 ihrer derzeitigen 229 Sitze (von insgesamt 650) verlieren könnte, während die Konservativen bis zu 200 Sitze mehr als die Sozialdemokraten erwarten können. Selbst Befürworter*innen der progressiven Allianz sprechen lediglich von »Dutzenden« Sitzen, die dieses Bündnis gewinnen könnte.

Keine Mehrheit für linke Politik im Land

Wichtiger noch: trotz Unterstützung einzelner Wohlfahrtsstaatpolitiken gibt es keine Mehrheit für linke Politik im Land - ein Erbe des langfristigen sozialen Wandels, den die konservativen Regierungen seit Margaret Thatcher initiiert haben und der unter Tony Blairs Labour konsolidiert wurde. Die Generation der "Blair's Babies"- jene, die unter der Blair-Regierung politisch sozialisiert wurden, - hat nicht nur die konservativ-autoritären Einstellungen der Thatcher-Ära verinnerlicht. Sie ist auch ökonomisch noch liberaler als ihre Vorgängergeneration, befürwortet den Nachtwächterstaat und lehnt die soziale Absicherung für die Marginalisierten in der Bevölkerung ab. Dieser Langzeit-Trend ist nicht kurzfristig zu ändern.

Ein Bündnis der Oppositionsparteien links der Tories ist daher nicht so sehr aus der Erwartung heraus interessant, dass es realistische Aussichten auf progressive Politikgestaltung hätte. Angesichts eines wahrscheinlichen Tory-Sieges bietet die Allianz aber die Möglichkeit, eine breite gesellschaftliche Debatte über Alternativen zum Status quo und zur neoliberalen Ausrichtung der britischen Politik anzustoßen – und damit einen Wandel in den Vorstellungen, die durch New Labour noch verfestigt wurden.

In Schottland hatte das Unabhängigkeitsreferendum enormes Mobilisierungspotential. Es war erfolgreich, weil es die sozialen Aspekte der regionalen Politik unterstrichen hat. Auch in Nordirland gelingen Bündnisse gegenüber Westminster nur dann, wenn es um den Schutz wohlfahrtsstaatlicher Errungenschaften geht. Eine Anti-Tory-Mobilisierung könnte vergleichbare Effekte für das Mitte-Links-Spektrum zumindest in England und Wales haben. Ein rein taktisches Bündnis scheint dagegen aussichtslos. Es muss um eine inhaltliche Positionierung aller Mitte-Links-Parteien für eine alternative gesellschaftliche Vision für das Vereinigte Königreich und Europa gehen.

Diese kann nur vom linken Flügel der Labour-Partei angestoßen werden. Derzeit hängt das Schicksal Corbyns als Parteichef an seinem Erfolg in diesem Wahlkampf. Ein Bündnis für radikales Umdenken in der Politik unter seiner Führung birgt die Möglichkeit, dass die Belebung linker Politik innerhalb Labours in weitere Teile der politischen Gemeinschaft getragen wird und nicht nach einer zu erwartenden Wahlschlappe auf Jahre oder Jahrzehnte selbst innerhalb Labours wieder von der politischen Bildfläche verdrängt wird.

Dieser Artikel erschien am 21.04.2017 im neuen deutschland.